Die Ausgangssituation
Ein mittelständisches Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie mit 1.200 Mitarbeitern hat seit seiner Gründung die Belegschaft nach einem betrieblich gewachsenen Entgeltsystem, getrennt nach Arbeitern und Angestellten und unter starker Honorierung der Betriebszugehörigkeit, vergütet. Im Jahr 2019, ausgelöst durch den Wettbewerb am Arbeitsmarkt, gestaltete das Unternehmen sein gewachsenes Entgeltsystem neu und praktizierte dabei Good Pay.
Dies steht für qualitativ und quantitativ anspruchsvolle Vergütungssysteme, die auf die betriebliche Situation in den Unternehmen passgenau zugeschnitten und für die Mitarbeiter transparent und nachvollziehbar sind. Der Anspruch, die Entgeltsysteme gerecht zu gestalten, bezieht sich auf die von den Unternehmen formulierten Werte und Ziele, die Unternehmenskultur und die bewährten Erfolgsfaktoren.
Voraussetzungen und Inhalte
Good Pay steht für die betriebliche Gestaltung von Entgeltsystemen, dabei sind zwei Voraussetzungen zu beachten:
- Das Entgeltsystem muss am relevanten Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig sein.
- Die Wertschöpfung des Unternehmens muss so hoch sein, dass das Entgeltsystem finanzierbar ist.
Wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, kann das Entgeltsystem als Good Pay gestaltet werden. Dabei kann der betriebliche Gestaltungsrahmen genutzt werden, um das Vergütungssystem passgenau auf die betriebliche Situation zuzuschneiden.
Good Pay geht von den Erfolgsfaktoren und Werten des Unternehmens und den daraus abgeleiteten Arbeits- und Führungsstrukturen sowie den Anforderungen an die Mitarbeiter, ihre Qualifikation, Eigeninitiative, Flexibilität und Einsatzbereitschaft aus. Die Werte des Unternehmens und die Arbeitsstrukturen müssen mit dem Entgeltsystem „stimmig“ sein. Das Ganze steht für die strukturale Führung, die die personale Führung ergänzt.
Der Gestaltungsprozess
Betroffene werden im Gestaltungsprozess eines Entgeltsystems bei Good Pay zu Beteiligten. Um die Ziele eines Unternehmens zu erreichen und die Erfolgsfaktoren zu stärken sowie die Wertvorstellungen in das Entgeltsystem zu integrieren, werden neben der Geschäftsleitung auch die Mitarbeiter bzw. ihre Vertreter, die Betriebsräte, einbezogen. Dieser Gestaltungsprozess benötigt i.d.R. Impulse und Denkanstöße von außen, weil sonst häufig unbewusst schnell wieder auf das altbekannte „ERA-Muster“ zurückgegriffen wird.
Es hat sich bewährt, den Gestaltungsprozess des gerechten unternehmensspezifischen Entgeltsystems als Projekt zu organisieren und zügig daran zu arbeiten. Typischerweise durchläuft der Gestaltungsprozess drei Phasen:
- Die qualitative Phase, in der die Ziele des Vergütungssystems erarbeitet und konkretisiert werden.
- Die quantitative Phase, in der die qualitativen Ziele quantitativ umgesetzt und die Auswirkungen auf Unternehmen und Mitarbeiter in sog. Schattenrechnungen ermittelt und bewertet werden.
- Die rechtliche Phase, in der die neue Entgeltordnung vereinbart und auf neue Arbeitsverträge bzw. die Ergänzung der Arbeitsverträge abgestimmt wird.
Das eingangs beschriebene mittelständische Unternehmen ist Weltmarktführer in seiner Branche und stellt die Kunden und ihre Anforderungen in den Mittelpunkt von Produkten und Service. Die komplexen Maschinen, Investitionsgüter für die Kunden, im Wert von mehreren Millionen Euro pro Stück werden in kleinen Stückzahlen, z.T. sogar Stückzahl eins, hergestellt. Die Fertigungstiefe ist sehr hoch, um eine hohe Flexibilität in der Lieferkette – auch bei kurzfristigen Kundenbestellungen – zu gewährleisten.
