Wie weit geht der Datenauskunftsanspruch gem. Art. 15 DSGVO im Arbeitsrecht?
In der bereits länger schon währenden Diskussion über den Datenauskunftsanspruch hat der BGH in einem Grundsatzurteil vom 15.6.2021 (VI ZR 576/19) dankenswerter Weise nun die Reichweite des Begriffs der „personenbezogenen Daten“ aus Art. 4 Nr. 1 DSGVO geklärt. Hieraus leitet sich nämlich ab, wie weit das „Recht auf Kopie“ aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO reicht.
Da die DSGVO gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar geltendes EU-Recht ist, gelten diese Ausführungen auch für das Arbeitsrecht. Der BGH schließt sich dabei der Rechtsprechung des 20. Zivilsenats des OLG Köln an (vgl. DuD 2019, S. 797–799 mit Anm. Riemer). Auch dieses hatte zuvor bereits zutreffend ausgeführt, dass der Begriff der „personenbezogenen Daten“ vom EU-Verordnungsgeber und in der EUGH-Rechtsprechung so gewollt weit zu verstehen ist.
Zutreffend führt der BGH auch aus, dass an das Auskunftsverlangen nur geringe Anforderungen zu stellen sind. Die betroffenen Personen brauchen nicht im Einzelnen zu spezifizieren, für welche konkreten Daten sie sich interessieren, was in der Praxis auch daran scheitern dürfte, dass sie schließlich keine Einblicke in die internen Datenverarbeitungsstrukturen der verantwortlichen Stellen haben. Dementsprechend genügt es zunächst, wenn das Auskunftsverlangen eine „vollständige Datenauskunft“ fordert.
In Teilen der Literatur und der unterinstanzlichen Rechtsprechung besteht zwar eine unüberhörbare Aversion dagegen, dass der Datenauskunftsanspruch eine disruptive Wirkung auf den zivilprozessualen Grundsatz der abgestuften Darlegungs- und Beweislastverteilung entfaltet, da er nun aufgrund seiner tatbestandlichen Weite Elemente in den deutschen Zivilprozess einführt, die als pre-trial-discovery aus dem US-amerikanischen Prozessrecht bekannt sind und von der herrschenden Zivilprozesslehre in Deutschlang nach wie vor abgelehnt werden.
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Für das Arbeitsrecht ist das BAG in seinem Urteil vom 27.4.2021 (2 AZR 342/20), zu dem bislang nur eine Pressemitteilung vorliegt, den Fragen jedoch ausgewichen (vgl. hierzu ausführlich in dieser Ausgabe Kalchin, AuA 8/21, S. 53), die der BGH nun beantwortet hat. Erkennbar vor folgendem Hintergrund: Gerade bei Beendigungsstreitigkeiten versuchen Arbeitnehmer die vollständige Datenauskunft, die Arbeitgebern sehr viel Aufwand bereiten kann, als zweifelhaftes Erpressungsinstrument zu verwenden, um durch einen Zusatzanspruch im Wege der objektive Klagehäufung Druck auf die Arbeitgeber auszuüben. Es kommt ihnen in Wahrheit gar nicht darauf an, eine Datenauskunft zu erlangen, schon gar nicht „vollständig“, sondern lediglich, dem Arbeitgeber „Scherereien“ zu bereiten, damit er sich in Richtung der Abfindungswünsche des Arbeitnehmers auf diesen zubewegt.
Die BGH-Rechtsprechung wird dies zukünftig noch erleichtern. Der Streit wird sich daher zukünftig weg von der Frage nach der tatbestandlichen Reichweite, hin zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs verlagern, insbesondere der Gegenrechte der Auskunftspflichtigen selber, sowie Dritter aus Art. 15 Abs. 4 DSGVO und § 29 BDSG.
Tatsächlich wird die Diskussion auch darüber geführt werden müssen, ob der Verordnungsgeber – jedenfalls bei einem offensichtlich erkennbaren Missbrauch, wenn die Datenauskunft z. B. lediglich als Druckmittel zur Erreichung anderer Ziele eingesetzt wird – nicht ggf. die DSGVO noch einmal einem Review unterziehen sollte. Innerhalb der Öffnungsklausel aus Art. 23 DSGVO wären auch die nationalen Gesetzgeber hierzu befugt. Leider sind die Arbeitsgerichte erfahrungsgemäß eher am Zustandekommen eines Vergleichs interessiert, als an einer materiell gerechten Abfindungsregelung, sodass den Arbeitsgebern von dieser Seite nicht unbedingt richterliche Hilfe zu erwarten steht.
Der Streit über die Datenauskunft ist mit der nun vorliegenden Grundsatzentscheidung des BGH zwar noch nicht zu Ende, aber die unteren Instanzen haben damit zumindest Klarheit erlangt, dass die insbesondere von Seiten der Versicherungswirtschaft versuchte tatbestandliche Einschränkung des Begriffs der personenbezogenen Daten im EU-Recht keine Stütze findet. Aus Verbrauchersicht ist dies uneingeschränkt zu begrüßen.
Dr. Martin Riemer
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