„Transparenz und Datenschutz sollten nie Selbstzweck sein“
Nach dem schon kontrovers diskutierten Gewerkschaftsentwurf zur Reform des BetrVG gibt es jetzt auch einen DGB-Entwurf für ein Beschäftigtendatenschutzgesetz. Ist das nicht, salopp gesprochen, ein klein wenig zu viel des Reformeifers?
Lelley: Ja, das höre ich oft in letzter Zeit. Schon vor zehn Jahren gab es einen Gesetzentwurf zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes, der ist jedoch gescheitert. Es ist unbestritten, wir haben in vielen Bereichen in Deutschland viel zu tun und vielleicht auch viel zu verändern. Warum wir allerdings den Beschäftigtendatenschutz jetzt oben an die Spitze der Reformagenda setzen sollten, das stößt dann doch bei vielen Unternehmern auf Verwunderung. Es kommt da, denke ich, viel auf Fingerspitzengefühl und Augenmaß an. Den Reformvorschlag des DGB zum BetrVG hatten wir ja in der AuA schon diskutiert. Der Vorschlag wurde, einmal zurückhaltend ausgedrückt, kontrovers aufgenommen. Und das hat die Verfasser sicher auch nicht überrascht. Jetzt nimmt sich der DGB das nächste Thema vor, das seit Jahren hoch umstritten ist. Also zwei heiße Eisen auf einmal. Das kann schnell zu viel werden. Vielleicht schauen wir, ob wir das Arbeitsrecht nicht erst einmal fit machen in den Handlungsfeldern Digitalisierung und Dekarbonisierung? Wir wollen doch, so hören wir es in diesen Tagen aus dem Kanzleramt, ein „klimaneutrales, exportorientiertes Industrieland“ werden.
Klengel: Es geht genau darum: Die digitale Arbeitswelt benötigt moderne Regeln, das Arbeitsrecht muss fit gemacht werden für die digitale Zukunft. Der Beschäftigtendatenschutz ist dafür ein Schlüsselthema. Viele verbinden die DSGVO mit bürokratischen Regeln, die das Leben komplizierter machen. Ob zuRecht oder zu Unrecht: Sie gibt jedenfalls keine klaren Antworten auf viele wichtige Fragen der Arbeitswelt. Der althergebrachte Gedanke, dass es sich beim Arbeitsverhältnis eben nicht um ein normales zivilrechtliches Verhältnis handelt, spielt eben auch für die Frage eine Rolle, was der Arbeitgeber von einem wissen soll und was nicht. Und hier ist etwa die massenhafte Verarbeitung von personenbezogenen Daten der Beschäftigten, die darüber keine ausreichende Handhabe haben, eine eher neue Entwicklung. Rundumüberwachung wird möglich, wo das früher nicht der Fall war. Der Einsatz von Keyloggern ist vom BAG richtigerweise grundsätzlich untersagt worden. Doch es tauchen viele neue Einsatzfelder auf. Die Auswertung der Daten von Bewerbern zum Zweck der Erstellung von psychologischen Persönlichkeitsprofilen, oftmals methodisch überaus fragwürdig, ist ein Beispiel: Kaum ein Bewerber, der den Job will, wird sich dagegen verwahren, doch inwieweit solche Systeme eingesetzt werden dürfen, ist derzeit fraglich. Es sollte, um im Beispiel zu bleiben, Klarheit herrschen, dass eine automatisierte Analyse der Mikrogestik unzulässig ist und zwar auch im Interesse der Unternehmen. Genau das liefert der Gewerkschaftsentwurf.
Schon in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts prägte Wolfgang Däubler den – wohl doch negativ gemeinten – Begriff der „gläsernen Belegschaften“. Schadet Transparenz denn im Arbeitsleben? Schließlich haben wir ja auch ein Entgeltransparenzgesetz.
Klengel: Eine provokante Frage zu einem zugespitzten Buchtitel. Transparenz ist ein wichtiges Prinzip im Wirtschaftsleben, durch sie werden individuelle Regelverletzungen sichtbar und damit vermieden. Nicht gelten sollte sie für die Persönlichkeit der Menschen, insbesondere wenn sie für die Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses nicht erforderlich ist und sie Rückschlüsse auf die private Sphäre zulassen. Solche Daten sollten im Arbeitsverhältnis, das auch ein Machtverhältnis ist, nicht ohne Weiteres verarbeitet werden. So verstehe ich Wolfgang Däubler, wenn er von „gläsernen Belegschaften“ spricht.
Lelley: Die gläsernen Belegschaften von Herrn Däubler sind ein Klassiker. Und diese Begriffsprägung spiegelt meiner Meinung auch eine gewisse Tragik. Der Begriff hat nämlich vielleicht auch dazu beigetragen, ein gewisses Maß an Technikskepsis und Misstrauen gegenüber Datennutzung in den Unternehmen und Betrieben zu verankern. Das hat dann Jahrzehnte der Rechtsprechung z. B. zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG geprägt.Das war unnötig und ich habe den Eindruck, hier findetauch bei Betriebsräten ein Um- und Weiterdenken statt. Transparenz und Datenschutz im Arbeitsverhältnis sollten eben nie Selbstzweck sein, sondern dienen dem Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs.
