Offboarding

Wertschöpfung durch Wertschätzung im Trennungsprozess

Unternehmen investieren erhebliche Ressourcen in die Gewinnung und Einarbeitung neuer Mitarbeiter, um ihnen den Einstieg zu erleichtern und sie rasch ins Unternehmen zu integrieren, sodass sie sich wohl fühlen und bleiben. Doch sobald eine Person vorhat, das Unternehmen zu verlassen, entwickeln sich negative Emotionen und Hilflosigkeit, wie damit umzugehen ist. Manchmal fallen Kommentare wie „Reisende soll man nicht aufhalten“. Während Führungskräfte sich ggf. angezählt fühlen, weil ihre Führungskompetenz damit infrage gestellt werden könnte, erleben Teams die Nachricht in vielerlei Hinsicht als verstörend. Was häufig fehlt, ist ein strukturierter und umfassender Offboarding-Prozess, ´der über das übliche Exit-Gespräch mit HR hinausgeht und die Fachbereiche einbezieht.

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 Bild: Sukifli.D/stock.adobe.com
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Damit das Offboarding greifbarer wird, möchte ich den Prozess anhand der Protagonistin Silvia erzählen.

Silvia ist 38 Jahre alt. Sie arbeitet seit fünf Jahren bei einem Hersteller für hochkomplexe Kunststoffe. Das Unternehmen ist ein Hidden Champion und beschäftigt 350 Mitarbeiter. Sie ist eine absolute Expertin und das Unternehmen hat lange gesucht, bis es sie einstellen konnte. Silvia ist Produktentwicklerin und eher introvertiert. Sie ist hoch innovativ und hat viele neue Ideen. Es gibt keine regelmäßigen Entwicklungsgespräche oder interne Weiterbildungsangebote, weshalb sie sich in ihrer Freizeit immer wieder weiterbildet. Ihr Ziel ist es, irgendwann eine Führungsrolle einzunehmen, damit sie mehr Einfluss hat, um Ideen umzusetzen.

Mit ihrer Führungskraft spricht sie darüber nicht, da sie ihr nicht das Gefühl geben will, an ihrem Stuhl zu sägen. Der HR-Bereich ist eher mit der Verwaltung der Belegschaft beschäftigt, denn mit Mitarbeiter- und Organisationsentwicklung. Als Silvia hört, dass eine Führungskraft in einer anderen Abteilung das Unternehmen verlassen wird, wendet sie sich an HR, um ihr Interesse an der Position zu bekunden. Dort sagt man ihr, dass ihre Führungskraft wahrscheinlich nicht begeistert sein wird, immerhin hat Silvia eine wichtige Experten-Position, die nicht leicht zu ersetzen ist. Eigentlich ist sie unabkömmlich. Dennoch verspricht man ihr, sich darum zu kümmern. Vier Monate später erfährt sie durch die interne Mitarbeiterzeitung, dass die Position von einem externen Kandidaten übernommen wird. Sie ist frustriert. Nicht nur weil sie in dem Bewerbungsprozess nicht berücksichtigt wurde, sondern vor allem weil es kein Gespräch hinsichtlich ihrer Entwicklungswünsche und -möglichkeiten gab. Sie entscheidet sich, ihr Glück außerhalb des Unternehmens zu suchen. Nach einigen Wochen findet sie ein Unternehmen, welches ihr die Chance bietet, ein kleines Team zu führen. Nachdem sie den Vertrag unterschrieben hat, kündigt sie.

Ihre Führungskraft, nennen wir sie Bernd, ist entsetzt, als Silvia über ihren Schritt informiert. Bernd fragt, warum sie sich nicht an ihn gewandt hat. Sicher hätte er seinen Job nicht an sie abgetreten, aber er hätte gerne mit ihr gemeinsam geschaut, welche Alternativen es im Unternehmen gibt. Sie erzählt ihm von der Führungsstelle, die nun von einem Externen besetzt wird. Was also tun? Er bittet Silvia, ihre Kündigung mit HR zu besprechen, vielleicht gibt’s Optionen, an die man bisher nicht gedacht hat? So macht Silvia einen Termin bei HR und nimmt ihre Kündigung mit, die sie von dort auch bestätigt haben möchte. Sie bekommt nun erstmal eine Kündigungsbestätigung und das Versprechen, dass die HR-Leiterin mit einem Gesprächstermin auf sie zukommt. In diesem Termin erkundigt sich die HR-Leiterin nach den Gründen. Es folgt das eigentlich längst überfällige Entwicklungsgespräch und die Erklärung, weshalb sie nicht berücksichtigt wurde. Ob sie sich dennoch vorstellen könnte, zu bleiben? Silvia, die sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hat, zumal sie sich in ihrem Team sehr wohl fühlt, sagt ab. Ob sie bleiben würde, wann man ihr mehr Geld gibt und bei nächster Gelegenheit eine Führungsposition überträgt? Nein, um Geld ging es Silvia dabei nicht. Sie bleibt bei der Entscheidung.

