Konfliktlösung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat

Best Practice: Intensivmediation im mittelständischen Familienunternehmen

Das BetrVG kennt die Mitbestimmung des Betriebsrats bei einer Vielzahl von Themen, die in § 87 BetrVG geregelt sind. Hierzu gehört auch die Mitbestimmung bei der Gestaltung von Entgeltsystemen. Kommen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht zu einer gütlichen Einigung, ist als Konfliktlösungsmechanismus die Einigungsstelle nach § 76 BetrVG vorgesehen. Trotzdem kommt bei Konflikten zwischen Management und Betriebsrat, insbesondere wenn ein Konflikt innerhalb eines sehr begrenzten Zeitfensters gelöst werden muss, die Mediation zum Einsatz. Der Beitrag beschreibt die Anwendung der Mediation in einem mittelständischen Familienunternehmen, in dem ein extremer Zeitdruck bestand, weil andernfalls der Konflikt „automatisch“ eskaliert wäre.

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 Bild: TarikVision/stock.adobe.com
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Das Unternehmen

Das mittelständische Familienunternehmen der Metall- und Elektroindustrie ist als Zulieferer hochwertiger Produkte für die Industrie tätig. Es produziert mit ca. 2.500 Mitarbeitern weltweit, davon ca. 1.200 an vier Standorten in Deutschland. Die im Familienunternehmen existierende – als paternalistisch zu bezeichnende – Unternehmenskultur soll nach der Vorstellung der geschäftsführenden Gesellschafter auch zukünftig gepflegt werden. Die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat orientierte sich auch an dieser Kultur. Das Auftreten von Gewerkschaftern bei Betriebsversammlungen war von der Geschäftsführung nicht gewünscht und wurde vom Betriebsrat stillschweigend akzeptiert. Zu Konflikten zwischen den Betriebsparteien kam es praktisch nicht. Eine Führungskraft sprach von einem „pflegeleichten“ Betriebsrat.

1. Die Ausgangssituation

Das Unternehmen war in der Vergangenheit durch die Gründung eigener Werke und den Zukauf von Wettbewerbern gewachsen. Sowohl in den eigenen Werken als auch in den zugekauften Werken existierten unterschiedliche gewachsene Lohn- und Gehaltssysteme, die von Management und Mitarbeitern als ungerecht erlebt wurden. Das gewachsene Lohn- und Gehaltssystem sollte von einem transparenten und gerechten Entgeltsystem – abgelöst werden (Eyer, E. & Mattioli, M. [2008]. Tipps zur erfolgreichen Gestaltung – Betriebliche Entgeltsysteme. AuA, 2008 [2], S. 102 ff.).

In dem Werk am Firmensitz mit 400 Mitarbeitern sollte das neue Entgeltsystem im ersten Schritt eingeführt werden. Nach diesem Pilotprojekt sollte schrittweise das Roll-out in allen anderen Standorten erfolgen.

2. Das neue Entgeltsystem

Das neue Entgeltsystem sollte anforderungs- und leistungsgerecht sein und nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten unterscheiden. Durch das neue Entgeltsystem sollten die gewachsenen Löhne und Gehälter abgelöst werden (Eyer, E. [2020]. Good Pay: Vergütungssysteme betriebsspezifisch, gerecht und fair gestalten. Wirtschaftspsychologie aktuell, 2020 [4], S. 20 ff.). Bei anforderungsgerechten Entgeltsystemen werden die Arbeitsaufgaben im Unternehmen in eine Entgeltgruppe eingestuft. Grundlage für die Einstufung sind die von den Mitarbeitern geforderten Kenntnisse und Fertigkeiten, die in die Entgeltgruppenbeschreibungen eingehen. Die einzelnen Mitarbeiter werden, entsprechend der ihnen vom Arbeitgeber übertragenen Arbeitsaufgabe, in die entsprechende Entgeltgruppe eingruppiert. Die individuelle Leistung der Mitarbeiter kann mit einem Leistungsentgelt honoriert werden, das z. B. auf einer individuellen Leistungsbeurteilung beruht.

