Umfang der Unterrichtungspflicht über Bewerbungsgespräche

Beruht die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers für einen von mehreren Stellenbewerbern maßgeblich auf zuvor geführten Vorstellungsgesprächen, so gehört zur Auskunft über die Person der Beteiligten nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat über den für seine Entscheidung bedeutsamen Inhalt dieser Gespräche unterrichtet.

BAG, Beschluss vom 28. Juni 2005 - 1 ABR 26/04 § 99 BetrVG

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Die Parteien streiten über einen Antrag auf Zustimmungsersetzung. Der Arbeitgeber hat sich selbst - auch durch eine entsprechende Gesamtbetriebsvereinbarung - verpflichtet, bei Neueinstellungen den Anteil von Frauen bei gleicher Leistung, Eignung und Befähigung in denjenigen Bereichen zu erhöhen, in denen sie bislang unterrepräsentiert sind. Auf die im April 2002 ausgeschriebene Stelle eines Referatsleiters/in in der Generalverwaltung bewarben sich 32 Personen, darunter acht Frauen. Zur letzten Auswahlrunde wurden zwei Männer und eine Frau eingeladen. Das abschließende Gespräch wurde mit einem der männlichen Bewerber geführt. Die anschließend unterrichtete Gleichstellungsbeauftragte beanstandete die beabsichtigte Einstellung, da die Mitbewerberin mindestens genauso gut qualifiziert sei und Frauen in der vakanten Position deutlich unterrepräsentiert seien. Der Arbeitgeber beantragte dennoch beim zuständigen Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung des ausgewählten Kandidaten und begründete die Entscheidung wie folgt: "Ausschlaggebend für den Einstellungsvorschlag sind insbesondere die von Herrn P in den Vorstellungsgesprächen entwickelten Vorstellungen zum Aufgabenbereich des Referats, die bei ihm ein weit überdurchschnittliches Maß an Kreativität erkennen lassen, seine außerordentliche geistige Beweglichkeit, die klare Strukturierung seiner Gedankenführung, seine Fähigkeit, Argumente aufzugreifen und diese in ein Gesamtkonzept einzubeziehen, seine Gesprächsinitiative, die hohes Durchsetzungsvermögen bei gleichzeitiger Konsensfähigkeit erwarten lassen, insbesondere aber auch die in allen Gesprächen nachdrücklich vermittelte Bereitschaft und Fähigkeit, Arbeitsprozesse im Team kooperativ und erfolgsorientiert organisieren zu können. Herr P erwies sich bei Darlegung dieser Kriterien mit Abstand als bester Bewerber." Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung, da die Mitbewerberin nachweislich am besten qualifiziert sei. Im Beschlussverfahren hat der Arbeitgeber die Auffassung vertreten, dass kein Verstoß gegen den Frauenförder-Rahmenplan vorliege. Es seien strukturierte anforderungsbezogene Einstellungsinterviews geführt und die Antworten unter Berücksichtigung des Stellenprofils u.a. geschlechtsneutral bewertet worden. Der Betriebsrat hält die Begründung für unzureichend. Ihm sei auf Grund der Unterrichtung ein nachvollziehbarer Vergleich zwischen dem ausgewählten Bewerber und der abgelehnten Kandidatin nicht möglich gewesen.

 