Im nächsten Schritt trommelt Bernd das Team zusammen und informiert, dass Silvia das Unternehmen verlässt. Die Schockwellen sind spürbar! Keiner sagt was. Einige reagieren traurig, andere wütend. Silvia weiß auch nicht richtig, was sie sagen soll. Bernd ergreift das Wort und beschwichtigt das Team. „Wir schaffen das schon“ und „wir kümmern uns sofort um Ersatz“. So richtig hört ihm keiner zu. Jeder geht erstmal an seinen Arbeitsplatz zurück. An arbeiten ist allerdings nicht zu denken. Nach zweieinhalb Monaten ist Silvias letzter Arbeitstag. Sie hat einen Laufzettel bekommen, was zu tun ist: Laptop abgeben, Mitarbeiterzutrittskarte abgeben, Zeugnis abholen. Nachdem sie alles erledigt hat, gibt es einen kleinen Umtrunk im Team. Es gibt einen Blumenstrauß vom Chef und einen Sauna-Gutschein vom Team. Seit dem Mittag konnte sie nicht mehr auf ihre Systeme zugreifen. Die IT hat ihren Account schon gelöscht. Eigentlich wollte sie noch eine E-Mail an die Kollegen der anderen Abteilungen schreiben, sich für die Zusammenarbeit bedanken. Mit einem Kloß im Hals und den Blumen im Arm verlässt sie das Unternehmen.

Trennung als Chance

Was denken Sie, wenn Sie das lesen? So schlecht ist die Trennung doch gar nicht gelaufen, oder? Kommt Ihnen das bekannt vor?

Silvia jedenfalls ist voller Vorfreude auf ihre neue Herausforderung und den neuen Start, hat jedoch auch ein wenig Sorge, wie gut sie im neuen Unternehmen zurechtkommt. Ob sie der Aufgabe wirklich gewachsen ist. Sie ist aber auch traurig und enttäuscht. Denn sie wird ihr Team vermissen. Sie hat sich im Unternehmen wohl gefühlt. Aber sie fühlte sich auch übergangen und irgendwie ausgenutzt. Denn dem Unternehmen war es wichtiger, sie als Fachexpertin zu behalten, als sie zu befördern. Eigentlich hat sich in all den Jahren niemand wirklich um sie gekümmert. Niemand wollte wissen, was sie vorhat, was ihre Ziele sind. Das bekümmert sie.

Silvia erlebte ihre Trennung also mit ambivalenten Gefühlen und Gedanken. Sie wäre im Unternehmen geblieben, hätte man ihr Entwicklungsmöglichkeiten geboten. So, wie es Silvia geht, geht es laut einer McKinsey-Umfrage aus dem Jahr 2022 34 % aller Menschen, die ihr Unternehmen verlassen. 36 % verlassen das Unternehmen aus Unzufriedenheit über die Führungskraft und 39 %, weil sie mit der Bezahlung nicht mehr einverstanden sind.

Silvia wird dieses Unternehmen wahrscheinlich vergessen, denn auch sie wird vergessen werden, da es keinen strukturierten Offboarding-Prozess gibt.

Dieses Unternehmen hat unterschiedliche Chancen vertan. Und am Ende nicht daraus gelernt. Das, was mit Silvia passiert ist, wird wieder passieren. Vielleicht in einer anderen Abteilung.

Wie Unternehmen das Momentum der Trennung nutzen können, um organisationale Veränderungen anzustoßen, möchte ich Ihnen in diesem Artikel vermitteln.

Unternehmen dürfen in der Zukunft verstehen, dass die Auswirkungen auf das Employer Branding stark damit verknüpft sind, wie ein Mitarbeiter seine Trennung erlebt.

