Zündstoff für Talente
Die Workforce View Studie 2020 (WFV) von ADP legt offen, dass 83 % der deutschen Mitarbeiter optimistisch in die Zukunft blicken – ein Indikator für den Antrieb im Job. Ein wichtiger Punkt der intrinsischen Motivation scheint also in Deutschland gegeben. Fehlt also nur noch die richtige Prise Volition? So einfach ist es leider nicht.
Angesichts des Wettbewerbs um Talente und der weltweiten Marktanteile vor Covid-19 müssen europäische Arbeitgeber hart daran arbeiten, in Bezug auf Innovationen und Verfahren am Arbeitsplatz ihre Führungsrolle beizubehalten. Digitalisierung und Automatisierung führen dazu, dass sich die Arbeitsaufgaben rasant verändern. Jeder dritte Arbeitnehmer sagt in der WFV, dass es seine derzeitige Rolle vor fünf Jahren noch nicht gegeben hat. Fast ebenso viele gehen davon aus, dass es ihre Rolle in fünf Jahren nicht mehr geben wird. Trotz dieses rapiden Wandels sind die meisten Arbeitnehmer (95 %) zuversichtlich, dass sie die nötigen Fähigkeiten für eine erfolgreiche Karriere haben. Für Arbeitgeber besteht die kritische Herausforderung nun darin, diese Fähigkeiten im Unternehmen zu halten und zu erweitern, um Talenten den nötigen Antrieb zu gewähren.
Arbeitnehmer werden durch Innovationen gefordert, da die Automatisierung ihnen repetitive und manchmal langweilige und fehleranfällige Arbeit abnimmt und ihnen mehr Zeit für Kreativität und mehrwertbringende Aufgaben lässt. Es werden zunehmend andere Fähigkeiten benötigt, da alle Branchen ausnahmslos neue Technologien einführen und ihre Betriebsabläufe schrittweise automatisieren, manuelle Arbeitsvorgänge reduzieren und Geschäftsmodelle – manchmal von Grund auf – ändern. Da viele Unternehmen ihren Betrieb rasch an die neuen Anforderungen des 21. Jahrhunderts anpassen und sich das Konzept des Arbeitsplatzes angesichts der Zunahme der Telearbeit schnell verändert, wird die Nachfrage nach Hightech-Tools und kompetenten Fachkräften, die diese entwickeln und nutzen können, immer größer werden.
Bereits vor dem Ausbruch von Covid-19 gab es einen intensiven Wettbewerb um Talente, der verdeutlichte, dass Arbeitgeber neue Wege finden müssen, um die besten Mitarbeiter anzuwerben und im Unternehmen zu halten. Mitarbeiter haben zunehmend höhere Erwartungen an ihren Arbeitgeber, die vom sozialen Engagement über die Work-Life-Balance und das finanzielle und allgemeine Wohlbefinden bis zur Förderung von Vielfalt reichen.
Kulturwandel zur Qualität
Durch die wirtschaftliche Unsicherheit, Telearbeit und die erhöhten Anforderungen an Schlüsselbranchen wird ein Kulturwandel erforderlich, der die Qualität von Zeit höher misst als die Quantität und das Konzept der Work-Life-Balance neu kalibriert. Flexibles Arbeiten gewinnt stetig an Bedeutung. Doch vor der Corona-Krise sagten nur 26 % der deutschen Arbeitnehmer aus, dass sie sich in der Lage fühlen, flexible Arbeitsregelungen zu nutzen. Mitarbeiter meldeten darüber hinaus, dass die Inanspruchnahme flexibler Arbeitszeiten negativ beurteilt wird oder sie sich dabei schuldig fühlen. Dies legt eine kritische Einstellung vieler Arbeitgeber gegenüber neuen Arbeitsmodellen offen.