Die Erfolgsfaktoren des Unternehmens sind die hohe Kundenorientierung, die hohe Fertigungstiefe und qualifizierte Mitarbeiter, die entlang der Prozesskette relativ flexibel eingesetzt werden können. Hinzu kommt der hohe Nutzungsgrad der Maschinen und Anlagen in der Bearbeitung im Dreischichtbetrieb sowie die Montage im Zweischichtbetrieb und als Kapazitätspuffer eine Frühschicht am Samstag von (nur) sechs Stunden. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden.
Aufbau des betrieblichen Entgeltsystems
Das Entgeltsystem orientiert sich einerseits an der ERA-Philosophie und unterscheidet zwischen einem Grund- und einem Leistungsentgelt. Zudem sind Zuschläge für besondere Belastungen (Lärm etc.) und Schichtzulagen vorgesehen. Ziel war es, dass die Mitarbeiter ein höheres Monatseinkommen erhalten als diejenigen Mitarbeiter in der Metall- und Elektroindustrie sowie der Stahlindustrie im Umfeld. Hierzu sollte nicht allein die 40-Stunden-Woche beitragen, sondern auch der Stundenlohn, der unter Einbeziehung der Schichtzuschläge über dem der Wettbewerber liegen sollte. Das Grundentgelt lag ca. 10 % unterhalb des Stundenlohns des ERA. Das Leistungsentgelt wurde pauschal nach Abschluss der Probezeit als Zulage i. H. v. 10 % des Grundentgeltes und nach einem Jahr i. H. v. 5 % (Tarifvertrag zusammen 10 %) aufgrund einer Zeitautomatik gezahlt. Auf eine individuelle Leistungsbeurteilung wurde verzichtet. Die Mitarbeiter in der Frühschicht erhielten einen Frühschichtzuschlag von 15 % (Tarifvertrag 0 %) und eine Spätschichtzuschlag von 25 % bis 20 Uhr (Tarifvertrag 15 %) und 40 % bis 22 Uhr (Tarifvertrag 25 %). Der Nachtschichtzuschlag betrug 40 % (Tarifvertrag 25 %). Das im Vergleich zu ERA geringere Grundentgelt wurde durch die Leistungszulage und die Schichtzuschläge überkompensiert. Die Mitarbeiter – nicht nur der Generation Z – lernten so den Wert der (oft ungeliebten) Schichtarbeit schätzen, die ein wichtiger Erfolgsfaktor des Unternehmens war und ist. Die kurzen, attraktiven Samstagvormittagsschichten, für die – außerhalb des Jahresarbeitszeitkontos – Mehrarbeitszuschläge gezahlt wurden, waren beliebt und wurden bei Bedarf freiwillig geleistet. Die Jahressonderzahlungen, wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, T-ZUG und Transformationsgeld, wurden analog zum Tarifvertrag gezahlt.
Aufgrund der attraktiven Stundenlöhne unter Berücksichtigung der Zuschläge und nicht zuletzt der 40-Stunden-Woche war das Monatseinkommen der Mitarbeiter attraktiv und mehr als wettbewerbsfähig. Das Unternehmen kann so, auch in Zeiten des Facharbeitermangels und der Anforderungen der Generation Z an ihre Arbeit, am Arbeitsmarkt bestehen.
Ein weiteres Praxisbeispiel: Das Eisenberger Modell
Die Waldkliniken Eisenberg in Thüringen und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di haben sich auf einen neuen Haustarifvertrag geeinigt, der den Interessen der Einrichtung und der Mitarbeiter Rechnung trägt. Die Tarifvertragsparteien haben sich dabei ebenfalls am Konzept Good Pay orientiert und aus ihrer Sicht einen für die Branche zukunftsweisenden Haustarifvertrag abgeschlossen.
Die Ausgangssituation in der Pflegebranche
Die Waldkliniken Eisenberg sind ein erfolgreich wirtschaftendes Unternehmen, das 2008 die Anwendung des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) aufgekündigt hat. Die Geschäftsführung ging aktiv auf ver.di zu, um gemeinsam einen Haustarifvertrag zu entwickeln, der auf die Situation in der Pflege zugeschnitten ist und sowohl die Interessen der Einrichtung als auch die der Mitarbeiter angemessen berücksichtigt.
Für beide Tarifparteien war es wichtig, nicht klassisch zu verhandeln, sondern gemeinsam etwas Neues und Zukunftsweisendes zu entwickeln. Wie im Einzelhandel in den 2000er-Jahren sprach man von „lernender Tarifpolitik“. Im Interesse des Unternehmens lag es, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen, nicht zuletzt, um von 700 Beschäftigten auf ca. 800 Mitarbeiter wachsen zu können.