Erlebt er das Offboarding unternehmensseitig als bloßen Verwaltungsakt, kann der liebgemeinte Abschied des Teams es nicht rausreißen. Selbst wenn es ein Gespräch mit HR gibt und man versucht, den Mitarbeiter zu halten, wie es bei Silvia war, wird ein fader Beigeschmack bleiben. Ein Gefühl von „schade eigentlich“.

Kündigen Menschen, weil sie mit der Führungskraft unzufrieden sind, kann es sogar sein, dass sie sich abgekanzelt und verstoßen fühlen. Vielleicht trauen sie sich auch nicht, die wahren Gründe zu benennen, immerhin wünschen sie sich noch ein gutes Zeugnis. Es liegt nahe, dass die Führungskraft die Kündigung persönlich nimmt und es kein klärendes Gespräch mehr gibt. Vielleicht wird die Kommunikation bis zum Ausscheiden auch auf ein Minimum reduziert. Einige Teammitglieder werden wahrscheinlich auch keine Fans der Führungskraft sein und ihrerseits Kündigungsgedanken hegen.

Es gibt natürlich auch den umgekehrten Fall, dass Arbeitgeber versuchen, ihre Belegschaft sozialverträglich zu reduzieren und hierfür Freiwilligenprogramme anbieten. Auch hier spielt der Trennungsprozess eine große Rolle und zwar nicht nur für diejenigen, die nach einigen Jahrzehnten das Unternehmen verlassen. Fehlen hier Respekt und Wertschätzung für das Geleistete, wirkt sich das auch auf die verbleibende Belegschaft aus.

„Der Kunde ist König“ – der Mitarbeiter auch

Wie Menschen ihren ehemaligen Arbeitgeber bewerten, kann man bei kununu nachlesen. Laut der Studie „Infoteilhabe: Information und Teilhabe durch Nutzerbewertungen“ der Hochschule Pforzheim ist zwar noch nicht ausreichend erforscht, wann und warum Kunden Bewertungen abgeben. Jedoch gibt es zahlreiche Untersuchungen und Statistiken zur Nutzung von Bewertungsportalen. Darin gibt es Hinweise darauf, dass eine direkte und offene Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass Kunden auf externe Bewertungsportale zurückgreifen. Wenn Unternehmen proaktiv Feedback einholen und auf die Anliegen ihrer Kunden eingehen, fühlen sich diese gehört und wertgeschätzt, was die Notwendigkeit mindert, öffentliche Plattformen für Kritik oder Lob zu nutzen. Ein transparenter Dialog kann somit dazu beitragen, potenziell negative Bewertungen zu vermeiden und die Kundenbindung zu stärken. Daher gehe ich davon aus, dass ein Mensch, ganz gleich ob er in der Rolle des Kunden oder in der Rolle des Mitarbeiters ist, ganz ähnliche Bedürfnisse hat. Nämlich sich gesehen und gehört fühlen möchte.

Wenn Unternehmen also die Trennung nutzen, um in einem strukturieren Offboarding-Prozess aktiv nach Feedback zu fragen, reduzieren sie damit die Gefahr negativer Bewertungen auf Kununu und Co.

Trennungsprozess verstehen und gestalten

Was passiert zur gleichen Zeit mit dem verbleibenden Team? Diese Perspektive ist aktuell noch völlig unterrepräsentiert. Dabei beeinflusst das Trennungserlebnis die Produktivität der verbleibenden Mitarbeiter. Wenn sie einen geschätzten Kollegen verlieren, durchlaufen sie häufig einen Prozess, der dem Trauerprozess ähnelt. Vom Schock über die Negierung, den aktiven Widerstand und das Tal der Tränen, vor allem wenn die Trennung auf Unzufriedenheit zurückzuführen ist und ähnliche Gefühle im Team vorhanden sind. Es liegt an der Führungskraft sie durch diesen Prozess zu begleiten, damit sie handlungsfähig bleiben und am Ende gestärkt daraus hervorgehen.

