„Lebensphase Elternwerden“: Tagung rund um den Mutterschutz

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 Bild: Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
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Die interdisziplinäre Tagung fand am 11. und 12. Mai an der Universität Halle statt. Trotz des vorrangig wissenschaftlichen Charakters kamen auch Praktiker zu Wort.

In seiner Begrüßung sprach Prof. Dr. Henning Rosenau, Geschäftsführender Direktor des Interdisziplinären Wissenschaftlichen Zentrums Medizin-Ethik-Recht (IWZ MER), die noch immer bestehende paternalistische Prägung des Mutterschutzrechts an. Auch Prof. Dr. Claudia Becker, Rektorin der Universität Halle, betonte den „Wert diskriminierungsfreier Teilhabe“ und dass Elternwerden und Elternsein kein besonderes Risiko gegenüber dem Nicht-Elternsein darstellen sollte.

Prof. Dr. Katja Nebe, Direktorin des IWZ MER, und Dipl.-Soz. Susanne Winge, Geschäftsführerin des Zentrums für Sozialforschung Halle e. V. (ZSH), eröffneten mit der Vorstellung der ZSH-Studie zur Evaluation der Mutterschutzreform. Die berufliche Teilhabe der Frauen sei gegen den Schutz der Gesundheit abzuwägen. Es sei an allen Beteiligten, aktiv zu gestalten, anstatt Menschen pauschal mit einem Beschäftigungsverbot zu belegen. Hier komme es vor allem auf die Kommunikation der Parteien an. In diesem Zusammenhang erfolgte der Verweis auf die Präventions- und Gestaltungspflichten der Arbeitgeber nach § 9 MuSchG sowie die verbindliche Rangfolge der Schutzmaßnahmen nach §13 Abs.1 MuSchG.

Die Studie zeigt auch, dass die Realität in den Betrieben nicht immer diesen Vorgaben entspricht. Zwar zeigen die Ergebnisse, dass die Reform wahrgenommen wird und bestehende Regelungen wieder in den Fokus gerückt hat. Jedoch bestehen insbesondere hinsichtlich der Entlastungsmöglichkeiten der Arbeitgeber von Entgeltkosten bei vollumfänglicher oder teilweiser Freistellung von der Arbeit sowie der Durchführung der mutterschutzspezifischen Gefährdungsbeurteilung Wissenslücken in den Betrieben.

Dr. rer. sec. Josef Kröger, Arbeitsschutzverwaltung Nordrhein-Westfalen, thematisierte den Mutterschutz im Arbeitsschutz. Er stellte die Rolle des Arbeitgebers heraus und betonte, dass „die Schwangerschaft […] keinen gesundheitlichen oder körperlichen Eignungsmangel“ darstellt. Sodann erläuterte er die mutterschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung. In der Praxis nutzten Arbeitgeber in den allermeisten Fällen vorgefertigte Checklisten. Diese seien jedoch immer auf den Arbeitsplatz und die Tätigkeit anzupassen und eigneten sich vor allem für Kleinstbetriebe, die mit dem Thema oft nicht vertraut sind. In diesen Fällen helfe die Checkliste, heranzuführen und zu sensibilisieren. Nachteile könnten sich bei einem zu lapidaren Umgang mit der Liste ergeben, da sie schnell und einfach durch „Kreuzchensetzen“ abgearbeitet werden könne.

Im Hinblick auf die Umsetzung von Schutzmaßnahmen verwies auch Kröger auf deren verpflichtende Reihenfolge, nach der Beschäftigungsverbote nur in tatsächlich erforderlichem Umfang verhängt werden dürfen. Hier fehle oft das arbeitgeberseitige Verständnis. Aus Sicht der Arbeitgeber bestünden zu viele Vorschriften, woraus geringe Akzeptanz für diese folge.

Er bezeichnete den Mutterschutz als „eine Querschnittsaufgabe im Gesamtkomplex des Arbeitsschutzes“ und verwies ebenfalls auf die Notwendigkeit der Sensibilisierung von Arbeitgebern sowie der Prävention und einer verbesserten Kommunikation. Letztere führe auch zur Verbesserung der Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen.

Im Anschluss referierte Prof. Dr. Susanne Modrow vom Institut für medizinische Mikrobiologie der Universität Regensburg zum Umgang mit schwangerschaftsrelevanten Infektionserregern aus Sicht des Mutterschutzes. Dazu stellte sie zunächst diejenigen Erreger vor, die überhaupt „schwangerschaftsrelevant“ sind, und verdeutlichte sodann, dass diese in ihrer Häufigkeit überschaubar sind. Schließlich ging sie auf mögliche Einflüsse auf das Risiko einer Infektion und Präventionsmöglichkeiten, wie Impfungen, Hygiene- und (Arbeits-)Schutzmaßnahmen, ein.

Dr. Juliane Kant, Universitätsfrauenklinik Leipzig, nahm den „Schutz der Leibesfrucht in der Gesetzlichen Unfallversicherung“ zum Anlass, die Rolle der GUV und Ausgestaltung der Prävention durch die Leistungsträger zu untersuchen. Dabei ging sie u. a. auf Leistungen bei Eintreten eines Versicherungsfalls, Präventionsmöglichkeiten, die zwischen Mutter und Kind bestehende Gefahrengemeinschaft sowie den Zusammenhang zwischen fetalen Schädigungen und Infektionen in der Schwangerschaft ein. Zudem stellte Kant die Entwicklungen in der Rechtsprechung, insbesondere im Sozialversicherungs- und Entschädigungsrecht, vor.