3. Die geplante Einführung des neuen Entgeltsystems

Mit der Umstellung auf das neue Grundentgeltsystem (Eyer, E. [2020], a. a. O., S. 20 ff.) sollen die bestehenden Ungerechtigkeiten beseitigt werden. Die Mitarbeiter, die im Vergleich zu dem neuen monatlichen Tabellenentgelt weniger verdienen, erhalten schrittweise ein höheres Entgelt, bis sie das Tabellenentgelt erreicht haben. Mitarbeiter, die im alten Lohn- und Gehaltssystem mehr verdienen als im neuen Entgeltsystem, erhalten am Stichtag der Umstellung das neue Tabellenentgelt und zusätzlich eine Besitzstandszulage. Diese Besitzstandszulage wird schrittweise mit einem Teil der zukünftigen jährlichen Entgelterhöhungen verrechnet, bis sie ganz „abgeschmolzen“ ist. Die Mehrkosten für die Einführung des neuen Entgeltsystems belaufen sich für das Unternehmen auf ca. 5 % der jährlichen Lohn- und Gehaltssumme.

Der Konflikt

Die Geschäftsleitung hat die Personalabteilung beauftragt, das neue Entgeltsystem zu erarbeiten, die Auswirkungen auf die einzelnen Mitarbeiter und das Unternehmen in den nächsten Jahren zu simulieren und ihr einen tragfähigen und finanzierbaren Vorschlag zu unterbreiten.

Die Personalabteilung hat daraufhin ein neues Entgeltsystem erstellt, das zu einer Kostensteigerung von ca. 5 % führt. Ca. 80 % der Mitarbeiter verdienen bis zu 12 % mehr als bisher, ca. 20 % der Mitarbeiter würden weniger verdienen und erhalten eine Besitzstandszulage, um nicht am Stichtag der Einführung weniger zu verdienen als bisher. Die Geschäftsleitung befand das neue Entgeltsystem für gut und gab das für seine Einführung notwendige Budget ab dem 1.1.2022 frei.

Die Personalabteilung präsentierte dem Betriebsrat im November 2021 das neue Entgeltsystem und erläuterte ihm auch den Weg der Einführung zum Jahreswechsel. Die Personalabteilung betonte die Chancen der Entgeltsteigerung für 80 % der Mitarbeiter und die Besitzstandsregelung, die zum Umstellungszeitpunkt den bisherigen Verdienst aller anderen Mitarbeiter sichert. Sie verwies auf den sozialverträglichen Abschmelzmechanismus anhand von Zahlenbeispielen.

Der Betriebsrat signalisierte, dass er das Entgeltsystem und seine Einführung verstanden hat, sich aber aufgrund seiner mangelnden Kenntnisse über die Gestaltung von Entgeltsystemen außer Stande sieht, das vorgestellte Entgeltsystem und seine geplante Einführung fachlich zu bewerten. Er verwies darauf, dass sich die Personalabteilung seit über einem Jahr mit dem Thema intensiv beschäftigt hat und er innerhalb von vier Wochen bewerten und entscheiden soll, damit noch vor Weihnachten die Einführung des neuen Entgeltsystems angekündigt werden kann. Der Betriebsrat weist darauf hin, dass der Entscheidungsprozess dadurch verkürzt werden kann, dass ein Mitglied der zuständigen Gewerkschaft oder ein von der Gewerkschaft vorgeschlagener Berater als Sachverständiger das von der Personalabteilung erarbeitete neue Entgeltsystem sowie seine geplante Einführung analysiert und bewertet. Für die Geschäftsleitung war ein gewerkschaftlicher oder gewerkschaftsnaher Sachverständiger jedoch undenkbar. Sie signalisierte deshalb, dass die Einführung des neuen Entgeltsystems ausfällt oder um ein Geschäftsjahr verschoben würde, wenn der Betriebsrat diesen Schritt geht. Damit würden die Mehrverdienste für 80 % der Mitarbeiter mindestens für ein Jahr ausfallen. Der Betriebsrat verwies auf das vom Management auch als ungerecht erlebte gewachsene Lohn- und Gehaltssystem. Er könne ja sein Initiativrecht (Übersicht 1) gem. § 87 BetrVG nutzen und die Einigungsstelle anrufen. Dort könne er das von der Personalabteilung ausgearbeitete Entgeltsystem, an einigen Stellen auf Vorschlag der Gewerkschaft verbessert, durchsetzen.

