In einem nicht tarifgebundenen Unternehmen bestand eine Betriebsvereinbarung über das Vergütungssystem, die die Vergütung in Anlehnung an den MTV ERA der Metallindustrie regelt. Im Jahr 2008 trat ein neues Vergütungssystem in Kraft, wonach der Akkordlohn in einen Sockelbetrag umgewandelt wurde. Am 4.12.2020 vereinbarte der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber, dass der Sockelbetrag ab dem 1.1.2022 um 25 % gekürzt wird und die verbleibenden 75 % nicht mehr an künftigen Entgeltanpassungen teilnehmen. Unterzeichnet ist die Betriebsvereinbarung durch den Vorsitzenden des Betriebsrats. Ein betroffener Arbeitnehmer wandte sich gegen die durchgefügte Kürzung des Sockelbetrags und beantragte festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung darüber ihm gegenüber unwirksam sei. Er hatte mit seiner Klage im Ergebnis vor dem LAG Baden-Württemberg Erfolg (Urt. v. 27.11.2023 – 9Sa27/27).
Er machte u. a.geltend, dass ein wirksamer Betriebsratsbeschluss über die Verschlechterung der Vergütung nicht vorliege. Von den 13 Betriebsratsmitgliedern seien insgesamt fünf nicht anwesend gewesen. Es wurde jedoch lediglich ein Ersatzmitglied geladen.
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Das Unternehmen hatte veranlasst, dass ein Genehmigungsbeschluss gefasst wird, mit dem eine etwaige unwirksame Beschlussfassung im Jahr 2020 geheilt wird. Diese Sitzung fand am 25.7.2023 statt. An diesem Termin waren drei Mitglieder verhindert, es wurden jedoch nur zwei Ersatzmitglieder geladen. Der Betriebsratsvorsitzende rechtfertigte das Unterbleiben der Ladung eines dritten Ersatzmitglieds damit, dass sich ein Betriebsratsmitglied im Laufe des Vormittags dieses Sitzungstages krankgemeldet habe und der Sitzungsbeginn bereits um 14:00 Uhr war.
Nach Auffassung des Gerichts waren beide Betriebsratsbeschlüsse unwirksam. Unstreitig waren bei der ersten Sitzung im Jahr 2020 für fünf verhinderte Teilnehmer lediglich drei Ersatzmitglieder geladen worden. Warum dies der Fall war, erschloss sich nicht. Werden Betriebsratsmitglieder nicht zur Sitzung geladen, so ist der Beschluss des Betriebsrats unabhängig von den Abstimmungsverhältnissen immer unwirksam. Wenn der Vorsitzende eine Betriebsvereinbarung auf der Basis eines unwirksamen Beschlusses unterzeichnet, handelt er als Vertreter ohne Vertretungsmacht. Nach der Rechtsprechung des BAG finden die Grundsätze der Anscheinsvollmacht auf das Verhältnis zwischen Betriebsrat und seinem Vorsitzenden keine unmittelbare Anwendung (BAG, Urt. v. 8.2.2022 – 1 AZR 233/21). Die rechtskonforme Ladung der Mitglieder zur Betriebsratssitzung ist Sache des Vorsitzenden. Grundsätzlich kann die damit schwebend unwirksame Betriebsvereinbarung nachträglich mit Rückwirkung genehmigt werden. Allerdings war auch der Beschluss, mit dem die Genehmigung erteilt werden sollte, nicht rechtens, denn für das kurzfristig erkrankte Betriebsratsmitglied war kein Ersatzmitglied geladen worden. Der Betriebsratsvorsitzende hätte alle ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Kommunikationswege ausschöpfen müssen, um die Ladung noch zu bewerkstelligen. Dazu gehört auch der telefonische oder der elektronische Weg. Warum dies unterblieben war, konnte der Arbeitgeber nicht erklären. Er durfte sich auch nicht auf einen Vertrauensschutz berufen, denn aus den vom Betriebsrat ausgehändigten Unterlagen war der Fehler in der Beschlussfassung klar erkennbar. Das Gericht ließ die Revision zum BAG wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Sie ist dort unter dem Az. 1 AZR 35/24 anhängig.
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