Meinung: Digitalisierung: Erkennen und gestalten

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Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bild: J. Konrad Schmidt/BMAS
Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bild: J. Konrad Schmidt/BMAS

Das Coronavirus grassiert jetzt seit einem halben Jahr in Deutschland – und hat unser Leben seitdem fundamental verändert. Privat und im Beruf.

Für die meisten war der plötzliche Shutdown eine große Herausforderung. Und wir sind von einem „Normalbetrieb“ noch weit entfernt. Ich selbst habe erlebt, was es bedeutet, Kinderbetreuung und Beruf zu Hause unter einen Hut zu bekommen – das geht an die persönlichen Grenzen.

Corona ist auch nach wie vor eine enorme Herausforderung für unsere Volkswirtschaft, für Unternehmen und ihre Beschäftigten. Deutschland befand sich schon vor der Pandemie inmitten eines Strukturwandels. Der hat durch Corona jetzt noch einmal deutlich an Fahrt hinzugewonnen.

Gegenwärtig erleben wir eine beschleunigte Digitalisierung. Arbeitsprozesse werden schneller automatisiert, Arbeitsumgebungen schneller smart. Und nicht nur das Konsum- und Freizeitverhalten, auch die Arbeitsorganisation hat sich verändert. Das zeigt sich gerade beim Homeoffice, das plötzlich für Millionen von Beschäftigten zur „neuen Normalität“ wurde: In Spitzenzeiten arbeitete jede/jeder Zehnte ausschließlich von zu Hause aus. Zwar sinkt dieser Anteil mit zunehmender Lockerung der Maßnahmen langsam, der Anteil an Homeoffice-Arbeitenden bleibt jedoch konstant auf einem vergleichsweise hohen Niveau: Nach wie vor arbeiten laut Mannheimer Corona-Studie (German Internet Panel) ca. ein Viertel derjenigen, die im Januar vor der Corona-Pandemie erwerbstätig waren, heute mindestens teilweise von zu Hause aus. Vor Covid-19 wurde der Anteil an gelegentlichem bis regelmäßigem Homeoffice auf 12 bis 22 % geschätzt.

Die Umstellung auf mobiles Arbeiten und Homeoffice innerhalb weniger Tage und Wochen war für Unternehmen und Beschäftigte ohne Vorbild. Als Bundesministerium für Arbeit und Soziales haben wir deshalb über unsere Initiative „Neue Qualität der Arbeit“, eine Plattform für Arbeitsqualität und den Wandel der Arbeit, umgehend praxisorientierte Handlungsempfehlungen auf der Webseite www.inqa.de veröffentlicht. Das wird sehr gut angenommen, wie unsere Klickzahlen zeigen.

Viele Unternehmen haben gemerkt: Die Leistung ihrer Angestellten geht – anders als befürchtet – nicht zurück. Die Erfahrung vieler Beschäftigter ist: Digitales Arbeiten funktioniert. Das deckt sich mit Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen Homeoffice schon länger Usus ist.

Aber wir sehen auch: Durch digitales und ortsflexibles Arbeiten entstehen neue Herausforderungen, z. B. an die Führungskultur, aber eben auch Gefahren, etwa durch Entgrenzung der Arbeit. Neue Arbeitsformen brauchen daher klare Regeln. Und die wollen wir gestalten.

Auch bei der Gestaltung digitaler Arbeit müssen wir die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Arbeitgebern in einen angemessenen Ausgleich bringen. Dies ist ein komplexes, vielschichtiges Thema, das nicht nur das Arbeitsrecht, sondern auch den Arbeits- und Gesundheitsschutz betrifft. So bedürfen etwa Fragen des Unfallversicherungsschutzes zu Hause, der Arbeitszeitgestaltung oder auch der digitalen Ausstattung eines gesetzlichen Rahmens, einschließlich einer Flexibilität für tarifliche oder betriebliche Regelungen. Und es muss die Frage beantwortet werden, wie mobile Arbeit sinnvoll von der hochregulierten Telearbeit – unter Berücksichtigung eines angemessenen Arbeitsschutzes – abgegrenzt werden kann.

Es geht nicht um die Frage, ob das Büro als Arbeitsort abgeschafft werden soll. Digitales und ortsflexibles Arbeiten hat großes Potenzial. Klar ist aber auch, dass Homeoffice in vielen Branchen und Tätigkeiten keine Option ist. Homeoffice darf nicht zu einem Arbeitsmodell für sozialstaatlich und finanziell gut abgesicherte Arbeitnehmerschichten allein werden. Denn die neuen digitalen Infrastrukturen eröffnen auch für Basisarbeiterinnen und Basisarbeiter neue Möglichkeiten der Entlastung. So werden künftig auch Callcenter-Beschäftigte zunehmend von zu Hause arbeiten können.

Entscheidend ist – für die digitale und analoge Arbeit der Zukunft gleichermaßen –, Veränderungen der Arbeitswelt frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig zu gestalten.

Björn Böhning

Björn Böhning
Staatssekretär, Bundesministerium für Arbeit und Soziales
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Meinung: Digitalisierung: Erkennen und gestalten
Seite 500
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