Die Situation war zusätzlich pikant, weil im Frühjahr 2022 Betriebsratswahlen anstanden und die Geschäftsführung mit dem Personalleiter eine Zielvereinbarung abgeschlossen hatte, die besagt, dass er einen attraktiven Bonus erhält, wenn das neue Entgeltsystem pünktlich zum 1.1.2022 eingeführt wird. Übersicht 1 – Initiativrecht des Betriebsrats Exkurs Initiativrecht Das BetrVG regelt in § 87 Abs. 1 Ziff. 10 das Mitbestimmungsrecht des Betriebsratsbei der Gestaltung von Entgeltsystemen. Das heißt, dass der Betriebsrat kollektiven Entgeltregelungen bzw. Entgeltsystemen zustimmen muss, damit sie gültig werden. Der Betriebsrat hat auch ein Initiativrecht, er kann also eigene Vorschläge für ein Entgeltsystem machen und Verhandlungen darüber mit der Geschäftsführung erzwingen. Gibt es aufgrund der Interessenunterschiede keine Einigung, kann der Betriebsrat – ebenso wie die Geschäftsleitung – eine Einigungsstelle anrufen. Übersicht 2 – Mitbestimmung des Betriebsrats § 87 Mitbestimmungsrechte (1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen: (…) 10. Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung; (…)

Die Einigungsstelle besteht aus einem neutralen Vorsitzenden, i. d. R. einem Arbeitsrichter und je drei Vertretern des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer. Kommen die Betriebsparteien nicht zu einem Konsens, entscheidet die Einigungsstelle mit einfacher Mehrheit (Eyer, E. & Redmann, B. [1999]. Wirtschaftsmediation als Alternative zu Stillstand und Einigungsstelle. Personal, 1999 [12], S. 618 f., Übersicht 4.). Der Einigungsstellenvorsitzende ist stimmberechtigt. Übersicht 4 – Regelungen zur Einigungsstelle § 76 Einigungsstelle (1) Zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat oder Konzernbetriebsrat ist bei Bedarf eine Einigungsstelle zu bilden. Durch Betriebsvereinbarung kann eine ständige Einigungsstelle errichtet werden. (2) Die Einigungsstelle besteht aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, und einem unparteiischen Vorsitzenden, auf dessen Person sich beide Seiten einigen müssen. Kommt eine Einigung über die Person des Vorsitzenden nicht zustande, so bestellt ihn das Arbeitsgericht. Dieses entscheidet auch, wenn kein Einverständnis über die Zahl der Beisitzer erzielt wird.

Der Ausweg

In getrennten Gesprächen analysierten der Arbeitgeber mit seinen Rechtsberatern und der Betriebsrat mit der Gewerkschaft, welche Auswirkungen die Anrufung der Einigungsstelle hätte. Das übereinstimmende Ergebnis: Inhaltlich kann der Einigungsvorsitzende die Qualität des Entgeltsystems und seine Einführung wahrscheinlich nicht bewerten, er wird voraussichtlich einen Gutachter einschalten. Vor Februar 2022 würde die Einigungsstelle nicht tagen, um den Konflikt zu analysieren. Dann würde der Einigungsstellenvorsitzende ein Gutachten in Auftrag geben, wenn man sich zuvor auf den Gutachter geeinigt hat. Bis das Gutachten vorliegt und die Einigungsstelle entscheiden kann, werden erfahrungsgemäß Wochen vergehen. Zum 1.5.2022 ist im besten Fall eine Einigung zu erreichen, wahrscheinlich später.