In der folgenden Diskussion beantwortete Modrow die Frage, was in Zusammenhang mit Infektionen den Ausspruch eines Beschäftigungsverbots einer stillenden Frau rechtfertige, zunächst mit einem pauschalen „Nichts“. Nebe verwies auf das Restrisiko, welches in nahezu jedem Fall bestehe, weshalb Frauen nicht pauschal aus dem Beruf gehen sollten, sondern nur in konkreten und nachvollziehbaren Einzelfällen.

Die Reproduktionsmedizinerin Dr. Petra Kaltwaßer ging in ihrem Vortrag „Familienplanung – Fertilitätsschutz für Frauen und Männer“ neben medizinischen Hintergründen auch auf das sog. Social Freezing ein und äußerte Vor- und Nachteile eines solchen Angebots durch Arbeitgeber.

Sie betonte die Unwissenheit über die Auswirkungen vieler Stoffe, nicht nur auf die Menschen, die damit in Kontakt kommen, sondern auch deren Nachkommen. Im Arbeitskontext wirkten sich zudem Faktoren wie finanzielle Sicherheit, Vereinbarkeit von Beruf und Familienplanung sowie Kinderwunsch, Elternzeit und Schwangerschaft nicht als Stigma anzusehen positiv aus.

Im Anschluss diskutierten die Teilnehmer das Verhältnis zwischen allgemeinem Lebensrisiko und Verantwortung der Arbeitgeber und spannten den Bogen zum Arbeits- und Gefahrstoffschutz. Nebe beschrieb die Sensibilität für Mutterschutzanforderungen in Bereichen, in denen Arbeit mit Gefahrstoffen erfolgt, als hoch, während es anderswo kaum ein dahingehendes Problembewusstsein gebe.

Der erste Veranstaltungstag schloss mit einer Podiumsdiskussion mit Caroline Rigo, Referatsleiterin Tarifpolitik und Arbeitsrecht beim ZDH, Silke Raab, DGB Bundesvorstand, und Dr. Andrea Ritschel, Stabstelle Vielfalt und Chancengleichheit, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, zum Thema „Diskriminierungsfreier Mutterschutz“ und der Frage, ob dieser „Teil einer vereinbarkeits- und gleichstellungsgerechten Arbeitsorganisation“ ist.

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Laut Rigo sei die Information und Beratung der Arbeitgeber und Schwangeren sowie die Aufklärung Ersterer über ihre Pflichten dabei der wichtigste Gelingensfaktor. Mutterschutz werde häufig als „Frauenthema“ wahrgenommen. Hier habe die Reform Bewusstsein geschaffen und Bewegung in das Thema gebracht.

Raab verwies auf die Erforderlichkeit von Kenntnissen zur betrieblichen Umsetzung, welche nicht ausreichend verbreitet seien. Zudem sei auch das Bewusstsein über die Stellung des Mutterschutzes im Kontext von Beruf und Familie Voraussetzung dafür, dass Frauen, die ohnehin mit gebrochenen Erwerbsbiografien konfrontiert sind, gut durch die Zeit des „Elternwerdens“ kommen und die Unterbrechungen der Berufstätigkeit nicht länger werden, als sie es ohnehin schon sind.

Ritschel vertrat die Meinung, dass Bewusstsein größtenteils vorhanden ist, Unterschiede sich jedoch aus unterschiedlicher Fächerkultur und damit zusammenhängender unterschiedlicher Häufigkeit von Schwangerschaften ergäben.

In der Praxis zeigten sich laut Rigo besonders Klein- und Kleinstunternehmen schnell überfordert, was nicht an mangelndem Verantwortungsbewusstsein, sondern der Komplexität der Regelungen liege. Jedoch seien gerade KMUs kreativ, wenn es darum geht, ihren Betrieb attraktiver zu machen – auch getrieben vom Fachkräftemangel. Das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf werde inzwischen als wichtiges Thema gesehen, um Fachkräfte zu sichern.

Auf Nebes Anmerkung, dass solche Herangehensweisen Frauen oft zur Arbeitsmarktreserve degradierten, die bei Bedarf gerufen und danach fallen gelassen werden, räumte Rigo einen gesamtgesellschaftlichen Aufholbedarf in Deutschland hinsichtlich der Stellung von Frauen im Erwerbsleben ein und wünschte sich gleichzeitig mehr Flexibilität bei Beteiligungs- und Freistellungsmöglichkeiten des anderen Elternteils.

Raab sieht guten betrieblichen Mutterschutz als „ganz wesentliche Voraussetzung“ der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie kritisierte zudem die betriebliche Umsetzung und wünschte sich mehr Betriebsvereinbarungen.

Am zweiten Veranstaltungstag standen Vorträge zu den Themen Mutterschutz und Kommunikation aus Sicht der niedergelassenen sowie der Betriebsärzte und die „Geburtshilfliche Versorgung: Problemlagen und Schritte zur Qualitätsentwicklung“ auf dem Programm.

Redaktion (allg.)

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„Lebensphase Elternwerden“: Tagung rund um den Mutterschutz
Seite 62 bis 63
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