Problempunkt
Der Kläger ist als einer von 14 Druckern bei der Beklagten beschäftigt. Diese gehört mit der M-GmbH (17 Drucker) zu einem Konzern. Beide sind in denselben Betriebsräumen und an denselben Druckmaschinen tätig. Wegen rückläufiger Auflagen stellte die Beklagte den Arbeitsablauf um: Statt bisher an vier Druckmaschinen wird nur noch an drei davon gleichzeitig gedruckt. Damit ist jeweils eine rotierend außer Betrieb. Als Folge ermittelte die Beklagte einen Personalbedarf von nur noch 11 statt bisher 14 Druckern. Da sich ein Arbeitnehmer in Altersteilzeit befand, beabsichtigte sie den Ausspruch zweier Beendigungskündigungen. Der Betriebsrat schlug stattdessen nach § 92a BetrVG vor, mit sämtlichen Druckern Teilzeitverträge abzuschließen. Dies lehnte die Beklagte jedoch schriftlich ab. Ein solches Vorgehen stünde nicht mit ihrem unternehmerischen Konzept in Einklang. Weil der Kläger nach der mit dem Betriebsrat vereinbarten Auswahlrichtlinie die wenigsten Punkte hatte, kündigte ihm der Arbeitgeber. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt, das Landesarbeitsgericht wies sie ab.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigte die Wirksamkeit der Kündigung. § 92a Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) steht dem nicht entgegen. Dieser begründet zwar Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Die Vorschrift entfaltet aber keine unmittelbaren Rechtswirkungen für das Verhältnis zwischen Unternehmen und einzelnem Arbeitnehmer. Eine Beschränkung des Kündigungsrechts ergibt sich deshalb nicht allein daraus, dass der Arbeitgeber z.B. seiner Beratungs- oder Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Die Kündigung ist auch sozial gerechtfertigt. Durch die Reorganisationsentscheidung, den Druck auf drei Maschinen zu beschränken, entfiel der Beschäftigungsbedarf. Die verbleibenden Kollegen wurden nicht über das geschuldete Maß mit Überstunden belastet. Auch die vorgehaltene Personalstärke an Druckern entsprach den für das Unternehmen geltenden tariflichen Besetzungsregeln. Die unternehmerische Entscheidung beruhte zudem auf einem Rückgang der zu druckenden Auflage und sollte nicht unliebsame Arbeitnehmer aus dem Betrieb drängen. Damit war die Kündigung nicht missbräuchlich. Auch die Sozialwahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) war korrekt. Die M-GmbH war nicht mit einzubeziehen, weil beide Unternehmen keinen Gemeinschaftsbetrieb bilden. Hierfür ist der Kläger abgestuft darlegungspflichtig. Da die Beklagte ihre Arbeitnehmer in der Nachtschicht und die M-GmbH ihre in der Tagschicht einsetzt, ergibt sich eine klare Trennung der Produktionsabläufe. Unerheblich ist dabei, in wessen Eigentum die Betriebsmittel stehen. Urlaubsplanung sowie Krankheitsvertretung werden nicht unternehmensübergreifend durchgeführt. Ein Personalaustausch findet nicht statt. Auch den Betriebsräten steht kein einheitlicher Ansprechpartner gegenüber. Bei der Personalabteilung handelt es sich lediglich um eine Einheit, die unterstützend die Entscheidungen beider Unternehmen umsetzt (Controlling, Serviceleistungen, insbesondere Personalabrechnung und Verwaltungsaufgaben). Ihr kann damit keine ausschlaggebende Indizwirkung zukommen.
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Konsequenzen
Die Entscheidung bestätigt und stärkt die unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Dazu gehört es, selbst bestimmen zu können, mit welcher Anzahl von Arbeitskräften der Arbeitgeber die verbleibende Arbeitsmenge nach einem innerbetrieblichen Reorganisationsakt durchführen lässt. Darunter fällt z.B., ob man dem Arbeitsmangel durch Ausspruch einiger weniger Beendigungskündigungen oder einer größeren Zahl von Änderungskündigungen begegnet. Nach § 92a BetrVG kann der Betriebsrat zwar beschäftigungssichernde Vorschläge machen. Diese binden den Arbeitgeber aber nicht, wenn er sich nicht darauf einlässt. In puncto Darlegungslast verlangt das BAG nicht stets den Vortrag eines detaillierten Zeit-Mengengerüsts. Vielmehr steht die Missbrauchskontrolle der Unternehmerentscheidung im Vordergrund. Hinsichtlich der Frage nach dem Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs stellt das Urteil außerdem klar, dass im HR-Bereich reine, untergeordnete Dienstleistungen, die zwei Betriebe gemeinsam nutzen, unschädlich sind. Dies hat praktische Bedeutung, da Shared Service Center im Kommen sind (vgl. Wiesinger/Wiesinger, AuA 7/07, S. 402 ff.).
Praxistipp
Der Arbeitgeber muss sich mit Vorschlägen des Betriebsrats nach § 92a BetrVG befassen. Er kann sie aber schriftlich ablehnen, wenn sie nicht mit seinem unternehmerischen Konzept zu vereinbaren sind. Lässt er sich allerdings darauf ein, führt dies zu einer Selbstbindung, die kündigungsrechtliche Wirkung entfaltet.
RA Volker Stück, Stuttgart
Redaktion (allg.)
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Unsere Welt steht vor einer Wende. Was sich für Gesellschaft, Wirtschaft und damit die Gestaltung der Arbeit ableitet, ist komplex und in vielen
Problempunkt
Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung und einen Schadensersatzanspruch.
Die Klägerin war
Problemaufriss
Vor Inkrafttreten des HinSchG sahen sich (vermeintlich) hinweisgebende Arbeitnehmer nach der Meldung tatsächlicher oder mutmaßlicher
Einführung
Das AÜG hat durch das „Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“ vom 21.2.2017 (BGBl. I 2017, S. 258
Ausgangssituation
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Problempunkt
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