Angesichts der gleichen Einschätzung einigten sich die beiden Betriebsparteien auf die Mediation, um die Blockade zügig aufzulösen. Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbarten, dass der Arbeitgeber kurzfristig Mediatoren ausfindig macht, die auch Know-how und Erfahrung bei der Gestaltung und Einführung von Entgeltsystemen haben. Er schlägt dann dem Betriebsrat drei Mediatoren vor und der Betriebsrat wählt einen aus. Der Betriebsrat hat auch die Möglichkeit, einen Alternativvorschlag zu machen, wenn ihm keiner der Mediatoren vertrauenswürdig und hinsichtlich der Fachkenntnisse bzgl. Entgeltsystemen qualifiziert erscheint. Der Arbeitgeber muss dann diesen Mediator bewerten und falls er zustimmt, kann die Mediation starten.

Der Arbeitgeber identifizierte mehrere Mediatoren, skizzierte ihnen in getrennten Telefonaten Mitte Dezember 2021 die Konfliktsituation und fragte, ob das ein Fall für sie wäre. Nachdem er drei Mediatoren ausgewählt hatte, gab er die Kontaktdaten dem Betriebsrat, der den Kontakt zu den drei Mediatoren aufnahm. In drei getrennten Videokonferenzen mit den beiden Betriebsratsvorsitzenden stellten sich die Mediatoren vor und nannten jeweils drei Referenzen von Betriebsräten bzw. Gewerkschaftssekretären mit Telefonnummern. Die Betriebsräte erläuterten die Konfliktsituation aus ihrer Sicht und fragten die Mediatoren, wie sie vorgehen würden, um den Konflikt zu lösen.

Am nächsten Tag riefen die Betriebsräte den Mediator an, für den sie sich entschieden hatten, und vereinbarten, dass er mit dem Arbeitgeber einen Vertrag über die Mediation abschließt.

Der Mediationsprozess

Der Mediator schlug vor, eine Intensivmediation (Übersicht 5) durchzuführen, da die Voraussetzungen (Übersicht 6) dafür vorlagen. Der Mediator arbeitete stark mit getrennten Gesprächen und „Pendeldiplomatie“ und machte den Prozess für beide Betriebsparteien transparent. Der Mediationsprozess fand – aufgrund der heißen Corona-Krise und der mehreren hundert Kilometer Entfernung zwischen dem Wohnort des Mediators zum Unternehmensstandort – überwiegend in Videokonferenzen, Telefonaten und hybriden Videokonferenzen statt. Der Workshop mit dem Betriebsrat fand vor Ort statt, um intensiv und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Übersicht 5 – Definition Intensivmediation Intensivmediation Intensivmediation ist eine Sonderform der Mediation mit einem besonders effizient gestalteten Verfahrensdesign, das in geeigneten Konflikten auf die speziellen zeitlichen Bedürfnisse und Ressourcen der Konfliktparteien flexibel zugeschnitten wird und durch gezielte Vorbereitung und starke Fokussierung die eigentliche Sitzungszeit zwischen den Konfliktparteien bzw. den Entscheidungsträgern (Machtpromotoren) erheblich verkürzen kann (Eyer, E. & Mattioli, M. [2015]. Intensivmediation – wenn es schnell gehen und gut werden soll. perspektive mediation, 2015 [4], S. 237 ff.). Übersicht 6 – Geeignete Themenfelder Welche Konflikte eignen sich für die Intensivmediation? Nicht jeder Konflikt eignet sich für Intensivmediation (Krabbe, H. [2004]. Kurz-Mediation – Die Kunst der Gesamt-Mediation in einer Sitzung. ZKM, 2004, S. 72 ff.). Daher ist es wichtig, im Vorfeld die Eignung des Konflikts anhand folgender Kriterien zu überprüfen: • überschaubares, aber drängendes Problem oder komplexeres Problem mit einer Auswahl an prioritär zu bearbeitenden Punkten; • wenig Zeit oder kleines Budget für die Problemlösung; • naher Termin, bis zu dem die Problemlösung angestrebt wird; • Konfliktparteien arbeiten nicht am selben Ort und möchten nur einmal anreisen, „um den Knoten zu durchschlagen“; • Entscheidungsträger können nur zu einem gemeinsamen Sitzungstermin zur Verfügung stehen; • Bereitschaft der Konfliktparteien, im Vorfeld der Mediationssitzung an einer ersten Konfliktanalyse mitzuwirken und einige Voraussetzungen für eine zügige Verhandlung abzuklären; • Bereitschaft bei den Konfliktparteien, in der eigentlichen Mediationssitzung konzentriert an der Lösung ihres Problems zu arbeiten und den zur Verfügung stehenden zeitlichen Rahmen einzuhalten.

