Tarifzuständigkeit der IG Metall für Betriebe der IBM

1. Eine Satzungsänderung, mit der eine Gewerkschaft ihre Tarifzuständigkeit erweitert, ist im Außenverhältnis wirksam, auch wenn die Satzungsänderung gegen Verpflichtungen verstößt, die in der eigenen Satzung der Gewerkschaft niedergelegt sind.

 

2. Die Erweiterung der Tarifzuständigkeit einer im DGB organisierten Gewerkschaft kann zu Tarifkonkurrenz und Tarifpluralität mit Tarifverträgen einer anderen DGB-Gewerkschaft führen. Das der DGB-Satzung zugrunde liegende Prinzip "ein Betrieb - eine Gewerkschaft" steht dem nicht entgegen.

(Leitsätze des Bearbeiters)

BAG, Beschluss vom 27. September 2005 - 1 ABR 41/04 §§ 2 TVG, 2 a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG

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Bild: Corgarashu / stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Arbeitgeber von Betrieben des IBM-Konzerns und die Industriegewerkschaft Metall streiten darum, ob die IG Metall befugt ist, für die Betriebe und Unternehmen der IBM Tarifverträge abzuschließen. Die IBM Deutschland war bis 1993 ein einheitliches Unternehmen mit dem Geschäftsschwerpunkt der Hardware-Produktion und Mitglied des Arbeitgeberverbandes Metall. 1993 nahm die IBM eine Neuausrichtung auf Informationsdienstleistungen vor. Das Unternehmen IBM-Deutschland spaltete sich in eine Vielzahl von Einzelunternehmen, die Arbeitgeber, auf. Diese gehören keinem Arbeitgeberverband an. Ab 1994 vereinbarten die Arbeitgeber Haustarifverträge mit der Deutschen Angestelltengewerkschaft, die im Juli 2001 mit verschiedenen DGB-Gewerkschaften zur Dienstleistungsgewerkschaft ver.di verschmolz. Ver.di ist Mitglied im DGB. Die IG Metall, ebenfalls Mitglied im DGB, änderte in den Jahren 1995 und 1997 ihre Satzung und erweiterte ihren Zuständigkeitsbereich auf "Betriebe anverwandter Dienstleistungszweige, insbesondere auch der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Datenverarbeitung". Sie wollte damit insbesondere die Tarifzuständigkeit für die IBM-Gruppe erwirken. Da ver.di diese Zuständigkeit für sich in Anspruch nahm und für die Gewerkschaften des DGB das Prinzip "ein Betrieb - eine Gewerkschaft" gilt, rief die IG Metall im September 2001 das DGB-Schiedsgericht an. Im Rahmen dieses Verfahrens schlossen die IG Metall und ver.di eine Grundsatzvereinbarung, nach der beide Gewerkschaften für alle Betriebe und Unternehmen der IBM eine Tarifgemeinschaft bilden. Diese Tarifgemeinschaft wurde zu keinem Zeitpunkt praktiziert. Vielmehr schloss ver.di mit den Arbeitgebern Haustarifverträge ab, ohne die IG Metall in die Vertragsverhandlungen einzubeziehen. Die Arbeitgeber beantragten die Feststellung, dass die IG Metall keine für die IBM in Deutschland zuständige Tarifvertragspartei sei.

 