Dabei ist Flexibilität auch entscheidend dafür, wie attraktiv Arbeitnehmer Stellen einschätzen und beeinflusst die Talentgewinnung und -bindung. Weitsichtige Arbeitgeber experimentieren mit Änderungen an der Struktur der Arbeitswoche. Ob Viertagewoche, reguläre Arbeitszeiten, oder weniger Tage pro Woche und mehr Stunden am Tag – Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung hilft, einen Arbeitsplatz zu schaffen, der besser zu den widersprüchlichen Verantwortlichkeiten im Leben passt. Menschen, die sich in der mittleren Phase ihrer Karriere befinden, könnten dadurch Arbeit und Familie besser vereinbaren. Millennials hingegen könnten sich ihre Zeit besser einteilen, um sie für Hobbys aufzuwenden. Die Ermöglichung veränderter und mobiler Arbeitsmodelle ist ein wichtiger Schritt, um auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen. Bereits vor Corona zeigten Studien wie die von Microsoft in Japan, dass Mitarbeiter bspw. während einer Viertagewoche genauso produktiv und gleichzeitig durch eine bessere Work-Life-Balance zufriedener sind. Spätestens die Krise beweist jetzt, dass die Produktivität nicht unter einer remote arbeitenden Belegschaft leidet.
If you pay peanuts, you get monkeys
Das finanzielle Wohlbefinden von Mitarbeitern ist ebenfalls grundlegend für das Engagement, die Produktivität und die Leistungsfähigkeit. Mitarbeiterpräferenzen bzgl. der Entgeltabrechnung werden jedoch vielerorts nicht beachtet. Maßnahmen, die über reine Gehaltszahlungen hinausgehen, zeigen den Mitarbeitern jedoch, dass Arbeitgeber um ihr Wohl bedacht sind. Die Future of Pay-Studie von ADP fand heraus, dass sich für 30 % der Arbeitnehmer die Bereitstellung von finanziellen Hilfsmitteln, wie Apps, die Einblick in Finanzdaten geben, oder Tools zur Budgetierung und Nachverfolgung von Geld, auf die Entscheidung zur Annahme einer Stelle auswirken würde. Auch Flexibilität in der Gehaltszahlung und Vergütungsmöglichkeiten außerhalb des Zyklus können ein entscheidender Faktor sein, Mitarbeitern entgegenzukommen und ihre finanzielle Situation zu unterstützen. 35 % der Arbeitnehmer würden sich, wenn sie die Wahl hätten, nicht für eine monatliche Bezahlung entscheiden, obwohl dieser Zahlungszyklus für die meisten Mitarbeiter Realität ist, wie die WFV belegt. Arbeitgeber könnten Mitarbeiter z. B. fragen, wann und wie sie gerne bezahlt werden würden und ihnen erklären, wie sie ihre Gehaltsabrechnung effektiv kontrollieren können.
Auch verspätete Zahlungen wirken sich neben den rechtlichen Risiken auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer aus. Der Kernpunkt für Arbeitgeber ist, dass sie ausreichend auf die finanziellen Bedürfnisse ihrer Beschäftigten achten und dass selbst kleine Fehler große Auswirkungen haben können. Und natürlich sollten verspätete und inkorrekte Zahlungen auf ein Minimum reduziert werden, da diese schädlich für das Vertrauen der Mitarbeiter sind und zunehmend zu Stress und finanziellen Problemen führen.
Persönlicher Gedankenaustausch
Durch die Beschleunigung und Zergliederung der Arbeitswelt bleibt zunehmend weniger Zeit für Feedback. Wenn die Mitarbeiter seltener gemeinsam im Büro sitzen, sondern verteilt auf der ganzen Welt oder im Homeoffice, kann das auf den ersten Blick eine Hürde sein, anderen gutes Feedback zu geben und Feedback anzunehmen, zumindest bis wir uns an die digitale Zusammenarbeit besser gewöhnt haben. Da Feedback – auch wenn es positiv ausfällt – immer eine Bewertung ist, muss damit sorgsam umgegangen werden. Wichtig ist – ob bei flachen oder steilen Hierarchien –, dass Evaluierungsgespräche auf Gegenseitigkeit beruhen. Die Resonanz sollte mitgenommen und verarbeitet werden, nicht unidirektional von oben nach unten, sondern auch nach oben. Aufwärtsfeedback muss ernst genommen werden und etwas bewirken können, sonst werden Mitarbeiter ihrer Partizipationsgrundlage beraubt. Gerade im Homeoffice ist eine offene, einbeziehende Unternehmenskultur, in der regelmäßiges gegenseitiges Feedback gegeben und angenommen wird, grundlegend zur Erhaltung der Produktivität und des Engagements. Denn ehrliches und konstruktives Feedback kann das Vertrauen stärken und erhöht die Eigenverantwortung und Mitbestimmung der Belegschaft. Nur durch mündige, partizipierende Mitarbeiter kann ein Unternehmen wachsen und die Zukunft erfolgreich meistern.