1. Videoanalyse: Die Sicht des Arbeitgebers

Nachdem der Vertrag abgeschlossen und die Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnet war, stellte der Arbeitgeber das neue Entgeltsystem in einer mehrstündigen Videokonferenz dem Mediator vor. Darüber hinaus stellte er ihm umfangreiche Daten zu den Auswirkungen des Entgeltsystems auf das Unternehmen und die einzelnen (anonymisierten) Mitarbeiter zur Verfügung. In einer zweiten Videokonferenz am nächsten Tag wurden die bei der gründlichen Analyse durch den Mediator, der auch Gutachter war, aufgetretenen Fragen geklärt.

Der paternalistische Arbeitgeber fühlt sich im Recht und versteht die Bedenken des Betriebsrats nicht, schließlich erhalten 80 % der Mitarbeiter mehr Geld und die Entgeltsumme aller Mitarbeiter erhöht sich um 5 %.

2. Videoanalyse: Die Sicht des Betriebsrats

Der Betriebsrat erläuterte in einer Videokonferenz die Situation und die Entstehung des Konflikts aus seiner Sicht. Fachlich fühlte sich der Betriebsrat überfordert. Er konnte nicht verstehen, dass er nicht rechtzeitig einbezogen wurde, wo Transparenz und Beteiligung doch die Eckpfeiler einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sind. Er fühlte sich zum „Abnick-August“ degradiert. Auch deshalb war seine Reaktion: „So nicht!“.

Workshop mit dem Betriebsrat

Noch vor Weihnachten wurde ein Workshop mit dem gesamten Betriebsrat und dem Mediator vereinbart und an einem neutralen Ort, einem Hotel, durchgeführt. Um den Termin wahrzunehmen, verschoben mehrere Betriebsräte ihren geplanten Weihnachtsurlaub.

Der Mediator erarbeitete aufgrund der Präsentation des Arbeitgebers, der ihm zur Verfügung gestellten Informationen und der Situationsbeschreibung des Betriebsrats nach der Konfliktanalyse einen maßgeschneiderten Workshop sowie eine anschließende Videokonferenz mit der Personalabteilung (Winter, F. [2014]. Mediation in arbeitsrechtlichen Konflikten. perspektive mediation, 2014 [2], S. 118 f.).