Für die Belegschaft stand neben der Vergütung ein Belastungsabbau im Mittelpunkt des Interesses, der sich insbesondere in einer reduzierten Arbeitszeit und einer planbaren Freizeit ausdrücken sollte.
Drei Prinzipien von Good Pay
Good Pay geht davon aus, dass die Entgeltsysteme passgenau auf eine Situation der Unternehmen und Mitarbeiter zugeschnitten werden sollen, deshalb sehen Tarifverträge für die öffentliche Verwaltung, die überwiegend von montags bis freitags in Tagschicht arbeitet, anders aus als Tarifverträge für Krankenhäuser, Reha- und Pflegeeinrichtungen, in denen an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden gearbeitet wird. Und wenn die Gesundheitswirtschaft die Tarifverträge, die auf die Verwaltung zugeschnitten sind, anwenden muss, dann knirscht es nicht selten im Gebälk.
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Der Weg zu einem passgenauen Good Pay erfolgt hier in drei Schritten:
- gemeinsam erarbeiten
- gerecht gestalten
- fair umsetzen
Rahmenbedingungen
Zum einen muss Good Pay am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig sein, d.h. die Interessen der Mitarbeiter, mit Blick auf die Wettbewerbssituation am Arbeitsmarkt, angemessen berücksichtigen.
Zum anderen muss die Wertschöpfung der Einrichtung ausreichen, um Good Pay überhaupt zu finanzieren. Das kann bei einer entsprechenden Gestaltung des Tarifvertrags sowohl durch eine geringere Krankheitsquote als auch durch eine höhere Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeiter erreicht werden. Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt sind bzw. werden, kann das Unternehmen – Geschäftsführung und Mitarbeiter bzw. Gewerkschaft – entsprechend der betrieblichen Situation, den Erfolgsfaktoren des Unternehmens und dem Leitbild Good Pay gestalten.
Haustarifvertrag der Waldkliniken
Die Eckpunkte des Haustarifvertrags für die Waldkliniken Eisenberg sind im Wesentlichen:
- Reduktion der Belastungen durch
- schrittweise Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, von 2024 bis 2028 jährlich eine Stunde weniger Arbeitszeit;
- sechs garantiert freie Wochenenden im Quartal;
- Verlängerung des Erholungsurlaubs von 30 auf 31 Tage sowie
- Einführung von Lebensarbeitszeitkonten.
- Erhöhung des Einkommens durch
- 3.000 Euro Inflationsausgleichsprämie, gezahlt in den Jahren 2023 und 2024;
- Tariferhöhungen von bis zu 9 %;
- Nachtzuschläge werden bereits ab 20 Uhr gezahlt;
- Übernahme des Haustarifvertrags auch für die Töchter der Waldkliniken Eisenberg, z. B. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und Reinigung.
Zukunftsperspektive
Der Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg ist ebenso wie der Verhandlungsführer von ver.di davon überzeugt, dass in Eisenberg der Tarifvertrag für das Krankenhaus der Zukunft – für Patienten und für Mitarbeiter – gestaltet wurde. Ihres Erachtens wurde dafür der bestmögliche Rahmen geschaffen. Die Geschäftsführung hat genau hingehört, was für ihre Mitarbeiter wichtig ist, dabei die eigenen Interessen berücksichtigt und so einen ausgewogenen Haustarifvertrag abgeschlossen.
Fazit
Good Pay ist – wie gezeigt – kein Entgeltsystem „von der Stange“, sondern „ein passgenauer Maßanzug“. Die Passgenauigkeit, zugeschnitten auf die
- Wettbewerbssituation,
- Erfolgsfaktoren und
- Arbeitsprozesse sowie
- Mitarbeiterführung und Werte,
erhält die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Mit Good Pay hat die Personalabteilung ein Instrument in der Hand, mit dem sie die Personal- und Entgeltpolitik gestalten und mit den Lösungen identifizieren kann. Sie muss nicht ein „übergestülptes“ Entgeltsystem „stupide“ umsetzen wie ein neues Lohnsteuergesetz oder eine Änderung in der Sozialversicherung.
Eckhard Eyer
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