Tarifvertragliche Altersversorgung bei Betriebsübergang

Arbeitnehmer behalten gemäß § 613a Abs.1 Satz 2 BGB ihre Rechte aus einem Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung auch im Falle eines Betriebsübergangs. Eine Über-Kreuz-Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung beim Erwerber über die betriebliche Altersversorgung scheidet aus.

(Leitsatz des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 13. November 2007 - 3 AZR 191/06 § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB

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Bild: Stefan-Yang / stock.adobe.com
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Problempunkt

Der Kläger war zunächst bei einer Stadt als Sozialarbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beidseitiger Tarifbindung u.a. ein Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung Anwendung, wonach die Stadt für den Kläger Beiträge an die zuständige Zusatzversorgungskasse zu entrichten hatte. Zum 1.7.2003 ging das Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs gemäß § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf den beklagten gemeinnützigen Verein über. Die Stadt stellte daraufhin ihre Zahlungen an die Zusatzversorgungskasse ein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger eine Anwartschaft auf eine Betriebsrente i.H.v. 75,60 Euro monatlich erworben. Bei Weiterzahlung der Beiträge durch die Stadt hätte er voraussichtlich eine monatliche Betriebsrente i.H.v. 120 Euro monatlich erhalten.

Bei dem beklagten Verein besteht eine Betriebsvereinbarung über die betriebliche Altersversorgung, wonach der Arbeitgeber Direktversicherungen zugunsten seiner Arbeitnehmer abschließt. Im Versorgungsfall sollte der Kläger danach eine Einmalzahlung i.H.v. 665 Euro erhalten. Mit seiner Klage begehrte er die Feststellung, dass der Beklagte ihn so stellen müsse, wie er bei Fortbestehen der Pflichtversicherung bei der Zusatzversorgungskasse stehen würde. Seine Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.

Entscheidung

Der Beklagte muss dem Kläger bei Eintritt des Versorgungsfalls die Versorgungsleistungen verschaffen, die der Kläger bei Fortbestehen der Pflichtversicherung bei der Zusatzversorgungskasse erhalten würde. Rechtsgrundlage hierfür ist § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, die durch einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung geregelt sind, Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit dem Betriebserwerber werden.

Tarifliche Regelungen gelten zwar nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB dann nicht einzelvertraglich weiter, wenn Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder einer anderen Betriebsvereinbarung beim Erwerber die Rechte und Pflichten regeln. Tarifvertraglich begründete Ansprüche auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung können aber nach dem Sinn und Zweck von § 613a BGB nicht durch eine beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarung abgelöst werden. Eine solche Über-Kreuz-Ablösung ist nicht möglich. § 613a BGB will den Arbeitnehmern bei einem Betriebsübergang die bisherigen Arbeitsbedingungen erhalten. Dieses Ziel wird verfehlt, wenn Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung entsprechende Tarifverträge ablösen könnten. Denn die Betriebsvereinbarungen sind im Gegensatz zu Tarifverträgen nur teilmitbestimmt, da der Arbeitgeber hier allein über die Dotierung entscheidet.

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Konsequenzen

Ist der Erwerber nicht oder nicht einschlägig tarifgebunden, werden Ansprüche aus dem Tarifvertrag nach der Auffangnorm des § 613a Absatz 1 Satz 2 BGB in das Einzelarbeitsverhältnis zum Erwerber transformiert (BAG v. 20.6.2001 - 4 AZR 295/00, NZA 2002, S. 517; vgl. Stück, AuA 2/03, S. 6, 10 f.). Der beim Veräußerer kollektivrechtlich geltende Tarifvertrag, der Inhalt des Arbeitsvertrags mit dem Erwerber wird, wird auf dem Status quo zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs eingefroren (sog. statischer Bestandsschutz). Nachträgliche Änderungen des Tarifvertrags muss der nicht tarifgebundene Erwerber nicht weiterführen (BAG v. 29.8.2001 - 4 AZR 332/00, NZA 2002, S. 513).

Individualrechtliche Verschlechterungen dieser transformierten Regelungen durch Änderungsvertrag oder Änderungskündigung sind nur nach Ablauf der einjährigen Schutzfrist möglich (§ 613a Absatz 1 Satz 2 BGB) und unterliegen strengen Anforderungen. Kollektivrechtlich ist eine Verschlechterung ohne Bindung an die einjährige Schutzfrist möglich (Stück, AuA 02/03, S. 6, 10 f.). Hier bestehen folgende Möglichkeiten:

Eine sofortige und verschlechternde Ablösung kann im Falle des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB eintreten, wenn beim Erwerber ein anderer kongruenter Tarifvertrag gilt (Ablösung Tarifvertrag durch Tarifvertrag). Dann ist von einer qualitativen Gleichwertigkeit aller Tarifverträge im Rechtssinne auszugehen, also auch der alten und neuen Tarifregelungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang.

Kontrovers diskutiert wurde bislang die Frage, ob eine Tarifregelung des Veräußerers durch eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung beim Erwerber, die rangniedriger ist, abgelöst werden kann (Überkreuz-Ablösung). Der Schutz des Arbeitnehmers durch eine kollektive Regelung bleibt zwar erhalten. Die Rechtsprechung geht jedoch dahin, dass eine betriebsverfassungsrechtliche Regelung keine tarifliche Regelung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB verdrängen kann (vgl. BAG v. 22.3.2005 - 1 ABR 64/03, NZA 2006, S. 383). Die Anwendung des Ablösungsprinzips (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB) anstelle des Günstigkeitsprinzips (§ 4 Abs. 3 Tarifvertragsgesetz) setzt gleichwertige Kollektivnormen voraus. Zu Recht hat das BAG daher jetzt entschieden, dass eine Betriebsvereinbarung gegenüber einem Tarifvertrag nicht gleichwertig ist und keine entsprechend starke Legitimationsgrundlage bildet - erst recht nicht, wenn es um eine freiwillige Betriebsvereinbarung geht (vgl. auch LAG Düsseldorf v. 16.8.2007 - 15 Sa 630/07 Mehrarbeitsvergütung).

Praxistipp

Da eine Ablösung von in den Arbeitsvertrag transformierten tariflichen Regelungen des Veräußerers durch eine Betriebsvereinbarung beim Erwerber nicht möglich ist, muss im Rahmen einer Due Diligence dieser Punkt besondere Berücksichtigung finden.

RA Volker Stück, Stuttgart

Redaktion (allg.)

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