1. Ziel des Workshops

Der Workshop mit dem Betriebsrat hatte das Ziel, die Betriebsräte hinsichtlich der Gestaltung eines Entgeltsystems sowie dessen Einführung so zu qualifizieren, dass sie das vorgelegte neue Entgeltsystem bewerten (oder wenigstens die Bewertung des Mediators, der auch Gutachter war, nachvollziehen) konnten. Schließlich mussten sie gegenüber dem Arbeitgeber die Interessen ihrer Kollegen und Wähler und anschließend die unterzeichnete Betriebsvereinbarung gegenüber der Belegschaft vertreten. Direkt im Anschluss an den Workshop war um 15:00 Uhr eine Videokonferenz mit der Personalabteilung vereinbart, um Fragen, Kritik, Verbesserungsvorschläge und Forderungen des Betriebsrats einzubringen.

2. Bewertung des Entgeltsystems

Im ersten Schritt wurden alle Betriebsräte des Standortes über den „State of the Art“ bei der Gestaltung von Entgeltsystemen und Übergangsregeln in arbeitswissenschaftlicher, interessenpolitischer und arbeitsrechtlicher Hinsicht informiert.

Im zweiten Schritt bewertete der Betriebsrat das vom Arbeitgeber erarbeitete Entgeltsystem, gemeinsam mit dem Mediator. Im dritten Schritt stellte der Betriebsrat Fehler, Rückfragen, Ungereimtheiten, Verbesserungsvorschläge und Änderungswünsche sowie handfeste Forderungen für das Gespräch mit dem Arbeitgeber zusammen. Die Agenda des Workshops lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Vorstellungsrunde der Teilnehmer und Erwartungen
  2. Entgeltsysteme gestalten und umsetzen
  3. Bewertung des vom Arbeitgeber erarbeiteten neuen Entgeltsystems
  4. Fragen an den Arbeitgeber bzw. die Personalabteilung
  5. Änderungswünsche und Forderungen des Betriebsrats

3. Ergebnis des Workshops und Rückkoppelung an die Personalabteilung

In einer offenen und konstruktiven Atmosphäre erarbeitete der Betriebsrat eine Bewertung des neuen Entgeltsystems und stimmte ab, welches Mitglied gegenüber dem Arbeitgeber in der an den Workshop anschließenden Videokonferenz welche Inhalte und Argumente vorträgt.

Am Ende des eintägigen Workshops wurden den Vertretern der Personalabteilung, die in einer Videokonferenz zugeschaltet waren, mehrere Fragen gestellt, Verbesserungsvorschläge und einige Forderungen unterbreitet. Die Fragen wurden beantwortet und die Änderungswünsche größtenteils sofort angenommen. Einige Forderungen wurden zur Beratung im Kollegenkreis mitgenommen.

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Die Personalabteilung sagte zu, die aktuelle Betriebsvereinbarung kurzfristig – noch vor Weihnachten – dem Betriebsrat sowie dem Mediator zuzuleiten.

Die Betriebsvereinbarung

Der Betriebsrat erklärte sich bereit, die Betriebsvereinbarung zeitnah zu prüfen und in seiner ersten Sitzung im neuen Jahr das neue Entgeltsystem auf die Tagesordnung zu setzen. Sollte der Betriebsrat dem neuen Entgeltsystem zustimmen und die Betriebsvereinbarung unterzeichnen, könnten Arbeitgeber und Betriebsrat zügig gemeinsam die Mitarbeiterinformation zum neuen Entgeltsystem durchführen. Anschließend könnte dann die Personalabteilung in Einzelgesprächen mit den Mitarbeitern die individuelle Vorher-nachher-Situation erläutern und die bestehenden Arbeitsverträge entsprechend ergänzen.

Die Personalabteilung könnte dann die Mitarbeiter rückwirkend ab dem 1. Januar nach dem neuen Entgeltsystem entlohnen.

Die Entgeltzahlung für Januar 2022 erfolgt Ende Januar.

