Die Zeitschrift Verve titelte im Februar 2020: „How hard will the robots make us work?“ und griff damit ein Phänomen auf, dass auch zusehends in unserer betrieblichen Praxis ankommt: die Automatisierung der Führung durch Algorithmen. Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen werden von Unternehmen eingesetzt, um die Erledigung von Aufgaben zwischen Angestellten zu verteilen, in Takt zu bringen und die Aufgabenausführung zu beobachten, um Produktivitätssteigerungsmöglichkeiten zu erkennen und dann durch neue Vorgaben umzusetzen. Gerade letztere Funktion kann auch mit Anreizen und Sanktionen verbunden werden. Etwa können solche Beobachtungstechnologien, die lernen und mit Standards und Erwartungswerten arbeiten (prädiktiv sind), Mahnungen aussprechen oder sogar Kündigungen vorschlagen.
In einem gemeinsamen Forschungsprojekt zu People Analytics an unserem Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten der Universität St. Gallen konnten wir die Automatisierung der Führung in fünf Fallunternehmen vertieft beleuchten. Dabei stellte sich heraus, dass sich durch die neuen KI-“Vorgesetzten“ die Aufgaben der menschlichen Führungskräfte fundamental ändern.
Erstens zeigte sich überall, dass menschliche Führung nicht ersetzt wird. Vielmehr entstehen Matrixstrukturen, d. h. Mitarbeitende haben neu zwei Vorgesetzte, einen Menschen und eine künstliche Intelligenz, und deren Entscheidungsbereiche und Verantwortlichkeiten sind meist nicht klar geregelt. Nach der derzeitigen Rechtslage kann eine künstliche Intelligenz als Vorgesetzte mangels Rechts- und Handlungsfähigkeit keine eigenen rechtswirksamen Willenserklärungen abgeben. Elektronische Willenserklärungen oder Handlungen müssen einer natürlichen oder juristischen Person zugeordnet werden. Deshalb muss die juristische Verantwortlichkeit für das Übermitteln von Willenserklärungen und für die Abwicklung von Rechtsgeschäften momentan eindeutig bei der Arbeitgeberin als der hinter der künstlichen Intelligenz stehenden natürlichen oder juristischen Person verbleiben. Es braucht die menschliche Führung also auch aus juristischer Sicht.
Zweitens ergeben sich wichtige neue Führungsaufgaben aus dieser Situation mit zwei Vorgesetzten. Gerade genuin menschliche Eigenschaften stehen verstärkt im Vordergrund, denn nur Menschen können den immer komplexer werdenden Kontext der maschinellen Entscheidungen verstehen. Weitreichende Entscheidungen von künstlicher Intelligenz bedürfen stets menschlicher Einordnung. So mag die künstliche Intelligenz mangelnde Produktivität eines Mitarbeitenden feststellen, aber um die Rechtmäßigkeit einer darauf ruhenden Entlassung zu prüfen, wird es den Einbezug des Kontexts durch den Menschen brauchen. Nur der Mensch wird einordnen können, wer oder was tatsächlich kausal verantwortlich für ein „Versagen“ des Mitarbeitenden ist. Es bleibt wichtig, dass im Unternehmen „menschliche Aspekte“ in Entscheidungen miteinfließen. Menschliche und KI-Vorgesetzte müssen auch in Zukunft kollaborieren. Die KI kann aus Führungs- und juristischer Sicht den Menschen nicht ersetzen.
Prof. Dr. Isabelle Wildhaber
Prof. Dr. Antoinette Weibel
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