Genau hier muss auch Leadership ansetzen. Denn Führung heißt im Prinzip nichts anderes als Begegnungen und Gespräche. Es ist wichtig, dass Manager und HR sich die Zeit nehmen, ihre Mitarbeiter zu verstehen. Nur wer um die Fähigkeiten und die Wünsche seiner Angestellten weiß, kann sie inspirieren, fördern und motivieren. Arbeitnehmer wollen nicht als „Nummer“ wahrgenommen werden. Ein Führungsstil ist dann erfolgreich, wenn Mitarbeiter wissen, was zu tun ist und sich in ihrer Rolle wohl fühlen. Dann bedarf es auch keines Mikromanagements. Steile Hierarchien können ein Problem sein, da sich Mitarbeiter dann leichter gedankenlos nach oben richten, ihre Gefühle und Gedanken an der Eingangstür abgeben, um zu funktionieren. Doch modernen Führungskräften sollte immer bewusst sein, dass hinter den Mitarbeitern Menschen mit Emotionen, Sorgen und Problemen stehen. Gute Mitarbeiter verlassen i. d. R. ihren Vorgesetzten, nicht ihren Job. Führungskräfte sollten nicht schuld daran sein, dass die Kollegen ihre Motivation verlieren.
Diskriminierung als Motivationskiller
Erschreckend ist, dass sich laut WFV 2020 31 % der deutschen Arbeitnehmer bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber schon einmal diskriminiert fühlten. Als häufigster Grund zur Benachteiligung am Arbeitsplatz wird in Deutschland das Geschlecht genannt (8,1 %), wobei sich junge Menschen (18 bis 24 Jahre) am ehesten betroffen fühlen (11,8 %), gefolgt von den 25- bis 34-Jährigen (11,2 %). Bemerkenswert ist, dass mehr als zweimal so viele Frauen wie Männer von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts berichten (11,7 % im Vergleich zu 4,6 %). Alter und Erscheinungsbild sind die am zweithäufigsten gemeldeten Formen der Diskriminierung (7,6 % und 5,1 %). Junge Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren fühlen sich hier ebenfalls am meisten betroffen: 15,2 % nahmen Benachteiligung aufgrund des Alters und 7,6 % aufgrund des Aussehens wahr. Weitere mögliche Gründe für das Gefühl, betroffen zu sein, umfassen Bildung, Nationalität, ethnischen Hintergrund, Religion, Behinderung, psychische Gesundheit und familiäre Umstände.
Arbeitgeber müssen diesem Problem gegenüber wachsam bleiben, proaktiv gegen mögliche Vorurteile und unbewusste Voreingenommenheit vorgehen und die Gleichbehandlung aller gewährleisten. Unternehmen können spezielle Trainings anbieten, die implizite Bias aufdecken, für das Thema sensibilisieren und aufklären. Diskriminierung am Arbeitsplatz kann nur in einem Umfeld eliminiert werden, in dem sich Mitarbeiter ermutigt fühlen, Probleme zu melden. Daher ist es wichtig, Beispiele zu setzen: Konkrete Maßnahmen für die Gleichstellung zu ergreifen, aber auch zu zeigen, dass Diskriminierung nicht folgenlos bleibt. Einzelfälle müssen wahrgenommen werden; eine individuell zugeschnittene Kommunikation ist hier von großer Bedeutung. Mangelt es an klaren Richtlinien und Verfahren zur Bekämpfung von Diskriminierung, könnten die Bemühungen um die Schaffung einer einbeziehenden Kultur der Offenheit schnell untergraben werden.
