Problempunkt
Arbeitgeber war ein Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, bei dem erstmals ein Betriebsrat gewählt worden war.
Nach der Entscheidung des Arbeitgebers sollte einem BR-Mitglied der Kundenstamm "General Business" zugewiesen werden. Zuvor war er als Key Accounter für Großbanken tätig. Dies teilte das Unternehmen dem Betriebsrat in Anwesenheit des Betroffenen mit und beantragte vorsorglich die Zustimmung zu den personellen Einzelmaßnahmen.
Vier Tage später verschickte das BR-Mitglied eine E-Mail an sieben Arbeitnehmer, darunter auch seine unmittelbar Vorgesetzten und die Personalleiterin mit folgendem Inhalt: Er lehne seine Versetzung ab und werde mit allen Rechtsmitteln dagegen vorgehen. Außerdem sehe er sich als Betriebsrat verpflichtet, das Gewerbeaufsichtsamt über massive Verstöße des Arbeitgebers gegen das ArbZG zu informieren. Seine Kollegen werde er auf eine mögliche Geltendmachung von Ansprüchen aus § 11 BUrlG und §§ 2, 3 EFZG rückwirkend bis zum Jahr 2003 hinweisen. Man solle doch versuchen, für alle genannten Punkte in den nächsten Tagen eine Lösung zu finden, damit keine unnötigen Reibungsverluste entstehen.
Nachdem der BR den geplanten Maßnahmen des Arbeitgebers zur Änderung der Vertriebsstruktur zugestimmt hatte, erklärte das BR-Mitglied gegenüber dem Gremium, er werde künftig dessen sämtliche Verstöße der Gewerkschaft melden. Im Übrigen habe er diese damit beauftragt, die Auflösung des BR zu betreiben.
Daraufhin beantragte der Arbeitgeber, das BR-Mitglied aus dem Gremium auszuschließen. Das Arbeitsgericht München entsprach diesem Antrag.
Entscheidung
Das Gericht stellte den Ausschluss des Mitarbeiters gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG fest, da es in seinem Verhalten, vermeintlich aus dem BR-Amt erwachsende Aufgaben zur Durchsetzung individueller Interessen zu nutzen, in dreierlei Hinsicht eine grobe Pflichtverletzung sah.
Zum einen verstoße der Betroffene mit seiner Äußerung, er sehe sich als BR-Mitglied verpflichtet, vermeintliche Verstöße gegen das ArbZG an das Gewerbeaufsichtsamt zu melden, gegen seine Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und BR gemäß §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Daraus folgte zum einen, dass strittige Fragen stets mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln und Vorschläge für die Streitbeilegung zu machen sind. In diesem Sinne müssten der Arbeitgeber, der BR als Gremium und das einzelne Mitglied sich innerhalb des jeweiligen Aufgabengebiets stets sachlich und ehrlich gegeneinander verhalten. Eine Verknüpfung von BR-Aufgaben mit privaten oder gewerkschaftlichen Zielsetzungen, um Entscheidungen im Gremium oder durch das Unternehmen zu eigenen Gunsten zu erreichen, sei unzulässig. Zum anderen folge aus der Verpflichtung, dass zur Lösung von Konflikten das Gespräch miteinander zu suchen ist. Die Anzeige beim Aufsichtsamt könne nur das letzte Mittel sein, wobei das Gremium des BR zu beteiligen sei. Vorliegend kam erschwerend hinzu, dass das BR-Mitglied sein weiteres eigenes Verhalten von der Durchsetzung eigener Interessen abhängig machte, nämlich der Beibehaltung seiner bisherigen Position.
Auch die Ankündigung, Kollegen auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus BUrlG und EFZG hinzuweisen, stelle einen groben Verstoß des Betriebsratsmitgliedes gegen seine Pflichten aus dem BetrVG dar. Diese Fragen beträfen den individualrechtlichen Bereich. Für Rechtsberatung sei ein BR-Mitglied jedoch nicht zuständig.
Ferner sei es ein Verstoß, die Auflösung des BR über die Gewerkschaft zu betreiben oder diesen Schritt anzudrohen. Das BR-Mitglied meinte zwar, das Gremium hätte die Zustimmung gemäß § 103 Abs. 3 BetrVG verweigern müssen, weil sein neues Aufgabengebiet mit dem BR-Amt nicht vereinbar sei. Nach Ansicht des Gerichts sieht § 103 Abs. 3 BetrVG lediglich eine ernsthafte und sorgfältige Prüfung vor, enthalte jedoch keine allgemeine Verweigerungspflicht.
Schließlich hält das Gericht eine "betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung" für entbehrlich, da aufgrund der Nachhaltigkeit des Auftretens des BR-Mitgliedes nicht mit einer Verhaltensänderung zu rechnen war. Mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein solches Abmahnungsrecht existiert, brauchte sich das Gericht daher nicht zu befassen (vgl. zum Streitstand ErfK-Eisenmann, 7. Auflage, § 23 BetrVG, Rn. 4 m.w.N.; Stück, AuA 10/06, S. 586, 588).
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Konsequenzen
Das Gericht setzt sich in seiner Entscheidung zusammenfassend mit den Pflichten eines BR-Mitglieds auseinander. Dabei konkretisiert es die Verpflichtung zur vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG und gibt einen Verhaltensleitfaden zur Lösung von Problemen vor. Bei möglichen Verstößen des Unternehmens habe sich ein Gremiumsmitglied zunächst in einem Gespräch an den Arbeitgeber zu wenden und sodann den BR damit zu befassen. Erst bei konsequenter Weigerung des Arbeitgebers, ein Fehlverhalten einzustellen und ausbleibender Reaktionen seitens des BR dürfe mit einer Anzeige bei einer Aufsichtsbehörde gedroht werden. Die Anzeige selbst darf also nur letztes Mittel sein.
Abgesehen davon wird noch einmal klar herausgestellt, dass die Durchsetzung von Ansprüchen aus dem individualrechtlichen Bereich, wie aus dem EFZG oder dem BUrlG, nicht zu den Aufgaben des BR gehört. Die Nichtbeachtung dieser Vorgaben kann somit zu einem Verstoß gegen die gesetzlichen Pflichten gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG führen.
Das Gericht stellte überdies klar, dass das gezeigte Verhalten des BR-Mitglieds zur Durchsetzung individueller Interessen einen groben Verstoß gegen BR-Pflichten darstellt. Es konnte sich auch nicht auf fehlende Rechtskenntnisse oder einen Rechtsirrtum berufen. Denn es musste ihm einleuchten, dass Aufgaben des Betriebsrats nicht zur Durchsetzung individueller Ziele eingesetzt werden dürfen.
Angesichts der Schwere der Vorwürfe war es konsequent, eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung für entbehrlich zu halten.
Praxistipp
Wenn ein BR-Mitglied nachhaltig gegen seine gesetzlichen Pflichten verstößt, um individuelle Ziele durchzusetzen, muss es nach § 23 Abs. 3 BetrVG mit dem Ausschluss aus dem Gremium rechnen. Ein ausgeschlossenes Mitglied hat jedoch nachwirkenden Kündigungsschutz für die Dauer eines Jahres nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG.
RA und FA ArbR Dr. Alexander Wolff, Baker & McKenzie, Berlin
Redaktion (allg.)
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