Notärzte im Nebenjob unterfallen der Versicherungspflicht
Problempunkt
Der klagende Landkreis ist öffentlich-rechtlicher Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes einschließlich der notärztlichen Versorgung (Rettungsdienstträger) sowie Leistungserbringer im Rettungsdienst in Hessen. Der bei der Malteser Hilfsdienst gGmbH seit Januar 2017 vollzeitbeschäftigte Beigeladene war seit August 2016 als Notarzt im Rettungsdienst für den Kläger tätig. Die insoweit abgeschlossene „Honorarvereinbarung“ sieht u. a. vor, dass der Beigeladene „freiberuflich tätig“, „nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden“ und „in seiner Verantwortung in Diagnostik und Therapie unabhängig“ ist, die von der Leitstelle angezeigten Rettungseinsätze zu leisten hat und eine Vergütung von brutto 35 Euro je geleistete Stunde erhält. Die Dienste wurden auf einem Onlineportal ausgeschrieben und konnten vom Beigeladenen frei ausgewählt werden. Während einer übernommenen Schicht hielt er sich in der von der Stadt Fulda unterhaltenen Rettungswache auf. Nach Alarmierung durch die zentrale Leitstelle, die den gesamten Einsatz lenkte, wurde er von einem Fahrer in einem Notarztfahrzeug der Stadt Fulda an den Einsatzort gebracht. Die Einsätze hatte der Beigeladene nach einheitlichen Vorgaben zu dokumentieren.
Die beklagte DRV Bund stellte die Versicherungspflicht des Beigeladenen in den Zweigen der Sozialversicherung aufgrund seiner abhängigen Beschäftigung als Notarzt fest. Das SG Fulda hat die Klage abgewiesen. Das LSG Hessen hat dieses Urteil sowie die Verwaltungsentscheidung aufgehoben und festgestellt, dass keine Versicherungspflicht bestehe.
Entscheidung
Das BSG entschied, dass freiberufliche Ärzte, die im Nebenjob als Notarzt im Rettungsdienst tätig sind, während dieser Einsätze sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB. Für das BSG ist maßgeblich, dass die Ärzte während ihrer Tätigkeit als Notarzt in den öffentlichen Rettungsdienst eingegliedert sind. Sie sind dabei an bestimmte Vorgaben gebunden, z. B. sich während ihres Dienstes in der Nähe der Notarztfahrzeuge aufzuhalten und auch nach Alarmierung innerhalb einer vorgegebenen Zeit auszurücken. Dass es sich dabei um öffentlich-rechtliche Vorschriften handelt, ist unerheblich. Zudem nutzten die Ärzte überwiegend fremdes Personal und Rettungsmittel. Entscheidend sind die Einzelaufträge, die den Rahmen für die Notarztdienste stecken: Hier bestand das Weisungsrecht insoweit, als die Leitstelle den Einsatz lenkte und dem Notarzt den Einsatzort zuwies, an den er sich so schnell wie möglich zu begeben hatte.
Anhaltspunkte für eine selbstständige Tätigkeit fielen demgegenüber nicht entscheidend ins Gewicht.
§ 7 Abs. 1 SGB IV sieht vor, dass unter Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, zu verstehen ist. Für eine Beschäftigung im Sinne dieser Norm spricht, wie hier gegeben, eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen geht das BSG in der vorliegenden Fallkonstellation aus: In die jeweilige Arbeitsorganisation waren die Ärzte eingegliedert, weil sie zur Erbringung der Notarzttätigkeit Arbeitsmittel der Stadt oder des Landkreises nutzten und mit Personal (Rettungssanitäter) arbeitsteilig zusammenwirkten, das zu dem jeweiligen Rettungsdienstbetrieb gehörte.
Dass die Notärzte meinten, ihre Tätigkeit erfolge freiberuflich bzw. selbstständig, ist angesichts der Vereinbarungen und der tatsächlichen Durchführung der Tätigkeit irrelevant.
Zudem konnten die Ärzte nur dadurch ihren Verdienst vergrößern und damit unternehmerisch tätig werden, indem sie mehr Dienste übernahmen. Während der einzelnen Dienste hatten sie aufgrund ihrer Eingliederung in eine fremde Organisation keine Möglichkeit, ihren eigenen Gewinn durch unternehmerisches Handeln zu steigern, was gegen eine Selbstständigkeit und für eine Beschäftigung spricht. Der Umstand, dass der Notarzt in medizinischen Fragen weisungsfrei agiert, ist bei Diensten höherer Art typisch und tritt zurück, wenn die Dienstleistung fremdbestimmt ist.
Inwieweit auch unter Beachtung von § 23c Abs. 2 Satz 1 SGB IV Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden könnten, hatte das BSG nicht zu entscheiden.
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Konsequenzen
Das BSG hatte bereits entschieden, dass Ärzte, die als Honorarärzte in einem Krankenhaus stationär tätig sind (z. B. Narkosefacharzt), in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen sind, sondern als Beschäftigte des Krankenhauses der Sozialversicherungspflicht unterliegen, weil sie in die Betriebsabläufe des Krankenhauses eingebunden sind und mit dessen Personal (z. B. Chirurg, OP-Pfleger) arbeitsteilig zusammenwirken (BSG, Urt. v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, NZA 2019, S. 1583). Auch ein hohes Honorar, das Eigenvorsorge zulasse (BSG, Urt. v. 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R, AuA 10/18, S. 620) sei nur ein Indiz, das zurücktrete. Die vorliegende Entscheidung erstreckt diese Bewertung nun auf die Honorarnotärzte im mobilen Außeneinsatz.
Belegärzte, die nur im Krankenhaus mit ihrem eigenen Praxispersonal, in eigener Organisation (z. B. Termine) und auf eigene Rechnung Patienten behandeln, sind hingegen freiberuflich tätig.
Eine weisungsabhängige, tatsächliche Einbindung in die Arbeitsorganisation hat arbeitsrechtliche Folgewirkungen, nämlich eine Einstellung i. S. d. §§ 99 und 5 Abs. 1 BetrVG. Stellt eine Klinik einem Dritten (Rettungsdienstträger) Notärzte, dürfte es sich – wegen Weisungsbefugnis und Integration in dessen Arbeitsorganisation – um eine Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. AÜG handeln (BAG, Beschl. v. 21.2.2017 – 1 ABR 62/12, AuA 7/17, S. 437).
Praxistipp
Nach der BSG-Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass Honorar(not)ärzte Beschäftigte i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB IV sind und keine Freiberufler, worauf sich die Beteiligten einstellen müssen.
Volker Stück
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