Auf das Arbeitsverhältnis einer in einem kommunalen Klinikum beschäftigten Mitarbeiterin fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Darin ist geregelt, dass der Arbeitgeber bei begründeter Veranlassung berechtigt ist, den Beschäftigten zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass sie/er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist. Derartige Klauseln finden sich z. T. auch in Arbeitsverträgen. Das Arbeitsverhältnis der Mitarbeiterin war durch zahlreiche Vorfälle zu den Themen Arbeitsleistung, Verhalten im Krankheitsfall und Urlaubsplanung belastet. Das Klinikum sprach zahlreiche Abmahnungen aus. Wegen hoher Fehlzeiten forderte der Arbeitgeber die Mitarbeiterin bereits im Februar 2020 auf, einen Termin beim Betriebsarzt wahrzunehmen. Dieser Aufforderung kam die Mitarbeiterin zwar nach, der Betriebsarzt konnte jedoch keine Beurteilung abgeben, da die Angestellte keine ärztlichen Unterlagen des Hausarztes mitgebracht hatte und einer Schweigepflichtentbindung nicht zustimmte.
Ab 24.9.2020 war die Mitarbeiterin ununterbrochen arbeitsunfähig. Sie wurde in mehreren Schreiben arbeitgeberseits aufgefordert, sich beim betriebsärztlichen Dienst zu melden und aussagefähige Befunde mitzubringen unter Hinweis darauf, dass sie mit arbeitsrechtlichen Maßnahmen rechnen müsse, falls sie den Termin nicht wahrnehme. Eine für den 11.3.2021 vereinbarte Untersuchung konnte erneut nicht stattfinden, weil die Klägerin keine Angaben zu ihrer Erkrankung machte. Am 11.5.2021 forderte der Arbeitgeber die Mitarbeiterin letztmals dazu auf, sich einer betriebsärztlichen Untersuchung zu unterziehen und den Nachweis ihrer Arbeitsfähigkeit bis zum 31.5.2021 vorzulegen. Tatsächlich war die Klägerin auch in der Lage, den Untersuchungstermin am 28.5.2021 wahrzunehmen. Im Nachgang schrieb sie in einer E-Mail, dass sie wunschgemäß den Termin beim Betriebsarzt wahrgenommen habe und dass eine Bescheinigung noch ausstehe. Tatsächlich konnte die Betriebsärztin die Mitarbeiterin jedoch erneut nicht untersuchen, da diese eine Mitwirkung verweigerte. Daraufhin sprach das Klinikum nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats eine verhaltensbedingte Kündigung zum 31.12.2021 aus. Die Mitarbeiterin focht diese gerichtlich an und brachte vor, es sei ihr die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung unmöglich gewesen, weil die Betriebsärztin aufgrund der Aktenlage davon ausgegangen sei, dass bereits eine betriebsärztliche Untersuchung stattgefunden habe und sie außerdem mit der Betriebsrätin über die Untersuchung sprechen müsse.
Dies wertete das LAG München – anders als die Vorinstanz – als bloße Schutzbehauptung (LAG München, Urt. v. 23.2.2023 – 3 Sa 419/22).
Die Klägerin habe vorsätzlich und rechtswidrig ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt, indem sie nicht bis zum 31.5.2021 durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen hat, zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage zu sein. Der TVöD räume dem Arbeitgeber das Recht ein, überprüfen zu lassen, ob der Arbeitnehmer gesundheitlich in der Lage ist, seinen vertraglichen Pflichten nachzukommen. Im Zeitpunkt der Anordnung der Vorstellung beim Betriebsarzt lag auch eine begründete Veranlassung vor, denn die Klägerin hatte in der Vergangenheit erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten und war seit April 2020 ununterbrochen krank. Die Annahme, nicht zur Vorlage einer Bescheinigung verpflichtet zu sein, weil sie krank war, trifft nicht zu. Die tarifliche Regelung setzt nicht voraus, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Untersuchung arbeitsfähig ist. Obwohl vorangegangene Abmahnungen vom Gericht für unwirksam befunden wurden, hielt das Gericht die verhaltensbedingte Kündigung für rechtmäßig. Denn einer vorherigen Abmahnung bedurfte es im konkreten Fall nicht. Schließlich war die Klägerin mehrere Male darauf hingewiesen worden, dass arbeitsrechtliche Maßnahmen drohen, wenn sie sich weigert, eine ärztliche Bescheinigung über ihre Leistungsfähigkeit vorzulegen.
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