Freizeitausgleich während der gesetzlichen Ruhezeit
Problempunkt
Der als Assistenzarzt beschäftigte Kläger leistet regelmäßig in erheblichem Umfang Bereitschaftsdienste außerhalb seiner regulären Arbeitszeit. Der Bereitschaftsdienst dauert regelmäßig zehn Stunden, von denen entsprechend der tarifvertraglichen Regelungen neun Stunden als Arbeitszeit gewertet werden. Der einschlägige Tarifvertrag sieht vor, dass der Arbeitgeber Bereitschaftsdienste nach Wahl entweder finanziell abgelten oder aber durch Freizeitausgleich ausgleichen kann. Der Kläger erhält seinen Freizeitausgleich unmittelbar im Anschluss an seinen Bereitschaftsdienst während der Zeiträume, in denen er eigentlich reguläre Arbeitszeit leisten müsste, die Klinik diese jedoch wegen des Ruhezeiterfordernisses nach § 5 ArbZG nicht von ihm verlangen kann.
Der Kläger war der Auffassung, der Arbeitgeber dürfe ihm keinen Freizeitausgleich während der Ruhezeiten nach § 5 ArbZG gewähren. Etwas Anderes verstoße gegen den Sinn sowohl von § 5 ArbZG als auch der tarifvertraglichen Regelung. Letztere solle dem Arzt als Ausgleich für den Bereitschaftsdienst ein Mehr an Freizeit gewährleisten. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, das LAG wies sie ab.
Entscheidung
Das BAG schloss sich der Auffassung des LAG an und wies die Revision zurück. Weder der tarifvertragliche Wortlaut noch der Schutzzweck von § 5 ArbZG stehen der Gewährung von Freizeitausgleich während der Ruhezeiten entgegen. Nach der hergebrachten Definition bedeutet Freizeitausgleich, bezahlte Freizeit zu erhalten, anstatt Arbeitszeit ableisten zu müssen. Der Freizeitausgleichsanspruch nach § 12 TV-Ärzte/VKA wird demnach erfüllt, wenn der Arbeitgeber dem Arzt gegenüber auf sein vertragliches Recht, die Arbeitsleistung entgegenzunehmen, in einem bestimmten Umfang verzichtet und unter Fortzahlung der Vergütung damit die entsprechende Arbeitspflicht des Arztes zum Erlöschen bringt. Es besteht kein Anspruch des Arztes darauf, nach Abschluss des Bereitschaftsdienstes zunächst unbezahlte Ruhezeit nach § 5 ArbZG und erst danach bezahlten Freizeitausgleich zu erhalten.
Ruhezeit wird nicht in Form einer unentgeltlichen Freistellung von der Arbeitspflicht gewährt. Zweck der Ruhezeit nach § 5 ArbZG ist es, dem Arbeitnehmer Zeit zu geben, sich auszuruhen und zu erholen. Diesem Zweck steht eine Freistellung von der Arbeit zum Zwecke des tariflichen Freizeitausgleichs nicht entgegen. Auch dem Tarifvertrag widerspricht das Vorgehen des Arbeitgebers nicht. Der Freizeitausgleich während der gesetzlichen Ruhezeit reduziert nämlich die Sollarbeitszeit des Arbeitnehmers. Ohne den in der gesetzlichen Ruhezeit gewährten Freizeitausgleich müsste er die wegen § 5 ArbZG nicht abgeleistete Arbeitszeit nacharbeiten, also zu einem späteren Zeitpunkt leisten.
In diesem Buch werden die verschiedensten Aspekte für Praktiker umfassend dargestellt und der Aufbau und die Systematik des Arbeitsschutzes, Compliance-relevanter Aspekte, Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erläutert.
Konsequenzen
Die Entscheidung des BAG überrascht letztlich nicht, obwohl sie auf den ersten Blick ungerecht erscheint. Bereits seit Langem (vgl. BAG, Urt. v. 12.12.2001 5 AZR 294/00 und Urt. v. 13.7.2006 6 AZR 55/06) ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Arbeitgeber den Ersatzruhetag, der als Ausgleich für geleistete Sonntagsarbeit gemäß § 11 Abs. 3 ArbZG zu gewähren ist, auch an eigentlich arbeitsfreien Tagen gewähren kann, also an Samstagen oder an gem. Schichtplan arbeitsfreien Tagen.
Praxistipp
Auch wenn die BAG-Rechtsprechung für Arbeitgeber positiv ist, besteht kein Grund für Jubelrufe. Zum einen ist zu erwarten, dass die Gewerkschaften im Rahmen von Tarifverhandlungen auf das Urteil reagieren werden. Denkbar ist hier etwa die Forderung nach zusätzlichen Urlaubstagen oder aber ein Mitbestimmungsrecht des einzelnen Arbeitnehmers bei der Entscheidung, über das Ob und Wie des Freizeitausgleichs. Darüber hinaus werden sich viele Arbeitgeber die Frage stellen müssen, ob die Einsparungen, die sie mit der Anwendung dieser BAG-Rechtsprechung erzielen, die damit verbundene negative Wirkung auf die Belegschaftsmotivation wert sind. Ganz unabhängig von der Auffassung des BAG bleibt bei Arbeitnehmern in aller Regel der Eindruck der Ungerechtigkeit: Effektiv erhalten sie für geleistete Sonntags- oder Bereitschaftsdienste kein fühlbares Mehr.
RA und FA für Arbeitsrecht Bernd Weller, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Frankfurt am Main
Redaktion (allg.)
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