Emotionale Dimension: Trauerphasen im Team

Wenn eine geschätzte Person das Unternehmen verlässt, kann dies beim Team emotionale Reaktionen auslösen. Angelehnt an die Trauerforschung durchlaufen Teams häufig folgende Phasen:

  1. Schock und Verleugnung: „Das kann nicht sein! Warum geht er/sie wirklich?“
  2. Wut und Frustration: „Das ist unfair. Wir brauchen ihn/sie noch!“
  3. Verhandlungsphase: „Vielleicht können wir ihn/sie umstimmen?“
  4. Depressive Phase: „Wie soll es ohne ihn/sie weitergehen?“
  5. Akzeptanz und Neuausrichtung: „Jetzt müssen wir nach vorne schauen.“

Führungskräfte sollten diesen Prozess aktiv begleiten, indem sie Raum für Austausch schaffen, offene Fragen klären und Perspektiven für die Zukunft aufzeigen.

Wie kann es also besser gehen? Was ist ein wertschätzendes Offboarding und warum wirkt es sich wertschöpfend aus?

Hier können HR und die Führungskräfte der Fachbereiche Hand in Hand Verantwortung übernehmen.

Die Rolle der Führungskraft

Führungskräfte haben eine zentrale Verantwortung, wenn es um den Trennungsprozess geht. Oft wird dieser als reine HR-Aufgabe betrachtet, doch tatsächlich können Führungskräfte die entscheidenden Multiplikatoren für ein wertschätzendes Offboarding sein.

Ihre Aufgaben umfassen:

Klare Kommunikation: offene Gespräche mit der ausscheidenden Person, um Verständnis für deren Beweggründe zu gewinnen und einen professionellen und wertschätzenden Abschied zu gestalten.

Transparenz gegenüber dem Team: Mitarbeiter müssen rechtzeitig über anstehende Veränderungen informiert werden, um Unsicherheiten und Gerüchte zu vermeiden. Idealerweise werden sie in den Rekrutierungsprozess des neuen Kollegen integriert.

Begleitung der emotionalen Dynamik: Eine Kündigung beeinflusst nicht nur die betroffene Person, sondern auch das Team. Hier sind Führungskräfte gefordert, den Trauerprozess aktiv zu moderieren.

Wissenstransfer sicherstellen: Ein strukturierter Übergabeprozess kann helfen, wertvolles Know-how für das Unternehmen zu bewahren.

Generation Z und die steigende Fluktuation

Während die Baby-Boomer noch mindestens acht bis zehn Jahre bei einem Arbeitgeber blieben, häufig auch ihr gesamtes Arbeitsleben, haben sich die Erwartungen jüngerer Generationen an Arbeitgeber verändert. Laut einer Studie von Deloitte (2022) planen rund 40 % der GenZ-Beschäftigten, ihr Unternehmen in den nächsten zwei Jahren zu verlassen. Die wichtigsten Gründe:

  • Mangelnde Entwicklungsperspektiven
  • Unzufriedenheit mit der Work-Life-Balance
  • Fehlende Wertschätzung durch das Unternehmen
  • last but not least:Sie wollen sich ausprobieren.

Diese Wechselbereitschaft macht es für Unternehmen umso wichtiger, den Trennungsprozess professionell zu gestalten, denn gerade die Gen Z könnte später zu einem vorherigen Arbeitgeber zurückkehren. Insgesamt hat ein wertschätzender Abschied aber das Potenzial, Mitarbeiter jeder Generation später als sog. „Boomerang Employees“ zurückzugewinnen.

Fahrplan des Abschiedsprozesses

  1. Informieren und Reflektieren

Das Team wird sofort über die Kündigung des Kollegen informiert. Die Führungskraft steht anschließend für Fragen zur Verfügung. Am nächsten Tag erfolgt ein Meeting, in dem das Team offen über die Auswirkungen sprechen kann.

  1. „First Aid“ im Rahmen des Austrittsgesprächs durch HR

Es erfolgt ein Gespräch zwischen dem ausscheidenden Mitarbeiter und HR. Unter vier Augen werden die Gründe der Kündigung besprochen. Vielleicht gibt es hier noch die Chance, den Mitarbeiter zum Bleiben zu motivieren. Auf seine Wünsche einzugehen, sofern sie gerechtfertigt und nachvollziehbar sind.

  1. Planung der Team-Retrospektive

Kurz nachdem die Kündigung feststeht, wird die Team-Retro terminiert. Sie findet idealerweise eine Woche vor dem letzten Arbeitstag statt. Das Team ist dann bereits in der Phase der Akzeptanz

  1. Kollegen zum gegenseitigen Feedback einladen

Der ausscheidende Mitarbeiter lädt zwei bis drei Kollegen aus seinem Team zur Team-Retrospektive ein.

