Betriebsübergang: Zur Verwirkung des Widerspruchsrechts
Problempunkt
Im Sommer 2018 markierte die milliardenschwere Übernahme eines amerikanischen Saatgutherstellers durch einen hiesigen Pharma- und Agrarchemiekonzern den (finanziellen) Höhepunkt globaler Transaktionen. Derartige Unternehmenstransaktionen, d. h. insbesondere der Kauf oder Verkauf von ganzen Unternehmen oder einzelner Unternehmensteile, sind oftmals durch betriebswirtschaftliche Notwendigkeiten oder andere strategische Erwägungen indiziert. Als arbeitsrechtliche Begleiterscheinungen können sich nach Maßgabe des § 613a BGB indes auch die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs – insbesondere der gesetzlich angeordnete Übergang hiervon betroffener Arbeitsverhältnisse – einstellen.
Seit November 1995 war die Klägerin als Mitarbeiterin in der telefonischen Kundenbetreuung bei der Beklagten beschäftigt. Im Rahmen eines Betriebsübergangs ging allerdings der Betrieb der Beklagten mit Wirkung zum 1.9.2007 auf einen neuen Betriebsinhaber über. Bereits am 26.7.2007 wurde die Arbeitnehmerin mittels eines (rechtsfehlerhaften) Unterrichtungsschreibens hierüber informiert. Ein Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses erfolgte indes nicht – vielmehr arbeitete die Klägerin nach dem Betriebsübergang noch mehrere Jahre beim neuen Betriebsinhaber widerspruchslos weiter. Erst mit Schreiben vom 30.7.2014 widersprach die Arbeitnehmerin dem Übergang des Arbeitsverhältnisses von der Beklagten auf den seinerzeit neuen Betriebsinhaber.
Das LAG München konstatierte allerdings eine Verwirkung des Widerspruchsrechts und beurteilte konsequenterweise dessen Ausübung mit Schreiben vom 30.7.2014 als rechtlich unwirksam.
Entscheidung
Nach Auffassung des BAG wurde der Rechtsstreit durch die Vorinstanz indes unzutreffend entschieden; rechtsfehlerhaft zum Nachteil der Klägerin war demnach die Annahme einer Verwirkung des Widerspruchsrechts.
Das Recht des Arbeitnehmers, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines Betriebsübergangs zu widersprechen, unterliegt grundsätzlich dem Rechtsinstitut der Verwirkung nach Maßgabe des § 242 BGB als erforderlichem Korrektiv. Erforderliche Voraussetzung für eine Verwirkung ist jedoch das Vorliegen eines Umstands- und eines Zeitmoments.
Für die Annahme eines für die Verwirkung erforderlichen Umstandsmoments ist jeweils – d. h. ohne das Hinzutreten weiterer Umstände – eine widerspruchslose Weiterarbeit allein, respektive die bloße Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung durch den Arbeitnehmer gegenüber dem neuen Betriebsinhaber, nicht ausreichend.
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Konsequenzen
Mit seiner Entscheidung bestätigt das BAG insoweit auch seine bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zur widerspruchslosen Weiterarbeit des Arbeitnehmers beim neuen Betriebsinhaber nach einem Betriebsübergang (vgl. BAG, Urt. v. 2.4.2009 – 8 AZR 318/07). Rechtlich qualifiziert sich eine entsprechend widerspruchslose Weiterarbeit jedenfalls dann als ein erforderliches Umstandsmoment, soweit der Arbeitnehmer im Rahmen einer Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB zumindest über sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB sowie über „grundlegende Informationen“ formgerecht belehrt worden ist. Letztere umfassen den Übergang des Arbeitsverhältnisses unter Mitteilung des jeweiligen (ggf. lediglich anvisierten) Zeitpunkts einschließlich des Gegenstands des Betriebsübergangs sowie des Betriebserwerbers (vgl. BAG, Urt. v. 19.11.2015 – 8 AZR 773/14).
Für die Annahme eines für die Verwirkung gleichsam erforderlichen Zeitmoments soll unter Berücksichtigung der beiderseitigen schutzwürdigen Interessen insoweit dann ein Zeitraum von sieben Jahren widerspruchsloser Weiterarbeit bei dem neuen Betriebsinhaber ausreichend sein. Die zeitliche Bestimmung dieses Zeitraums orientiert sich – auch mathematisch fast exakt – einerseits an der regelmäßigen dreijährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB sowie andererseits an der zehnjährigen Ausschlussfrist zur Anfechtung nach § 121 Abs. 2 BGB.
Der insoweit maßgebliche Zeitraum einer widerspruchslosen Weiterarbeit beginnt dabei grundsätzlich erst mit Ablauf der einmonatigen Frist zum Widerspruch gem. § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB nach Zugang einer ordnungsgemäßen Unterrichtung, frühestens jedoch mit dem jeweiligen Betriebsübergang.
Praxistipp
Für Arbeitgeber bedeutet die konkretisierende Entscheidung des BAG ein deutliches Plus an Rechtssicherheit. Zum Schutz des (bisherigen) Arbeitgebers vor etwaigen „Geistern der Vergangenheit“ bereits mit Ablauf der einmonatigen Frist zum Widerspruch nach Maßgabe des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB ist jedoch ein gesetzeskonformes Unterrichtungsschreiben unabdingbare Voraussetzung. Eine fachkundige Beratung zu Gestaltungsmöglichkeiten und etwaigen Rechtsfolgen bleibt indes allen von einem Betriebsübergang betroffenen Akteuren empfohlen.
David Johnson

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