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Deutschland: Spitzenreiter bei gefühltem Stress
Offenheit ist auch essenziell, wenn es um psychische Erkrankungen geht. Zu viel Stress kann schnell zu schwerwiegenderen psychischen Gesundheitsproblemen führen. Diese kosten die Weltwirtschaft laut Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr eine Billion US-Dollar an verlorener Produktivität und belasten gleichzeitig das Gesundheitswesen und die Gesellschaft. Gegenwärtige Bemühungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in vielen Ländern könnten dazu führen, dass psychische Gesundheitsprobleme noch schlimmer werden, da sich die Arbeitnehmer in vielen Branchen selbst isolieren und die Bedenken hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit zunehmen, während sich Arbeitnehmer in Schlüsselpositionen überfordert und unterfinanziert fühlen.
HR-Teams sind gefragt, ihren Kollegen das Vertrauen zu geben, sich zu melden, wenn es ihnen zu viel wird. Deutschland ist leider Spitzenreiter hinsichtlich gefühltem Stress. Etwa 75 % der Deutschen empfinden mindestens einmal pro Woche Stress. Das muss sich ändern. Die Sensibilisierung für das Problem innerhalb von Organisationen, die Einführung von Richtlinien zur Bewältigung des Problems und das Anbieten von Hilfe sind einige der Möglichkeiten, mit denen Arbeitgeber zeigen können, dass sie sich um das Problem kümmern und es ernst nehmen. Angesichts der Tatsache, dass extremer und chronischer Stress ein Auslöser für psychische Gesundheitsprobleme sein kann, müssen Arbeitgeber möglicherweise auch darüber nachdenken, wie sie die Belastung der Arbeitnehmer verringern können. Fühlen sich die Mitarbeiter geschätzt? Machen sie unnötige Überstunden?
Durch das Arbeiten von zu Hause während der Pandemie sind vertraute Strukturen weggefallen, was ein weiterer deutlicher Stressfaktor sein kann. Arbeitgeber müssen sich darüber bewusst sein und Mitarbeitern dabei helfen, neue Strukturen zu schaffen. Es sind Probleme, mit denen sich die Personalabteilung sowohl jetzt als auch bei der Rückkehr der Beschäftigten an den Arbeitsplatz auseinandersetzen muss.
Was motiviert Sie?
Das einfachste, um die Motivation ihrer Mitarbeiter zu erhalten, ist, sich in sie hineinzuversetzen. Wie viel motivierter wären Sie, wenn Sie Ihre Arbeitszeit an Ihre Lebensumstände anpassen könnten? Spornt Sie eine verdiente Gehaltserhöhung nicht an? Fühlen Sie sich respektiert von Ihrem Arbeitgeber, wenn dieser zu spät zahlt oder Sie zum Kaffeekochen schickt, weil man das eben als Praktikant macht? Wie stehen Sie zu einem Unternehmen, das Sie nicht fallen lässt, auch wenn es Ihnen einmal schlecht geht und Sie Hilfe brauchen? Würden Sie nicht lieber für eine Marke arbeiten, die Ihre Individualität schätzt, anstatt Sie in Schubladen zu stecken, auf denen Geschlecht, Religion, Alter oder Abstammung steht? Eigentlich ist es gar nicht so schwierig, die extrinsische Motivation zu liefern, oder?
Fazit
Die Motivation der Mitarbeiter im Fokus zu halten, lohnt sich. Erfahrungswissen in Unternehmen ist nicht zu unterschätzen. Mitarbeiter zufrieden an den Arbeitgeber zu binden, zahlt sich aus. Ihr jahrelang aufgebautes Know-how gespeist durch extrinsische Motivation ist Gold wert und lockt hungrige Talente.
Steven van Tuijl

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