Befristung: „Der Alte“ und die Eigenart der Arbeitsleistung

§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG

Die Eigenart der Arbeitsleistung i. S. v. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG kann die Befristung eines Arbeitsvertrags einer Filmproduktionsgesellschaft mit einem Schauspieler sachlich rechtfertigen. Das gilt auch dann, wenn eine Vielzahl von befristeten Arbeitsverträgen zu einer insgesamt langjährigen Übernahme derselben Rolle in einer Krimiserie geführt hat.

(Leitsatz des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 30.8.2017 – 7 AZR 864/15

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Bild: grafikplusfoto/stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger ist Schauspieler. Die Beklagte produziert u. a. die Krimiserie „Der Alte“, in welcher der Kläger 18 Jahre lang den Kommissar „Axel Richter“ dargestellt hat.

Während dieser Gesamtzeit haben die Parteien zahlreiche Arbeitsverträge miteinander geschlossen, die sich jeweils befristet auf eine oder mehrere Folgen der Serie bezogen haben. Zwischen den einzelnen Arbeitsverträgen der Parteien lagen unterschiedlich lange Zeiträume ohne Vertragsverhältnis.

Der letzte befristete Arbeitsvertrag bezog sich auf die Folgen Nr. 391 und 392 der Serie. Der Kläger begehrte mit seiner Klage die Feststellung, dass die Befristung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis unbefristet fortgesetzt wird. Er ist der Ansicht, dass kein sachlicher Grund für die Befristung vorgelegen habe. Auch liege wegen der langen Gesamtdauer eine unzulässige Kettenbefristung vor.

Die Vorinstanzen wiesen die Entfristungsklage ab.

Entscheidung

Das BAG hat die Vorinstanzen bestätigt. Der erforderliche Sachgrund für die Befristung liegt in der Eigenart der Arbeitsleistung. Die Befristung des mit dem Kläger zuletzt geschlossenen Vertrags ist daher nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG sachlich gerechtfertigt.

Der 7. Senat hat die Voraussetzungen des Sachgrunds der Eigenart der Arbeitsleistung im Hinblick auf den Rundfunk- und Fernsehbetrieb weiter konkretisiert. Danach soll die Befristung von Arbeitsverhältnissen in dem durch die Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG geprägten Gestaltungsinteresse des Arbeitgebers ermöglicht werden. Die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit muss in die Beurteilung des Vorliegens eines Sachgrundes einfließen. Dem steht die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers gegenüber.

Diese miteinander streitenden Grundrechtspositionen gebieten eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Belange. Insbesondere muss das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers angemessene Berücksichtigung finden. Daraus folgt, dass die durchzuführende Interessenabwägung Bestandteil der Sachgrundprüfung ist.

In der gegenständlichen Entscheidung hat das BAG die Kunstfreiheit höher gewichtet. Die Befristungskontrollklage hatte danach keinen Erfolg.

Maßgeblich für die Befristung des Arbeitsverhältnisses waren künstlerische Erwägungen. Die Besetzung der Rolle des Kommissars hat im Kernbereich des künstlerischen Konzepts gelegen. Weil sie von zentraler Bedeutung für das künstlerische Konzept ist, muss die Kunstfreiheit entsprechend hoch gewichtet werden. Daran ändert auch die tatsächlich langjährige Beschäftigung des Klägers in der Rolle des Kommissars „Axel Richter“ in der Krimiserie nichts. Die Möglichkeit einer kurzfristigen Fortentwicklung des Formats (etwa durch Veränderung der Rolle oder deren Besetzung) überwiegt das Bestandsinteresse des Klägers.

Eine rechtsmißbräuchliche Kettenbefristung ist nicht erkennbar, da zwischen den einzelnen Befristungen jeweils zeitliche Lücken bestanden.

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Konsequenzen

Auf den ersten Blick betrifft die Entscheidung einen eher einzigartigen Sachverhalt, so dass die darin formulierten Entscheidungsgründe nicht von weiter reichender Tragweite sein könnten. Dieser Eindruck täuscht jedoch. Zwar werden die Arbeitsgerichte nicht alltäglich mit Entfristungsklagen bundesweit bekannter Hauptdarsteller aus Funk und Fernsehen beschäftigt. Die Auslegung des Befristungsgrundes der Eigenart der Arbeitsleistung ist jedoch sowohl im Bereich einer hier gegenständlichen Implikation der Kunstfreiheit als auch ganz grundsätzlich vielfacher Gegenstand richterlicher Konkretisierungen. Das Tatbestandsmerkmal der Eigenart der Arbeitsleistung ist ohne Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung inzwischen schlechthin unverständlich. Das folgt aus der starken Einzelfallbezogenheit und dem Umstand, dass eine tendenziell enge Auslegung des Wortlauts geboten ist, um einer ausufernden Anwendung entgegenzutreten.

Nur durch das Vorliegen eines übergeordneten Interesses auf Seiten des Arbeitgebers kann eine Eigenart der Arbeitsleistung eine Sachgrundbefristung rechtfertigen. Dies ist etwa bei einem ganz überdurchschnittlichen Verschleiß des Arbeitnehmers und einem hohen Abwechslungsinteresse des Publikums (z. B. im Spitzensport) oder dem Hinzutreten grundgesetzlicher Wertungen wie der Rundfunk- oder Kunstfreiheit oder in anderen Sonderfällen (z. B. Mitarbeit bei Parlamentariern) der Fall. Derartige Fallgruppen illustrieren den Ausnahmecharakter der Eigenart der Arbeitsleistung als Befristungsgrund.

Praxistipp

Im Rahmen einer stets nachgelagerten Befristungskontrolle führen die Arbeitsgerichte eine umfassende Interessenabwägung durch. Auf Arbeitnehmerseite ist dabei immer das Bestandsinteresse zu gewichten. Die Interessen des Arbeitgebers sind aus den vorgenannten Fallgruppen abzuleiten und im Einzelfall zu werten.Diese Tatsachen muss der Arbeitgeber bereits bei Vertragsschluss berücksichtigen. Soll eine Befristung auf den Sachgrund der Eigenart der Arbeitsleistung gestützt werden, sollte zu diesem Zeitpunkt die Interessenlage des Arbeitgebers präzise und umfassend dokumentiert sein. Auch sollte man sich das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers im konkreten Einzelfall vor Augen führen. Nur so kann arbeitgeberseitig das Risiko einer späteren Entfristungsklage sorgfältig bewertet und entsprechend begrenzt werden.

RA und FA für Arbeitsrecht

Prof. Dr. Tim Jesgarzewski,

FOM Hochschule Bremen, Direktor KompetenzCentrum

für Wirtschaftsrecht,

Hamburg

Prof. Dr. Tim Jesgarzewski

Prof. Dr. Tim Jesgarzewski
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, FOM Hochschule Bremen, Direktor KompetenzCentrum für Wirtschaftsrecht, Hamburg
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Befristung: „Der Alte“ und die Eigenart der Arbeitsleistung
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