  1. Durchführung der moderierten Team-Retrospektive

Eine Woche vor dem letzten Arbeitstag ist es so weit. Mit Unterstützung eines Moderators geben die eingeladenen Teammitglieder sowie der ausscheidende Mitarbeiter sich gegenseitig Feedback. Ziel ist, Einsichten aus verschiedenen Perspektiven zu sammeln, damit der ausscheidende Mitarbeiter und seine Kollegen erkennen, was sie beim nächsten Team anders oder besser machen oder auch beibehalten können. Der Clou ist jedoch, dass das Unternehmen Feedback bekommt: Was hat der ausscheidende Mitarbeiter wirklich vermisst? Was sind die Gründe seiner Kündigung? Die Kollegen teilen ebenfalls ihre Wünsche und machen Verbesserungsvorschläge:

  • Was ist in unserer Zusammenarbeit gut gelaufen?
  • Wo ist Luft nach oben?
  • Was vermissen wir am Unternehmen, an der Führungskraft?
  • Konkrete Verbesserungsvorschläge aufgreifen!
  1. Action-List

Gemeinsam werden Maßnahmen formuliert, um Arbeitsbedingungen für das verbleibende Team und ggf. darüber hinaus zu verbessern. Wichtig ist, dass vorab geklärt wird, wer verantwortlich für die Umsetzung der Vorschläge ist.

  1. Rahmenbedingungen für die Team-Retrospektive

Die Retrospektive dauert ca. 90 Minuten und findet in einem geschützten Raum unter moderierter Leitung statt.

So werden weitere Kündigungen verhindert

Das Team aktiv in den Offboarding-Prozess zu integrieren, ist ein echter Paradigmenwechsel. Denn wenn ein Mitarbeiter kündigt, liegt der Gedanke nah, dass auch andere im Team unter den Rahmenbedingungen leiden und weitere Kündigungen folgen könnten. Studien belegen den berüchtigten „Domino-Effekt“. Er kann ganze Abteilungen aushöhlen. Denn in Zeiten von Fachkräftemangel kann davon ausgegangen werden, dass der neue Arbeitgeber des ausscheidenden Mitarbeiters, weitere Vakanzen hat und sich über Empfehlungen freut und sie sogar durch inzwischen übliche „Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter“-Prämien honoriert.

Ein Business Review der London School of Economics aus dem Jahr 2022 belegt, dass die Kündigungsrate von hochqualifizierten Mitarbeitern innerhalb von drei Monaten um 18 % steigt, nachdem ein Top-Performer das Unternehmen verlassen hat.

Im besten Fall jedoch empfindet der ausscheidende Mitarbeiter eine starke Wertschätzung. Er wurde gehört, bekam wertvolles Feedback und konnte aktiv dazu beitragen die Arbeitsbedingungen für die verbleibenden Kollegen zu verbessern.

Und das zurückbleibende Team? Wurde von seiner Führungskraft professionell begleitet, weil sie zu jeder Zeit wusste, wo das Team steht und was es gerade braucht, um trotz der Trauerphase nicht in eben dieser zu versinken, sondern positive Wege für die Zukunft gestalten können. Auch die Teammitglieder wurden angehört und ernst genommen. Sie hatten Gelegenheit sich von ihrem Kollegen zu verabschieden und haben wertvolles Feedback erhalten.

Re-Hiring und Boomerang

Auch wenn es nicht unbedingt auf alle ausgeschiedenen Mitarbeiter zutrifft, gibt es doch eine immer größer werdende Gruppe, die eventuell bereit ist zum ehemaligen Arbeitgeber zurückzukehren – vorausgesetzt sie haben ihren Offboarding-Prozess positiv erlebt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Ehemaligen kennen das Unternehmen und seine Kultur (die sich hoffentlich positiv weiterentwickelt). Sie haben anderswo Erfahrungen gesammelt, die sie jetzt zum Vorteil des Ex-Arbeitgebers einbringen können. Wie kann das jedoch aktiv gesteuert werden?