Der Datenschutz hat in Deutschland eine lange Geschichte. Da war zunächst von Internet und Digitalisierung noch keine Rede. Welche Herausforderungen bringt die Digitalisierung speziell für den Beschäftigtendatenschutz?
Lelley: Meiner Erfahrung nach bringt zuerst einmal die Digitalisierung für die Betriebe große Herausforderungen. Aber das ist heute schon ein Allgemeinplatz, das wissen wir alle. Und beim Beschäftigtendatenschutz tut die Digitalisierung eigentlich doch genau das, was sie immer tut: Sie ist Treiberin und Chance zugleich. Nicht umsonst wurde ja das Inkrafttreten der DSGVO vor ein paar Jahren als Antwort des (europäischen) Datenschutzes auf die Entwicklungen der Digitalisierung verstanden, genauso wie die damit einhergehende Reform des BDSG. Das war richtig. Der Beschäftigtendatenschutz muss das aufgreifen, er muss technikaffiner sein. Und er darf nicht die Rolle des grundsätzlichen Neinsagers spielen. Ich bin nicht sicher, ob der Entwurf des DGB das schon berücksichtigt hat.
Klengel: Ich meine, dass er das im Blick hat. Die Frage lautet ja auch, was Technik zu einer nachhaltig produktiven und menschengerechten Arbeitswelt beizutragen vermag. Da ist es oftmals nicht die beste Lösung, wenn eine Abteilung praktisch erscheinende Tools anschafft, die in der anderen Abteilung zu einem Zweck eingesetzt werden, für die sie nur ansatzweise geeignet sind, entweder weil sie nicht den Bedürfnissen von Betrieb, Beschäftigten und Mitbestimmung entsprechend konzipiert sind oder weil sie anders eingesetzt werden als vorgesehen. Meine persönliche Wahrnehmung ist: Solche Beispiele häufen sich derzeit leider. So kranken viele Tools, die Entscheidungshilfen bereitstellen sollen, bspw. daran, dass sich ihre Funktionsweise nicht nachvollziehen lässt. Entscheidende Fragen zum Einsatzgebiet, aber auch zur Funktionsweise der Software, lassen sich nur unter Einbeziehung der Beschäftigten klären. Der DGB-Entwurf trägt auch durch seine Transparenzbestimmungen dazu bei, dass die konkreten Bedürfnisse der Arbeitswelt bereits bei der Entwicklung mitgedacht werden und Einsatz neuer Technologien zielgenauer erfolgt, als es derzeit vielerorts der Fall ist.
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Klengel: Dass das Wirtschaftsleben in der Pandemie aufrechterhalten wurde, ist technologischen Entwicklungen zu verdanken, aber auch den Beschäftigten, die bereit waren, unter sehr herausfordernden und stark wechselnden Bedingungen tätig zu werden. Viele mussten tiefe Einschnitte im Privaten hinnehmen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Auch was die Mitbestimmungsgremien angeht, war die Bereitschaft, pragmatisch vorzugehen, während der Pandemie groß, vielerorts hat sich eine neue hybride Normalität herausgebildet. In der Folge haben sich auch Gefühle von Ermüdung, Erschöpfung und einer potenziellen Überwachung eingestellt. Individueller und kollektiver Beschäftigtendatenschutz ist daher auch eine Facette eines nachhaltigen Gesundheitsschutzes – ein Aspekt, der uns sicher noch intensiver beschäftigen wird.
Lelley: Ich bin nicht einer von denen, die sagen, der Datenschutz sei bei der Bekämpfung der Pandemie ein Hindernis gewesen. Auf jeden Fall beim Beschäftigtendatenschutz ist das nicht richtig. Insgesamt haben sich die geltenden Regeln des Beschäftigtendatenschutzes in der Pandemie bewährt. Vielleicht ist der größte Lerneffekt, dass wir jetzt wissen, das und wie die Betriebsparteien mit einer solchen Situation erfolgreich umgehen können.
Halten Sie es für wahrscheinlich, dass wir jetzt unter der Ampelkoalition tatsächlich ein Beschäftigtendatenschutzgesetz bekommen?
Lelley: Wenn ich eine Wette abschließen soll: Ich halte es für unwahrscheinlich. Das Thema ist, wie andere arbeitsrechtliche Themen, Stichwort Arbeitsvertragsgesetzbuch oder gesetzliche Regelung des Streikrechts, ein Dauerbrenner, für den keine Lösung in Sicht ist. Das wird die Ampel nicht ändern können. Aber vielleicht liege ich auch falsch. Nichts ist unmöglich, wie es in der Autowerbung so schön heißt.
Klengel: Den Buchstaben des Koalitionsvertrags zufolge liegt es ja nahe. Die Absicht, Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz zu schaffen, ist dort schwarzauf weiß festgehalten. Dies sollte – schon aus Gründen der Klarheit – in einem eigenen Gesetz erfolgen.
Dr. Ernesto Klengel
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