Skiunfall bei Kundenbindungsreise ist kein Arbeitsunfall
Problempunkt
Der 1970 geborene Kläger war Geschäftsführer des Fachhandelsunternehmens D GmbH. Er hatte für seine Firmenkunden eine sechstägige Skireise nach Aspen/Colorado organisiert, mit der die Kundenbindung intensiviert werden sollte. Die Kosten der Skireise wurden überwiegend von der D GmbH getragen. Während der Reise stürzte der Kläger bei einer Skiabfahrt am 4.3.2016. Dabei zog er sich eine Oberschenkelfraktur zu, die noch in den USA operiert wurde. Die Berufsgenossenschaft (BG) lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, da sich der Unfall nicht während einer versicherten Tätigkeit ereignet habe. Reine Freizeitbetätigungen seien auch dann nicht versichert, wenn sie in eine Veranstaltung eingebettet seien, die dienstlichen Belangen diene. Die Teilnehmer der Skireise hätten sich zwar täglich zum Frühstück und Abendessen getroffen, ansonsten seien sie in der Gestaltung der täglichen Aktivitäten aber vollkommen frei gewesen.
Der Kläger meint, dass er von seiner Arbeitgeberin beauftragt worden sei, die geschäftlichen Kontakte zu den mitreisenden Führungskräften der Geschäftspartner zu pflegen. Der Firma sei es wichtig gewesen, dass er an den Aktivitäten einschließlich des Skifahrens teilnehme. Die Mitreisenden hätten am Unfalltag ausdrücklich seine Teilnahme an der Skiabfahrt gewünscht. Beim Aufstieg sei ferner über geschäftliche Dinge gesprochen worden. Das SG Wiesbaden wies seine Klage ab.
Entscheidung
Auch nach dem Hessischen LSG hat der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung des Skiunfalls als Arbeitsunfall i. S. d. § 8 Abs. 1 SGB VII. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist danach i. d. R. erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls (bzw. kurz davor) der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen länger andauernder Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urt. v. 31.8.2017 – B 2 U 11/16 R). Sowohl das Unfallereignis selbst sowie die versicherte Tätigkeit als auch der Gesundheitsschaden müssen mit dem sog. Vollbeweis nachgewiesen sein.
Die maßgebliche Skiabfahrt war eine privatwirtschaftliche Tätigkeit. Eine solche Freizeitaktivität steht mit der versicherten Beschäftigung des Geschäftsführers bei D i. S. d. § 2 Abs. 1 SGB VII in keinem sachlichen Zusammenhang und ist daher nicht gesetzlich unfallversichert. Skifahren gehört nicht zu den arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers i. S. d. § 611 BGB. Außerdem war ihm zuvor keine entsprechende Weisung zur Teilnahme an einer Skiabfahrt erteilt worden. Zwar können Dienstreisen ins Ausland mittels Direktionsrecht grundsätzlich angeordnet werden (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 6.9.2017 – 4 Sa 3/17, NZA-RR 2017, S. 578), nicht aber die aktive Teilnahme an einer Skiabfahrt.
Die Skifahrt war auch nicht im Rahmen einer Dienstreise gesetzlich unfallversichert. Denn nicht alle für ein Unternehmen nützlichen Aktivitäten stehen unter Versicherungsschutz (BSG, Urt. v. 25.8.1994 – 2 RU 23/93). Gerade bei längeren Dienstreisen lassen sich regelmäßig Tätigkeiten unterscheiden, die für das Unternehmen in einem wesentlichen Zusammenhang stehen und solchen, bei denen dies in den Hintergrund tritt (BSG, Urt. v. 12.6.1990 – 2 RU 57/89). Es ist bereits fraglich, ob eine Skireise überhaupt eine Geschäfts- bzw. Dienstreise oder nicht vielmehr als eine sog. Motivations- bzw. Incentivereise anzusehen ist. Jedenfalls hatte hier das Skifahren im Mittelpunkt der Reise gestanden und war nach dem vorgelegten Flyer sogar der einzige Programmpunkt gewesen.
Auch die Pflege geschäftlicher Kontakte begründet an sich keine versicherte Tätigkeit. Der Versicherte und seine Arbeitgeberin haben es schließlich nicht in der Hand, Freizeitaktivitäten (Skifahren) insgesamt dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu unterstellen, indem sie diese mit betrieblichen Motiven (Kundenbindung) verknüpfen. Dies gilt gleichermaßen für die betriebliche Finanzierung der Skireise, die Freistellung des Geschäftsführers von der Arbeit und die Erwartung der Arbeitgeberin, dass er an der Freizeitaktivität teilnimmt. Die Skireise war auch keine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung, weil sie nicht den Zweck verfolgte, die Verbundenheit zwischen Unternehmensleitung und allen Beschäftigten sowie der Beschäftigten untereinander zu fördern, sondern nur die Bindung von Geschäftspartnern an die D GmbH bezweckte (BSG, Urt. v. 15.11.2016 – B 2 U 12/15 R, NJW 2017, 1421: Fußballturnier).
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Konsequenzen
Die Entscheidung bestätigt die bisherige Rechtsprechung und schützt die Versicherten: Unternehmen können durch die Abfassung des Programms oder eigene Entscheidungen nicht bestimmen, wann Versicherungsschutz besteht und wann nicht (LSGHamburg, Urt. v. 6.12.2007 – L 3 U 24/07: Teilnahme Hundeschlittenfahrt), und die Gerichte unterscheiden klar zwischen versicherten betrieblichen und unversicherten privatnützigen Aktivitäten. Es muss ein sachlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit objektiv vorliegen.
Praxistipp
Auch unter Compliance-Gesichtspunkten sollten derartige Veranstaltungen unterbleiben, weil schnell die Gefahr einer Veruntreuung und eines Verstoßes gegen das Schmiergeldverbot besteht (LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.1.2009 – 9 Sa 572/08, AuA 1/10, S. 57: fristlose Kündigung Personalleiter wegen Annahme VIP-Fußballkarte).
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