Entscheidung

Das BAG hat den Zustimmungsersetzungsantrag als unbegründet abgewiesen. Nach Auffassung der höchsten deutschen Arbeitsrichter lag keine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats vor mit der Folge, dass die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG überhaupt nicht zu laufen begann. Die vom Arbeitgeber zwingend zu beachtende Frist wird erst in Gang gesetzt, wenn der Betriebsrat von den personellen Maßnahmen unterrichtet, ihm die Bewerbungsunterlagen vorgelegt und Auskunft sowohl über die Beteiligten als auch über die Auswirkung der geplanten Maßnahme erteilt wurde. Der Arbeitnehmervertretung sind neben den Bewerbungs- auch sämtliche Unterlagen vorzulegen, die das Unternehmen selbst anlässlich der Bewerbung erstellt hat. Dazu zählen nach ständiger Rechtsprechung des BAG (vgl. Beschl. v. 14.11.2004 - 1 ABR 55/03; AP Nr. 122 zu § 99 BetrVG 1972) u.a. Personalfragebögen und Testergebnisse von Auswahlverfahren. Der Betriebsrat muss aufgrund der mitgeteilten Tatsachen prüfen können, ob einer der Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegt. Darüber hinaus muss er auch die Möglichkeit haben, Anregungen zu geben und Gesichtspunkte vorzutragen, welche für einen anderen Kandidaten sprechen. Dies kann er sachangemessen nur tun, wenn er die vom Arbeitgeber für auswahlrelevant gehaltenen Daten und Unterlagen insbesondere hinsichtlich der Leistungen und Befähigungen kennt. Demnach wäre der Arbeitgeber vorliegend verpflichtet gewesen, dem Gremium schriftlich dokumentierte Protokolle sämtlicher Vorstellungsgespräche vorzulegen. Ebenfalls wurde dem Betriebsrat nicht hinreichend Auskunft über die Person der Beteiligten gegeben. „Beteiligte“ meint sämtliche inner- und außerbetrieblichen Bewerber. Die Auskünfte über deren Person beinhalten nicht nur Namen und Personalia im engeren Sinne, sondern auch die fachlichen und persönlichen Voraussetzungen für die vakante Stelle. Ergeben sich die für die Auswahl maßgeblichen Umstände auch aus den Bewerbungsgesprächen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betriebsrat über den ausschlaggebenden Inhalt zu unterrichten. Zwar hat er nicht das Gespräch im Einzelnen nachzuzeichnen, jedoch muss er nach Ansicht des Senats die Punkte nachvollziehbar darstellen, die ihn zur Wahl eines bestimmten Kandidaten veranlasst haben. Eine pauschale Gesamtbewertung genügt dabei nicht. Ggf. muss der Arbeitgeber auch vergleichend darstellen, warum er seinen Favoriten besser als die anderen einschätzt. Diese Grundsätze gelten nach Auffassung des BAG besonders dann, wenn das Unternehmen zur „Frauenförderung“ verpflichtet ist. Gleichfalls haben die Erfurter Richter das an den Betriebsrat gerichtete Schreiben bemängelt. Diesem lassen sich zwar mittelbar die für den Arbeitgeber maßgeblichen Auswahlkriterien entnehmen, jedoch erschließen sich daraus nicht die tatsächlichen für die Beurteilung ausschlaggebenden Umstände. Da die Interviews letztlich entscheidend waren, hätten deren Struktur mitgeteilt und dargelegt werden müssen, wie sich die Bewerber zu welchen Fragen zumindest im Kern inhaltlich geäußert haben. Dies wäre gerade wichtig gewesen, weil auch der Arbeitgeber beide Kandidaten als gleichermaßen qualifiziert angesehen hatte. Letztlich ist die Anhörungsfrist nicht etwa deshalb angelaufen, weil der Betriebsrat nicht rechtzeitig auf die Unvollständigkeit der Unterrichtung hingewiesen hat. Nur dann, wenn der Arbeitgeber selbst der Meinung ist, „vollständig“ unterrichtet zu haben, ist das Gremium gehalten, mitzuteilen, dass er weitere Informationen benötigt. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Unterrichtung des Betriebsrats wie hier offenkundig unvollständig ist. Ein unterlassener Hinweis darauf führt selbst dann nicht zum Ingangsetzen der Frist, wenn der Betriebsrat eine Stellungnahme abgibt und die Zustimmung begründet verweigert.

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Konsequenzen

Die in dieser Entscheidung vom BAG bestätigten bzw. neu entwickelten Grundsätze sind von jedem Personaler zwingend zu beachten - unabhängig von der Existenz etwaiger „Frauenförderpläne“ etc. In § 99 BetrVG hat der Gesetzgeber dem Betriebsrat bei sog. personellen Einzelmaßnahmen ein knallhartes Mitbestimmungsrecht eingeräumt. Demnach bedürfen Einstellungen, Versetzungen etc. zwingend der vorherigen Zustimmung des Betriebsrats. Verweigert er diese, so darf die Maßnahme nicht vor einer arbeitsgerichtlichen Klärung durchgeführt werden. Hier besteht für die Arbeitgeberseite lediglich die Möglichkeit einer vorläufigen Durchführung unter den Voraussetzungen des § 100 BetrVG. Die Zustimmung kann der Betriebsrat rechtswirksam nur bei Vorliegen der sich aus § 99 Abs. 2 BetrVG ergebenen Gründe verweigern, und zwar nur binnen einer Ausschlussfrist von einer Woche seit Zugang der Mitteilung der Arbeitgeberseite. Die Falle für Personalverantwortliche ist, dass die wichtige Wochenfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn der Betriebsrat ordnungsgemäß, d.h. vollständig und umfassend, informiert wurde. Bei unzureichender Information kann die beabsichtigte Maßnahme sich teilweise erheblich verzögern. Selbstverständlich können - gerade auf entsprechende Nachfrage des Betriebsrats - Unterlagen bzw. Informationen nachgereicht werden. Aber auch dann beginnt die Wochenfrist erst mit Zugang der vollständigen Information.

Praxistipp

Um der Informationspflicht nachkommen zu können, ist es wichtig, sämtliche Vorstellungsgespräche schriftlich zumindest in Stichworten zu dokumentieren - obwohl eine entsprechende Pflicht in der Privatwirtschaft nicht existiert. Gerade aber, wenn mehrere Bewerber aufgrund der Qualifikation als gleichwertig anzusehen sind, sollten dem Betriebsrat möglichst umfassend die ausschlaggebenden Kriterien mitgeteilt werden. Darüber hinaus sollte die Entscheidung nach Möglichkeit dem Betriebsrat bzw. zuständigen Ausschuss auch noch einmal persönlich erläutert werden. Zumindest in größeren Betrieben bietet es sich an, die Arbeitnehmervertretung bereits im Vorfeld einzubinden und ein Mitglied am Bewerbungsgespräch bzw. dem durchgeführten Auswahlverfahren teilnehmen zu lassen. Nicht vergessen: Zwar hat der Betriebsrat kein Teilnahmerecht an Vorstellungsgesprächen, aber gem. § 99 Abs. 2 Satz 3 SGB IX steht der Schwerbehindertenvertretung ein solches dann zu, wenn es sich bei dem geladenen Bewerber um einen schwerbehinderten Menschen handelt.

RA Wolf-Dieter Rudolph, Berlin

Redaktion (allg.)

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