Kein Auskunftsanspruch bei Entschädigung nach dem AGG

1. Der abgelehnte Bewerber hat keinen Auskunftsanspruch über den eingestellten Mitstreiter und die Auswahlgründe für die Personalentscheidung.

2. Die Verweigerung einer Auskunft ist grundsätzlich auch kein Indiz i. S. d. § 22 AGG, welches eine Diskriminierung nach dem AGG vermuten lässt.

(Leitsätze der Bearbeiter)

BAG, Urteil vom 25. April 2013 – 8 AZR 287/08

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Bild: Corgarashu / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien stritten sich über Entschädigungsansprüche nach dem AGG wegen angeblicher Diskriminierung. Die Klägerin hatte sich erfolglos auf eine Stelle bei der Beklagten als Softwareentwickler/-in beworben. Sie fühlte sich dadurch diskriminiert, dass sie nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde, obwohl sie aus ihrer Sicht die Kriterien für die ausgeschriebene Stelle voll erfüllte. Zudem verweigerte ihr die Beklagte die Auskunft darüber, ob sie einen anderen Bewerber eingestellt hat und welche Kriterien hierfür maßgeblich waren. Sie klagte auf eine Entschädigung nach dem AGG i. H. v. sechs Monatsgehältern, da sie nur wegen ihres Geschlechts, ihres Alters (Jahrgang 1961) und ihrer Herkunft (geboren im heutigen Russland) nicht zum Gespräch eingeladen worden sei.

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, das LAG ließ jedoch die Revision zu. Das BAG legte dem EuGH die Frage vor, ob es das Gemeinschaftsrecht gebiete, einem abgewiesenen Bewerber einen Auskunftsanspruch über den eingestellten Mitstreiter und die Auswahlgründe hierfür zu gewähren. Zudem stellte es die Folgefrage, ob die verweigerte Auskunft des Unternehmens eine Tatsache sei, welche das Vorliegen der vom Bewerber behaupteten Diskriminierung vermuten lasse.

Der EuGH (Urt. v. 19.4.2012 - C-415/10) antwortete, dass das Gemeinschaftsrecht keinen solchen Auskunftsanspruch vorsehe, es jedoch nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Verweigerung jedes Zugangs zu Informationen durch den Arbeitgeber ein Indiz für das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung sein könne. Es sei jedoch Sache der nationalen Gerichte, dies im Einzelfall festzustellen.

Entscheidung

Das BAG hat die Entscheidung des LAG aufrechterhalten. Die Klägerin hat laut BAG nicht in ausreichender Weise dargelegt, dass die fehlende Einladung auf einem der in § 1 AGG genannten Markmale beruhte. Für die Beweislastumkehr des § 22 AGG reicht es danach nicht aus, dass die Partei lediglich vorträgt, sie erfülle ein Merkmal gem. § 1 AGG und habe wegen dieses Merkmals eine ungünstigere Behandlung als eine andere Person erfahren, da jeder Mensch zwangsläufig mehrere der in § 1 AGG genannten Merkmale aufweist. Der Arbeitgeber hat sich vorliegend neutral verhalten. Auch ein standardisiertes Ablehnungsschreiben führt laut BAG nicht dazu, eine Benachteiligung zu vermuten.

Es besteht zudem kein Auskunftsanspruch aus nationalem oder Unionsrecht. Daher war die Verweigerung der Auskunft vorliegend auch für sich betrachtet noch kein Indiz nach § 22 AGG. Der vom EuGH angesprochene Ausnahmefall war hier ebenfalls nicht gegeben, da die Klägerin dessen Voraussetzungen nicht schlüssig darlegt hat. Dazu genügte es laut BAG nicht, dass der Bewerber lediglich Tatsachen benennt, die für sich betrachtet und/oder in ihrer Gesamtschau „neutral“ sind. In diesem Zusammenhang darf er sich nicht auf Behauptungen „ins Blaue hinein“ beschränken.

Die Erfurter Richter mussten daher nicht entscheiden, ob der Klägerin in einem solchen Ausnahmefall (auch) ein Anspruch gegen die Beklagte auf Vorlage der Bewerbungsunterlagen des eingestellten Bewerbers zugestanden hätte oder ob lediglich die Beweislastumkehr des § 22 AGG die Folge gewesen wäre.

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Konsequenzen

Das BAG stellte mithilfe des EuGH den Grundsatz auf, dass abgelehnten Bewerbern keine Auskunft über sonstige Bewerber oder denjenigen erteilt werden muss, der vom Unternehmen die Stelle erhalten hat. Für die Beweiserleichterung des § 22 AGG sind konkrete Indizien nötig, woraus geschlossen werden kann, dass die Auskunftsverweigerung ausnahmsweise doch eine Diskriminierung indiziert.

Der Arbeitgeber ist daher nicht – auch nicht nach dem AGG – verpflichtet, individuell auf die jeweiligen Bewerbungen einzugehen oder Absagen sachlich zu begründen. Auch muss er nicht alle objektiv geeigneten Bewerber bei seiner Auswahlentscheidung berücksichtigen, d. h. diese zu einem Bewerbungsgespräch einladen, um die Folge des § 22 AGG zu verhindern. Das BAG stellte ausdrücklich klar, dass Ablehnungsgründe außerhalb des AGG nicht verboten sind, die Ablehnung für sich alleine folglich auch kein Indiz für eine Diskriminierung sein kann.

Praxistipp

Die Entscheidung gibt eine gute Orientierung zur Handhabung von Bewerbungen, die erkennbar Potenzial für Klagen nach dem AGG haben oder bei denen es bereits zu einer Diskriminierungsklage gekommen ist (z. B. bei sog. AGG-Hoppern). Es gibt keinen Auskunftsanspruch des abgelehnten Stellenbewerbers gegen das Unternehmen, ob dieses einen anderen Bewerber eingestellt hat und – wenn ja –, aufgrund welcher Kriterien diese Einstellung erfolgt ist. Auch wenn Diskriminierungsmerkmale nach § 1 AGG ins Feld geführt werden, sieht § 22 AGG vor, dass der Bewerber die Indizien ausreichend darlegen muss, die die Diskriminierung vermuten lassen. Erst wenn dies gelungen ist, dreht sich die Beweislast um und der Arbeitgeber muss beweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt. Das bloße Behaupten des Bewerbers, er wäre diskriminiert worden, reicht gerade nicht. Wenn in der Folge das Unternehmen gar nichts zum Bewerbungsprozess sagt, sondern beharrlich zu allem schweigt, kann ihm dies nicht belastend ausgelegt werden. Es muss nichts über seine Auswahlentscheidung – insbesondere die ausschlaggebenden Kriterien – sagen und schafft sich damit keine Nachteile im Prozess.

Arbeitgeber sollten also generell keine Ablehnungsgründe nennen, keine Auskünfte über andere Bewerber erteilen, Ablehnungsschreiben standardisieren und zudem erst nach Abschluss des Bewerbungsprozesses Absagen erteilen, um keine Indizien für eine Benachteiligung zu schaffen, auch wenn dies für den abgelehnten Aspiranten unbefriedigend sein mag.Es gibt hierfür keine gesetzliche Verpflichtung und auf diese Weise wird Diskriminierungsklagen effektiv vorgebeugt.

RA und FA für Arbeitsrecht Dr. Marc Spielberger, RA Thomas Heer, Beiten Burkhardt Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München

Redaktion (allg.)

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