Einigungsstelle bei Interessenausgleich

1. Zur Erfüllung der innerbetrieblichen Verhandlungs- und Beratungspflichten genügt es, wenn der Betriebspartner, der die Bildung einer Einigungsstelle anstrebt, einen ernsthaften Verhandlungsversuch unternommen hat. 2. Ein Dissens über den Umfang und die ausreichende Erfüllung der Unterrichtungsansprüche des Betriebsrats steht der Bestellung einer Einigungsstelle über die Beratung eines Interessenausgleichs dann nicht entgegen.

Hessisches LAG, Beschluss vom 17. April 2007 - 4 TaBV 59/07 §§ 74, 76, 111, 112 BetrVG; § 98 ArbGG

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Problempunkt

Der Arbeitgeber betreibt eine Rehaklinik mit einer Bettenkapazität von 195, von denen zuletzt durchschnittlich nur ca. 100 bis 120 belegt waren. Er beschäftigt 61 Arbeitnehmer auf ca. 48 Vollzeitstellen. Nach einem Jahresgesamtverlust von 1,5 Mio. Euro entschloss sich der Arbeitgeber zunächst, die Klinik zum 31.1.2007 stillzulegen. Hierüber unterrichtete er den Betriebsrat. Nachdem der Klinikverpächter jedoch eine einstweilige Verfügung erwirkte, die den Arbeitgeber verpflichtete, den tatsächlichen Betrieb über den 31.1.2007 hinaus aufrechtzuerhalten, änderte dieser seine Pläne: Weiterbetrieb mit 50 Betten bei 23 Vollzeitstellen. Der Arbeitgeber unterrichtete erneut den Betriebsrat. Dieser forderte - u.a. mit Schreiben vom 31.1.2007 - eine umfassende schriftliche Unterrichtung über Konzept und Prognose. Daraufhin teilte der Arbeitgeber mit Schreiben vom 2.2.2007 mit, dass die Vollzeitstellen auf 30 reduziert werden sollten, wodurch Personal- i.H.v. 0,9 Mio. und Sachkosten i.H.v. 1,3 Mio. Euro eingespart würden. Hierüber verhandelten die Parteien am 5.2.2007 ca. vier Stunden und am 6.2.2007 drei Stunden, ohne zu einer Einigung zu kommen. Der Arbeitgeber verweigerte die Zuziehung eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigen und gewährte eine Stunde Einblick in den Pachtvertrag. Seine Forderung nach Zustimmung zur Bestellung einer Einigungsstelle zwecks Verhandlung eines Interessenausgleichs lehnte wiederum der Betriebsrat ab, weil er nicht ausreichend informiert sei und die innerbetrieblichen Verhandlungen noch nicht gescheitert seien. Auf Antrag des Arbeitgebers bestellte das Arbeitsgericht eine Einigungsstelle mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern pro Seite. Dagegen legte der Betriebsrat Beschwerde ein, weil er "überfahren" worden sei.

 

Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Beschwerde zurück. Nach § 98 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsgerichtsgesetz kann ein Antrag auf Bestellung einer Einigungsstelle nach § 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Dies ist nur der Fall, wenn die Zuständigkeit der Einigungsstelle unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt als möglich erscheint. Bei Kontroversen über die für die Zuständigkeit maßgeblichen Rechtsfragen besteht der Zurückweisungsgrund der offensichtlichen Unzuständigkeit nicht (Hessisches LAG, Beschl. v. 1.8.2006 - 4 TaBV 111/06, NZA-RR 2007, S. 199). Dieser Maßstab gilt auch für die Prüfung, ob die Betriebspartner vor der Anrufung einer Einigungsstelle in hinreichendem Maß ernsthafte innerbetriebliche Verhandlungen geführt haben (Hessisches LAG, Beschl. v. 13.9.2005 - 4 TaBV 86/05, AuR 2006, S. 173). Es genügt daher zur Erfüllung der Verhandlungs- und Beratungspflichten gemäß §§ 74 Abs. 1 Satz 2, 111 Satz 1 BetrVG, dass die Seite, die die Bildung der Einigungsstelle anstrebt, zumindest einen ernsthaften Verhandlungsversuch unternommen hat. Ist dies tatsächlich geschehen, kann zur Verhinderung von Verzögerungstaktiken und der damit verbundenen Entwertung des Einigungsstellenverfahrens jede Seite frei entscheiden, ob sie die Gespräche für nicht mehr aussichtsreich erachtet und daher die Bestellung einer Einigungsstelle betreibt (Hessisches LAG, Beschl. v. 13.6.2003 - 4 TaBV 187/03, LAGE ArbGG 1979, § 98 Nr. 41). Dies gilt insbesondere für die häufig eilbedürftigen Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs. Weitere Gesprächswünsche oder Informationsansprüche des Betriebsrats stehen der Bildung der Einigungsstelle dann nicht entgegen. Diese können die Parteien aussichtsreicher im oder parallel zum Einigungsstellenverfahren unter Moderation des unparteiischen Vorsitzenden weiterverfolgen. Im vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber deshalb nach der schriftlichen Unterrichtung und zwei mehrstündigen, erfolglosen Verhandlungsrunden die Einigungsstelle zu Recht anrufen.

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Konsequenzen

Die Entscheidung ist für Arbeitgeber sehr wichtig und beugt teuren Verzögerungstaktiken vor, die Betriebsräte häufig nutzen. Die Beteiligungsrechte gemäß §§ 111, 112 BetrVG sind - entgegen Ansicht vieler Betriebsräte - nicht streng in die drei Phasen Information, innerbetriebliche Verhandlungen und Einigungsstellenverfahren unterteilt. Letzteres dient gerade auch dazu, eine aufgrund von Streitigkeiten über formelle Fragen wie den Umfang von Informationsansprüchen festgefahrene Zusammenarbeit der Betriebspartner mithilfe eines unparteiischen Vorsitzenden zügig wieder in Gang zu setzen (LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 5.1.2006 - 6 TaBV 60/05, AuR 2006, S. 333).

Praxistipp

Es empfiehlt sich, die unternehmerische Entscheidung sowie deren Ursachen und Auswirkungen sorgfältig vorzubereiten und den Betriebsrat schriftlich zu unterrichten (gem. § 111 BetrVG, § 17 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz). Aufgeworfene Fragen sollte die Arbeitgeberseite konstruktiv beantworten. Kommt man in zwei bis drei Verhandlungsrunden inhaltlich nicht zueinander, empfiehlt sich die Anrufung der Einigungsstelle, um keine Zeit bei der weiteren Umsetzung zu verlieren. Vor Scheitern der Verhandlungen in der Einigungsstelle erkennen viele Gerichte nämlich einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats an (vgl. Stück, AuA 10/04, S. 25).

RA Volker Stück, Stuttgart

Redaktion (allg.)

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