1. Die Realität

Der Arbeitgeber kam nach der Videokonferenz auf den Mediator zu und fragte ihn, ob er das aktuelle gemeinsame Verhandlungsergebnis in eine Betriebsvereinbarung gießen könnte. Der Arbeitgeber wollte dadurch eine „neutrale Formulierung“ und unnötige Verzögerungen nach der Weihnachtspause vermeiden. Der Mediator sagte zu, zwei Betriebsvereinbarungen zu entwerfen und darin den gemeinsamen Stand der Verhandlungen zu dokumentieren. Eine Betriebsvereinbarung beschreibt das neue Entgeltsystem, die andere die Umstellung für die Bestandsmitarbeiter und ihr schrittweises Heranführen an „ihr Tabellenentgelt“. Der Mediator informierte den Betriebsrat darüber, dass er den Auftrag hatte, den Stand der Verhandlungen in den beiden Betriebsvereinbarungen zu dokumentieren und dem Arbeitgeber zuzuleiten.

2. Entscheidung des Arbeitgebers

Der Mediator leitete seine Entwürfe noch vor der Urlaubsphase dem Arbeitgeber zu und erläuterte sie ihm. Der Arbeitgeber konnte sie überprüfen, überarbeiten und dem Betriebsrat im neuen Jahr zusenden. Zusätzlich konnte er die Ergänzung der Arbeitsverträge auf die Betriebsvereinbarungen abstimmen.

3. Entscheidung des Betriebsrats

Der Arbeitgeber leitete die beiden – leicht veränderten – Betriebsvereinbarungen und die Ergänzung der Arbeitsverträge nach dem Jahreswechsel dem Betriebsrat und dem Mediator zur Stellungnahme zu.

Betriebsrat und Mediator besprachen in einer Videokonferenz die Betriebsvereinbarungen und bewerteten sie hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem bisherigen Stand der Arbeit.

In der abschließenden Verhandlungsrunde von Arbeitgeber und Betriebsrat, unter Teilnahme des Mediators per Videoschaltung, wurden letzte Forderungen des Betriebsrats (Müller, A. [2018]. Organisationale Gerechtigkeit und Entlohnung aus Perspektive der Mitarbeiter. Wirtschaftspsychologie, 2018 [2], S. 16 ff.) in die Betriebsvereinbarungen eingearbeitet.

Der Betriebsrat stimmte dann den Betriebsvereinbarungen zu, die Mitte Januar 2022 unterzeichnet wurden und rückwirkend zum 1.1.2022 in Kraft traten.

Fazit

In dem mittelständischen Familienunternehmen, mit einer paternalistischen Unternehmenskultur, erarbeitete die Personalabteilung im Auftrag der Geschäftsführung ein neues Entgeltsystem und vernachlässigte dabei die frühzeitige Einbeziehung des Betriebsrats. Dieser fühlte sich übergangen und argumentierte nachvollziehbar, dass er sich in der Bewertung des Entgeltsystems, seiner Umsetzung und den Auswirkungen auf die Kollegen fachlich überfordert fühlt. Es kam zur Blockade. Eine Einigungsstelle war aufgrund des erwartbaren langen Prozesses im vorliegenden Fall ungeeignet. Aufgrund des entstandenen Zeitdrucks kam es nach der Analyse des Konflikts und der Rahmenbedingungen zur Intensivmediation. Nach vier Wochen inklusive zwei Wochen Betriebsschließung über Weihnachten, wurde die Intensivmediation erfolgreich abgeschlossen und die Betriebsvereinbarungen zum neuen Entgeltsystem unterzeichnet.

Die gegenseitige Wertschätzung und das Vertrauen von Geschäftsführung und Betriebsrat ist gewachsen. Die Betriebsparteien – die auch Betriebspartner sind – haben sich vorgenommen, zukünftig transparenter und mit einer stärkeren Beteiligung des Betriebsrats zusammenzuarbeiten.

Eckhard Eyer

Eckhard Eyer
Dipl.-Ing., Dipl.-Kfm., Geschäftsführender Gesellschafter, Perspektive Eyer Consulting
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· Artikel im Heft ·

Konfliktlösung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat
Seite 40 bis 44
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