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Justizia
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RECHTSPRECHUNG - Kurz kommentiert

Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs

Vor dem LAG Köln stritten die Parteien über Annahmeverzugslohnansprüche des Klägers. Dieser war als Berufskraftfahrer beschäftigt, verheiratet und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er fuhr bei der Beklagten ausschließlich Sattelzüge, keine sog. „Gliederzüge“ mit Drehschemelanhänger. Am 27.7.2022 kündigte das Unternehmen fristlos hilfsweise ordentlich. Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage war erfolgreich. Seit dem 15.5.2023 wird der Kläger von der Beklagten weiterbeschäftigt. Er machte für die Zeit ab Ausspruch der Kündigung bis zum 15.5.2023 Annahmeverzugslohn geltend. Hinsichtlich der Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz während des Annahmeverzugszeitraums trug er vor, dass er sich bei 65 Unternehmen beworben habe, jedoch in 62 Fällen noch nicht einmal eine Antwort auf seine Bewerbungen bekommen habe. Auf Stellen als Fernfahrer und Stellen, die das Fahren von Gliederzügen beinhalteten, habe er sich nicht beworben. Letztere Fahrzeuge könne er nicht fahren, eine Tätigkeit als Fernfahrer sei ihm aufgrund seiner familiären Situation nicht zumutbar.

Das LAG Köln war der Auffassung, dass der Kläger seiner Auskunftspflicht über seine Bewerbungsbemühungen nicht vollständig nachgekommen ist. Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis (vgl. BAG, Urt. v. 27.5.2020 – 5 AZR 387/19). Der Auskunftsanspruch setzt u. a. voraus, dass zumindest eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Einwendung böswillig unterlassener anderweitiger Arbeit begründet ist, so dass ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn nicht besteht. Die Beklagte vermutete, dass es sich bei den Bewerbungen um sog. „Scheinbewerbungen“ handelte, da überhaupt nur in drei Fällen eine Reaktion des angeschriebenen Unternehmens erfolgt sei. Es könne rechtlich keinen Unterschied machen, ob jemand die Aufnahme anderer Arbeit durch schlichte Untätigkeit und mangelnde Bewerbungsbemühungen vereitelt oder sich zwar formal bewirbt, aber durch den Inhalt seiner Bewerbungen direkt oder konkludent zum Ausdruck bringt, an einer Arbeitsaufnahme überhaupt nicht interessiert zu sein. So entspreche bspw. ein ungefragter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren mit dem bisherigen Arbeitgeber schon vor einem Vorstellungsgespräch nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person (vgl. BAG, Urt. v. 7.2.2024 − 5 AZR 177/23). Hätte der Kläger Scheinbewerbungen abgegeben, wäre er dem Einwand des böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs ausgesetzt.

Das Gericht sah im vorliegenden Fall ausreichende Indizien, die die Wahrscheinlichkeit für Scheinbewerbungen begründen. Dies ist zunächst die sehr hohe Anzahl fehlender Reaktionen auf die Bewerbung in einer Branche, in der unstreitig ein großer Arbeitskräftemangel herrscht und für die der Kläger die notwendige Qualifikation mitbringt. In einem Fall hatte der Kläger zu seinen Bewerbungsbemühungen angegeben, er sei wegen des laufenden Kündigungsschutzverfahrens nicht eingeladen worden. Insofern liegt es nahe, dass der Kläger dies in seiner Bewerbung proaktiv mitgeteilt hat. Durch die Gewährung eines Auskunftsanspruchs über Form und Inhalt der Bewerbungen wird die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess nicht unzulässig verändert. Denn erst die Auskunft versetzt die Beklagte in die Lage zu prüfen, ob Scheinbewerbungen abgegeben wurden. Bis sie die Auskunft erhält kann sie somit die Zahlung von Annahmeverzugslohn verweigern (LAG Köln, Urt. v. 7.1.2025 − 7 SLa 78/24).

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Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München
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Böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs

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