Urlaubsgeld bei Arbeitsunfähigkeit

1. Ist ein tariflich vorgesehenes zusätzliches Urlaubsgeld akzessorisch zur Urlaubsvergütung und zum Urlaubsabgeltungsanspruch, wird der Anspruch auf Urlaubsgeld erst fällig, wenn der Arbeitgeber den Urlaub tatsächlich gewährt oder abgilt.

2. Ist der Arbeitnehmer über den Übertragungszeitraum hinaus arbeitsunfähig erkrankt, erlischt der Anspruch auf ein derart akzessorisches Urlaubsgeld ebenso wenig wie der Anspruch auf den Urlaub selbst.

(Leitsätze der Bearbeiterin)

BAG, Urteil vom 19. Mai 2009 – 9 AZR 477/07

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Bild: Kzenon/stock.adobe.com
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Problempunkt

Nr. 93 des Manteltarifvertrags für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie in Rheinland-Pfalz vom 17.3.1992 sieht ein zusätzliches tarifliches Urlaubsgeld i. H. v. 60 % des Urlaubsentgelts vor. Der Manteltarifvertrag regelt weiter, dass der Anspruch auf dieses zusätzliche Urlaubsgeld gleichzeitig mit dem Anspruch auf Urlaub entsteht und unter bestimmten Voraussetzungen, z. B. bei einer vom Arbeitnehmer verschuldeten fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses, verfällt.

Der Kläger, auf dessen Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag Anwendung findet, war seit Februar 2005 über den 31.3.2006 hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Er verlangte von der beklagten Arbeitgeberin die Zahlung des zusätzlichen tariflichen Urlaubsgelds für das Jahr 2005. Dieses sei seiner Meinung nach unabhängig von der Gewährung des Urlaubs zu leisten. Sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch dem Landesarbeitsgericht (LAG) hatte der Kläger keinen Erfolg.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) verfolgte diese Linie weiter und wies auch die Revision des Klägers zurück. Es entschied, dass der Anspruch auf Zahlung des zusätzlichen tariflichen Urlaubsgelds akzessorisch zu den Ansprüchen auf Urlaubsvergütung und Urlaubsabgeltung ist. Damit muss die Beklagte das zusätzliche tarifliche Urlaubsgeld erst zahlen, wenn auch diese Ansprüche fällig werden.

Diese Akzessorietät leitete das BAG sowohl aus dem Wortlaut als auch dem Regelungszusammenhang des Manteltarifvertrags her. So deutet schon die Bezeichnung als „zusätzliches Urlaubsgeld“ darauf hin, dass es von der Urlaubsvergütung abhängt. Zudem stellt der Manteltarifvertrag für seine Bemessung auf die Höhe des Urlaubsentgelts ab und nicht auf eine gesonderte Bezugsgröße, etwa das Tarifgrundgehalt. Nur bei einer Bezugnahme auf eine solche gesonderte Bezugsgröße ist aber nach Ansicht des Gerichts regelmäßig von einer eigenständigen Sonderzahlung auszugehen.

Schließlich sieht der Manteltarifvertrag keinen gesonderten Fälligkeitstermin für das zusätzliche Urlaubsgeld vor, sondern knüpft dessen Auszahlung an die Zahlung des Urlaubsgelds oder der Urlaubsabgeltung. Auch dies sah das BAG als Indiz für eine von den Tarifvertragsparteien gewollte Akzessorietät an. Dass nach dem Manteltarifvertrag unter bestimmten Voraussetzungen der Anspruch auf Urlaubsgeld unabhängig vom Urlaubsanspruch erlischt, hielt das Gericht für unschädlich. Hierbei handelt es sich um Sonderregelungen, die die Akzessorietät unberührt lässt.

Aus dieser Akzessorietät folgt, dass das zusätzliche tarifliche Urlaubsgeld erst zu zahlen ist, wenn auch der Anspruch auf Urlaubsvergütung oder auf Urlaubsabgeltung fällig ist. Urlaub hatte die Beklagte dem Kläger für das Jahr 2005 allerdings – aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit – nicht gewährt. Daher war auch die Urlaubsvergütung noch nicht fällig. Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung bestand ebenfalls nicht, da das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten noch nicht beendet war. Damit war im Ergebnis auch sein Anspruch auf Zahlung des zusätzlichen tariflichen Urlaubsgelds noch nicht fällig.

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Konsequenzen

Ein Anspruch auf die Zahlung eines zusätzlichen tariflichen Urlaubsgelds ist vor dem Hintergrund der neueren Rechtsprechung des neunten Senats des BAG zur gemeinschaftsrechtskonformen Fortbildung des § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 Bundesurlaubsgesetz zu sehen. Danach erlischt der Anspruch auf Urlaub nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig erkrankt ist. Ebenso wie ein Mitarbeiter künftig seine Ansprüche auf Urlaub und Urlaubsentgelt möglicherweise über mehrere Jahre hin ansammeln darf, kann sich also auch ein – hierzu akzessorischer – Anspruch auf ein zusätzliches tarifliches Urlaubsgeld über mehrere Jahre aufaddieren. Allerdings ließ der Senat im Rahmen der vorliegenden Entscheidung offen, ob bei andauernder Arbeitsunfähigkeit der gesamte noch offene Urlaub des Klägers auf die folgenden Urlaubsjahre zu übertragen ist oder ob dies nur für den gesetzlichen Mindesturlaub gilt. Das genaue Ausmaß der potenziellen finanziellen Mehrbelastung bleibt für den Arbeitgeber damit weiterhin unklar.

Praxistipp

Sieht ein Tarifvertrag ein zusätzliches Urlaubsgeld vor, sollten Unternehmen zunächst sorgfältig prüfen, ob dieses akzessorisch zur Urlaubsvergütung ist oder ob es eine davon unabhängige Sonderleistung darstellt:

> Handelt es sich um eine Sonderleistung, kann der Anspruch des Arbeitnehmers auf das Urlaubsgeld unabhängig davon verfallen, ob der Arbeitgeber tatsächlich Urlaub gewährt hat. Damit ergibt sich auch bei andauernder Arbeitsunfähigkeit keine zusätzliche finanzielle Belastung für das Unternehmen.

> Ist das Urlaubsgeld dagegen akzessorisch zur Urlaubsvergütung, muss der Arbeitgeber auch diesbezüglich damit rechnen, dass es sich über mehrere Jahre hinweg aufaddiert und der Mitarbeiter ihn selbst später noch finanziell in Anspruch nehmen kann. Diese zusätzliche Belastung rechtfertigt es aber u. U., dem Arbeitnehmer krankheitsbedingt aufgrund der lang anhaltenden Arbeitsunfähigkeit zu kündigen.

RAin Dr. Ann-Christine Hamisch, M.Jur. (Oxford), München

Redaktion (allg.)

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