Herausforderung Nachhaltigkeitsbericht
Mittelständische Unternehmen müssen in der derzeitigen Krise viele Herausforderungen bewältigen, die ihnen stark zu schaffen machen. Dabei besteht die Gefahr, dass diese das Thema Nachhaltigkeit von der Agenda verdrängen. An erster Stelle stehen die immens gestiegenen Energiekosten, gefolgt vom Fachkräftemangel und den hohen Rohstoffpreisen. Die Transformation zu einem nachhaltigen Unternehmen landet erst auf dem fünften Platz. Das ergab die aktuelle Studie „ESG-Strategie und -Berichterstattung: Chance und Herausforderung für den deutschen Mittelstand“, für die PwC gemeinsam mit dem Institut für Management und Innovation (IMI) der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen knapp 160 mittelständische Unternehmen überwiegend aus dem verarbeitenden Gewerbe befragt hat.
Von einer nachhaltigen Transformation seien viele mittelständische Unternehmen derzeit noch weit entfernt. Die Mehrheit hat sich zwar mit den regulatorischen Anforderungen im Zuge der in 2023 in Kraft getretenen Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) befasst, befindet sich dabei aber noch in einem frühen Stadium der Umsetzung: 63 % sagen, dass sie erste Analysen für ihr Unternehmen durchgeführt haben, stehen allerdings aktuell vor der Herausforderung, ihre ESG-Kennzahlen systematisch zu erfassen und die Erfolge ihrer Maßnahmen zu messen. Die Richtlinie CSRD (EU) 2022/2464 verpflichtet Unternehmen dazu, ihre ökologischen und sozialen Kennzahlen zu erheben und transparent zu kommunizieren. Das bedeutet, dass die Nachhaltigkeitserklärung sowohl Umwelt- als auch Arbeitnehmer- und Sozialbelange enthalten muss. Auch müssen nichtfinanzielle Informationen, z. B. zur Einhaltung der Menschenrechte, Bekämpfung von Korruption oder Diversitätskonzepte, offengelegt werden (vgl. hierzu ausführlich u. a. Brügger/Kock, AuA 9/23, S. 6ff.).
Die Erwartungen von Kunden und Geschäftspartnern, die heute deutlich mehr Wert auf nachhaltige Produkte legen und Transparenz einfordern, sowie die Attraktivität als Arbeitgeber – die Mitarbeiter und Bewerber hinterfragen kritisch, wie es um das nachhaltige Handeln ihres Arbeitgebers steht – sind u. a. wichtige Treiber im Veränderungsprozess. „Das Thema Nachhaltigkeit bietet eine große Chance für die langfristige Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Oliver Schmitz, Geschäftsführer der berufundfamilie Service GmbH, die Unternehmen im Rahmen eines Auditierungsprozesses dabei begleitet, individuelle Ziele und passgenaue Maßnahmen zur besseren Work-Life-Balance zu entwickeln. Eine familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik zu gestalten und vereinbarkeitsfördernde Arbeitsbedingungen zu schaffen, sei Teil gelebter Verantwortung und Ausdruck nachhaltigen Handelns. Das „audit berufundfamilie“ bietet als Managementinstrument einen geeigneten Rahmen und den Prozess, Themen der Nachhaltigkeitsstrategie zu konkretisieren und weiterzuentwickeln. Mit dem Zertifikat können Organisationen ihr Engagement für eine familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik und somit ihren Beitrag zur Umsetzung ausgewählter Nachhaltigkeitsfaktoren nachweisen und berichten.
Lebensphasenorientierte Personalpolitik im Fokus
Im Gegensatz zu vielen Mittelständlern befasst sich die Niedersachsen Ports GmbH (NPorts) seit vielen Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit; in 2019 hat die Gesellschaft für Hafeninfrastruktur und größter Betreiber öffentlicher Seehäfen in Deutschland ihren ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. Seit diesem Jahr ist Nachhaltigkeit ein Kernbestandteil der Unternehmensstrategie. Im Zuge der CSRD hat NPorts eine doppelte Wesentlichkeitsanalyse mit Fokusthemen in allen drei ESG-Bereichen (Environmental, Social and Governance) ganzheitlich durchgeführt. Die dialogorientierte Unternehmenskultur, transparente Arbeitsbedingungen und eine lebensphasenorientierte Personalpolitik stehen dabei im Fokus. „Für die Durchsetzungskraft der identifizierten Themen war es wichtig, dass die Geschäftsführung als strategische Leitstelle die personellen und wirtschaftlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt hat“, sagt Personalleiterin Sabine Nitschke. Wichtig war es, von Anfang an die Mitarbeiter mitzunehmen und offen zu sein für unterschiedliche Perspektiven. „Das Thema Nachhaltigkeit ist sehr vielschichtig. Daher haben wir bei unseren Mitarbeitenden verstärkt auf Kommunikation und Information gesetzt, Schulungen angeboten und sie aktiv an der Umsetzung beteiligt“, sagt Dr. Matthäus Wuczkowski, Abteilungsleiter Nachhaltigkeit und Innovation.
