Tarifwechsel nach Teilbetriebsübergang

1. Die Ablösung der beim Veräußerer geltenden Tarifnormen durch die vom Erwerber angewandten Tarifverträge setzt in jedem Fall voraus, dass der Betrieb des Erwerbers tatsächlich unter den fachlichen Geltungsbereich „seines“ Tarifvertrags fällt.

2. Verlangt der Arbeitgeber, dass der Mitarbeiter überzahlte Vergütung zurückzahlt, muss er hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung i. d. R. geltend machen, dass ihm der Beschäftigte den Erstattungsanspruch gegen die Einzugsstelle abtritt.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Urteil vom 9. April 2008 – 4 AZR 164/07

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Bild: beeboys/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Klägerin war seit März 2002 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einer Dienstleistungs-GmbH mit dem Schwerpunkt Reinigungstätigkeiten, als Küchenhilfe beschäftigt. Auf ihr Arbeitsverhältnis fand der allgemeinverbindliche Rahmentarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung (RTV Gebäudereinigung) Anwendung. Danach sind Sonn- und Feiertagsarbeit zuschlagspflichtig.

Im August 2004 ging der Teilbetrieb Küchendienst, dem auch die Klägerin angehörte, auf die Beklagte über, die eine Krankenhausküche betreibt. Bis zum 31.12.2004 zahlte die Beklagte noch Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit gemäß dem RTV Gebäudereinigung. Ab Januar 2005 wandte sie den allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe (MTV Gaststättengewerbe) an, der keine Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit vorsieht.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin Lohnnachzahlungen, u. a. Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit nach dem RTV Gebäudereinigung. Die Beklagte machte geltend, auf das Arbeitsverhältnis finde nach dem Teilbetriebsübergang der MTV Gaststättengewerbe Anwendung. Hilfsweise verlangte sie von der Klägerin im Wege der Aufrechung bzw. Widerklage das Urlaubs- und Weihnachtsgeld zurück, das sie ihr nach dem MTV Gaststättengewerbe bereits gezahlt hatte.

Entscheidung

Das BAG sprach der Klägerin die geltend gemachten Zuschläge zu und wies die Gegenforderungen der Beklagten zurück. Auf das Arbeitsverhältnis fand auch nach dem Teilbetriebsübergang gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) der RTV Gebäudereinigung Anwendung. Eine Ablösung durch den MTV Gaststättengewerbe gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB war nicht erfolgt.

Der MTV Gaststättengewerbe gilt schon deshalb nicht für das Arbeitsverhältnis, weil eine Krankenhausküche nicht unter den fachlichen Geltungsbereich des MTV Gaststättengewerbe fällt. Gaststätte meint eine Speisewirtschaft, bei der zubereitete Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden. Außerdem muss sie für jedermann oder zumindest einen bestimmten Personenkreis zugänglich sein. Die Beklagte bereitet die Speisen in der Krankenhausküche aber nicht unmittelbar für die Patienten zu, sondern vielmehr für das Krankenhaus, das seinerseits für die Verpflegung der Patienten zu sorgen hat.

Der Rückzahlungsanspruch, den die Beklagte geltend gemacht hat, war nach Auffassung des BAG nicht hinreichend bestimmt. Er richtete sich auf die gezahlte Bruttovergütung. Damit enthielt er also auch die von der Beklagten abgeführten Sozialversicherungsbeiträge. Bei deren Rückforderung ist jedoch § 26 Viertes Buch Sozialgesetzbuch zu beachten. Danach hat der Arbeitnehmer zunächst nur einen Erstattungsanspruch gegen den Sozialversicherungsträger erlangt. Der Arbeitgeber hat deshalb allenfalls einen Anspruch darauf, dass ihm der Mitarbeiter diesen Erstattungsanspruch abtritt, solange ihm der Sozialversicherungsträger die zu Unrecht entrichteten Beiträge noch nicht ausgezahlt hat.

Ein Überblick über die drei Teilbereiche des „Kollektiven Arbeitsrechts“: Betriebsverfassungsrecht (BetrVG, SprAuG, EBRG), Unternehmensmitbestimmungsrecht (DrittelbG, MitbestG, Montan-MitbestG), Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht (TVG, Artikel 9 III GG)

Konsequenzen

Das Outsourcing von Geschäftsbereichen (wie im vorliegenden Fall Küchendienstleistungen) auf Tochtergesellschaften dient häufig dem Zweck, Kosten einzusparen. Dies kann erreicht werden, indem sich das beim Veräußerer bestehende Tariflohnniveau absenkt, weil beim Erwerber „günstigere“ Tarifverträge gelten. Findet auf das Arbeitsverhältnis ein bestimmter Tarifvertrag Anwendung, an den der Erwerber nicht gebunden ist, wandeln sich die tariflichen Bestimmungen des Veräußerers nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in einen Bestandteil des Arbeitsvertrags um. Der Erwerber darf sie für die Dauer von einem Jahr nicht zum Nachteil des übergehenden Arbeitnehmers abändern. Gilt bei dem Erwerber jedoch ein anderer Tarifvertrag, der denselben Regelungsgegenstand betrifft, löst dieser den Tarifvertrag beim Veräußerer ab, auch wenn er für den Arbeitnehmer schlechter ist.

Eine solche Ablösung tritt jedoch nach der Rechtsprechung des BAG nur ein, wenn

- entweder sowohl der Erwerber als auch der Arbeitnehmer Mitglied der jeweiligen Tarifvertragsparteien sind, die den Tarifvertrag geschlossen haben, oder

- der beim Erwerber geltende Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde.

Allerdings muss der Betrieb des Erwerbers in jedem Fall zunächst einmal dem fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags unterfallen. Dies verneinte das BAG im vorliegenden Fall.

Praxistipp

Um bei einem Outsourcing den gewünschten wirtschaftlichen Effekt zu erzielen, ist im Vorfeld sorgfältig zu prüfen, welche Tarifverträge nach der Transaktion auf die übernommenen Arbeitsverhältnisse zur Anwendung kommen. Aber auch beim „regulären“ Erwerb eines Geschäftsbereichs sollte der Erwerber sich darüber im Klaren sein, welche Tarifnormen auf die übernommenen Arbeitsverhältnisse Anwendung finden, um kostspielige Überraschungen in Form von Lohnnachzahlungen zu vermeiden.

Fordert Arbeitgeber überzahlte Vergütung zurück, sollte er darauf achten, die abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung von dem eingeklagten Betrag abzuziehen. Insoweit muss der Antrag lauten, dass der Mitarbeiter seinen Erstattungsanspruch gegen den Sozialversicherungsträger an den Arbeitgeber abtritt.

RA Björn Vollmuth, Mayer Brown LLP, Frankfurt

Redaktion (allg.)

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