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht gab im Wesentlichen der IG Metall Recht. Die IG Metall ist für die Tarife der IBM-Betriebe zuständig. Durch die 1995 und 1997 vorgenommenen Satzungsänderungen erweiterte sich ihre Tarifzuständigkeit auf Unternehmen der Informationstechnologiebranche, zu der die IBM-Betriebe gehören. Diese Satzungsänderung ist ohne Zustimmung des DGB-Bundesausschusses erfolgt. Mit der Satzungsänderung verstößt die IG Metall deshalb gegen Verpflichtungen aus der DGB-Satzung, die sie aufgrund ihrer eigenen Satzung einzuhalten verpflichtet ist. Dieser Verstoß führt aber nicht zu einer Unwirksamkeit der Satzungsänderung im Außenverhältnis. Das in der DGB-Satzung verankerte Prinzip "ein Betrieb - eine Gewerkschaft" bindet die DGB-Gewerkschaften nur im Verhältnis zueinander und zum DGB. Dieses Prinzip kann für die Auslegung einer Satzung herangezogen werden, wenn darin die festgelegten Organisationsbereiche nicht klar geregelt sind. Ist die Satzung der Gewerkschaft aber, wie im vorliegenden Fall, eindeutig formuliert, richtet sich die Tarifzuständigkeit allein nach dieser. Die Erweiterung der Zuständigkeit der IG Metall auf Betriebe der Informations- und Kommunikationstechnologie ist deshalb gegenüber den potentiellen Tarifpartnern der IG Metall wirksam. Die Vereinbarung zwischen der IG Metall und ver.di im Schlichtungsverfahren des DGB führt nicht zu einem Wegfall der Tarifzuständigkeit. Zwar vereinbarten IG Metall und ver.di die Bildung einer Tarifgemeinschaft. Da diese aber in der Praxis nicht umgesetzt wurde, ist von einer beiderseitigen Tarifzuständigkeit auszugehen. Die IG Metall und ver.di haben sich in der Vereinbarung wechselseitig als tarifzuständig anerkannt. Die Vereinbarung einer Tarifgemeinschaft beschränkt diese Zuständigkeit nicht.

 

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Konsequenzen

Die Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft, also die Fähigkeit, Tarifverträge mit einem bestimmten Geltungsbereich abzuschließen, richtet sich nach dem in der Satzung der Gewerkschaft festgelegten Organisationsbereich. Dies gilt auch für Gewerkschaften, die im deutschen Gewerkschaftsbund organisiert sind. Das für DGB-Gewerkschaften geltende Prinzip "ein Betrieb - eine Gewerkschaft" beschränkt die Kompetenz einer Einzelgewerkschaft, ihren Organisationsbereich zu ändern, nicht. Eine entsprechende Erweiterung einer DGB-Gewerkschaft ist gegenüber dem Tarifpartner auch dann wirksam, wenn in diesem Organisationsbereich eine andere DGB-Gewerkschaft tätig ist. Haben mehrere Gewerkschaften mit einem Tarifpartner Tarifverträge abgeschlossen, richtet sich die Anwendbarkeit des maßgeblichen Tarifrechts nach den Grundsätzen der Tarifpluralität und Tarifkonkurrenz. Tarifpluralität bedeutet, dass in einem Betrieb für verschiedene Arbeitsverhältnisse verschiedene Tarifverträge gelten. Bei Tarifkonkurrenz richtet sich ein Arbeitsverhältnis nach mehreren Tarifverträgen. Es gilt dann der Tarifvertrag, dem die meisten Arbeitnehmer unterfallen. Echte Tarifkonkurrenz kommt nur in Ausnahmefällen vor, weil hierfür ein Arbeitnehmer in beiden tarifschließenden Gewerkschaften Mitglied sein muss. Da die IBM-Betriebe in einer Pressemitteilung erklärt haben, trotz der BAG-Entscheidung auch in Zukunft nur mit ver.di Tarifverträge abzuschließen, wird möglicherweise nicht einmal eine Tarifpluralität eintreten. Wenn die IG Metall, wie angekündigt, die mit ver.die vereinbarte Tarifgemeinschaft durchsetzen kann, werden die IBM-Arbeitgeber am Ende doch mit zwei Tarifpartnern verhandeln müssen.

Praxistipp

Ein Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband (Tarifpartner), der mit einer Gewerkschaft einen Tarifvertrag abschließen will, muss nur prüfen, ob nach der Satzung der Gewerkschaft eine Tarifzuständigkeit zum Abschluss dieses Tarifvertrages besteht. Ob die Regelung zur Tarifzuständigkeit gegen Zustimmungserfordernisse verstößt, die nur aufgrund der Satzung einer Dachorganisation bestehen, in der die Gewerkschaft Mitglied ist, spielt für die Wirksamkeit der Zuständigkeitsregelung im Verhältnis zum Tarifpartner keine Rolle.

RA Dr. Reinhard Möller, Rechtsanwälte Bartsch und Partner, Karlsruhe

Redaktion (allg.)

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