  • Händigen Sie ausscheidenden Mitarbeitern ein „Welcome-back-Ticket“ aus, welches ihnen garantiert, bei einer passenden Vakanz sofort zum Gespräch eingeladen zu werden, ohne den Bewerbungsprozess zu durchlaufen.
  • Laden Sie Ehemalige zu Sommerfesten ein.
  • Vernetzen Sie sich mit Ehemaligen, am besten gleich zu Beginn der Beschäftigung, und verfolgen sie deren Werdegang, liken und kommentieren deren Beiträge.
  • Schicken Sie Ihnen weiterhin den Belegschafts-Newsletter und halten sie so auf dem Laufenden.
  • Wenn Sie die Erlaubnis haben, können Sie auch zum Geburtstag gratulieren.

Halten Sie unbedingt in den ersten sechs Monaten (Probezeit im neuen Unternehmen) engen Kontakt. Nicht selten entpuppt sich der Job oder der Arbeitgeber doch nicht so, wie erhofft. Fragen Sie nach, wie der Einstieg gelaufen ist, wie das Onboarding läuft und ob der neue Job Spaß macht. Oder bieten Sie Vakanzen proaktiv an. Bleiben Sie am Ball, es wird sich lohnen.

Häufige Fehler und wie man sie vermeidet

Fehlendes Offboarding kann zu erheblichen negativen Konsequenzen führen. Drei typische Fehler sind:

  1. Kein strukturierter Offboarding-Prozess

Viele Unternehmen haben keinen klar definierten Ablauf für den Austritt von Mitarbeitern. Das führt zu Chaos, Wissensverlust und Unsicherheit im Team.

Besser:

  • Checklisten und standardisierte Prozesse entwickeln
  • Frühzeitig mit der Planung beginnen und Schritt für Schritt durchführen
  1. Keine Kommunikation mit dem Team

Verbleibende Mitarbeiter fühlen sich oft übergangen, wenn ein Teammitglied plötzlich verschwindet.

Besser:

  • Ein offenes Gespräch führen und Unsicherheiten adressieren
  • Gemeinsame Abschiedsformate etablieren
  1. Exit-Interviews als Formsache

Häufig werden sie nur pro forma durchgeführt, ohne echten Mehrwert zu generieren.

Besser:

  • Gezielt nach Verbesserungspotenzialen fragen
  • Erkenntnisse systematisch auswerten und nutzen

Team-Retrospektive als Lernprozess

Ein innovativer Ansatz, um Offboarding strategisch zu nutzen, ist die „Team-Retrospektive“, wie sie bereits beschrieben wurde. Gerade hier bietet sich die Möglichkeit, offen Feedback zu geben und gehört zu werden. Und zwar für Teile des verbleibenden Teams und den ausscheidenden Mitarbeiter. Ziel ist es, aus der Trennung wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen:

  • Was macht das Unternehmen bisher richtig gut?
  • Wo muss die Organisation besser werden?
  • Welchen Entwicklungsbedarf haben die Führungskräfte?

Wenn Sie die Team-Retrospektive nutzen, können Sie wertvolle Signale in die Belegschaft senden: „Wir haben verstanden, dass es Verbesserungsbedarf gibt und wir hören euch zu“. Sie können regelmäßig über ihre Fails und Learnings sprechen, eine Lernkultur etablieren und die Mitarbeiter involvieren. Es wirkt sich positiv auf die Belegschaft aus, wenn sie mitgestalten kann, und entwickelt Strahlkraft über das Unternehmen hinaus, zieht neue Talente an und macht Sie für Ehemalige wieder attraktiv.

Fazit

Ein professionelles Offboarding ist eine Investition in die Zukunft des Unternehmens. Deshalb sollte ein professionelles Offboarding ein essenzieller Bestandteil des Employee Life Cycle sein. Denn es ist die Chance, die Teamdynamik zu stabilisieren und ehemalige Mitarbeiter als wertvolle Markenbotschafter zu gewinnen. Außerdem bietet es die einmalige Chance für Unternehmen, zu lernen und sich zu verbessern.

Natalia Hoffmann-Demsing

Natalia Hoffmann-Demsing
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· Artikel im Heft ·

Offboarding
Seite 42 bis 45
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Richtig auf das Trennungsgespräch vorbereiten

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Schneller, flexibler und kundenorientierter? Längst machen die Anforderungen der VUKA-Welt (VUKA steht für