Mitarbeiterzufriedenheit ist wichtiger sozialer KPI
Eine familienbewusste Personalpolitik spielt für einen an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder gebundenen Arbeitgeber eine besonders große Rolle. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ist das für das Unternehmen eine Herausforderung. „Mit dem‚audit berufundfamilie‘ haben wir ein ernsthaftes Siegel. Die lebensphasenorientierten Angebote haben dazu geführt, dass die Mitarbeitendenzufriedenheit in den letzten Jahren trotz vieler Veränderungen leicht gestiegen ist. Das ist für uns ein wichtiger KPI“, sagt Sabine Nitschke. Seit 2017 trägt die Gesellschaft des Landes Niedersachsen das Zertifikat zum Audit und wurde in diesem Jahr zum dritten Mal ausgezeichnet. „Wir haben von Anfang an die Vereinbarkeit als wichtiges Thema der Nachhaltigkeit identifiziert und wollen uns langfristig weiterentwickeln. Daher haben wir uns für die Re-Auditierung neue Ziele gesetzt, die wir regelmäßig nachhalten.“
Die hohe Zufriedenheit der Beschäftigten – von den rund 700 Mitarbeitern sind rund 260 gewerblich Beschäftigte – führt die Personalleiterin u. a. auf die Weiterentwicklung der Arbeitsbedingungen zurück. 2021 wurden im Rahmen einer Betriebsvereinbarung neue Homeoffice-Regelungen vereinbart: Von den rund 300 Mitarbeitern mit geeigneten Arbeitsplätzen arbeiten aktuell 88 Beschäftigte mit fester Vereinbarung im Homeoffice; weitere Arbeitnehmer können situativ von zu Hause aus arbeiten. Für gewerbliche Mitarbeiter, z. B. Tiefbaufacharbeiter, Elektroniker, Industriemechanikeroder Hafenwärter, die vor Ort arbeiten müssen, wird bei Bedarf nach individuellen Lösungen gesucht. Nach Absprache mit dem jeweiligen Team, können Arbeitszeiten bspw. verschoben werden. Sichere Löhne, die Möglichkeit des Zukaufs von unbezahltem Urlaub oder Teilzeitangebote tragen zur Arbeitgeberattraktivität bei. Ende 2023 waren 12,8 % aller Beschäftigten (74 Mitarbeiter) in Teilzeit, davon fünf Führungskräfte. Personalentwicklung und die Förderung von Diversität sind wichtige soziale Nachhaltigkeitsthemen. Nitschke: „Unser großes Weiterbildungsbudget kommt allen Mitarbeitenden zugute. Darüber hinaus gibt es ein umfassendes Führungskräfteprogramm in vier Modulen.“
Im Rückblick bewertet NPorts den Prozess als positiv: „Auch wenn die Berichtserstellung anfangs zeitaufwendig war, hat der Prozess eine gute Wirkung erreicht: Unsere Personalpolitik hat dazu beigetragen, das Kompetenzniveau zu verbessern und wirksame Maßnahmen entwickelt, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken“, sagt Dr. Matthäus Wuczkowski. Indem z. B. frühzeitig potenzielle Azubis an Schulen und künftige Fachkräfte an Universitäten angesprochen werden, werde die Bekanntheit des Unternehmens gezielt gesteigert. Hilfreich für den Prozess war auch die Auseinandersetzung mit den sozialen Aspekten der Nachhaltigkeit, die im Audit thematisiert und mit entsprechenden Kennzahlen in die Berichterstattung geflossen sind: „Wir wissen heute noch besser, wie wir die Nachhaltigkeitsleistung unseres Unternehmens erfassen und bewerten können und haben damit eine gute Grundlage, um zukünftige Handlungsbedarfe aufzudecken. Wir können anhand von Kennzahlen belegen, dass wir als Arbeitgeber ökologische, ökonomische und soziale Verantwortung übernehmen.“
Interdisziplinäre Steuerungsgruppe
Für die Technische Werke Ludwigshafen am Rhein AG (TWL) ist das Engagement gegen den Klimawandel Teil der DNA. Denn der TWL-Konzern mit aktuell knapp 700 Mitarbeitern versorgt die Stadt Ludwigshafen mit Energie und Trinkwasser. Nachhaltigkeit ist seit Jahren fester Bestandteil der Unternehmensstrategie und in allen Bereichen verankert. Neben der Umwelt als wichtiges Handlungsfeld wird die Säule Soziales großgeschrieben: „Wir legen größten Wert darauf, unsere Mitarbeitenden für die Energiewende zu begeistern und fit zu machen“, sagt Christina Horn, Leiterin Konzernkommunikation. HR habe eine strategisch wichtige Rolle, was die Förderung einer familienbewussten Unternehmenskultur betrifft. „Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben als Teil der sozialen Nachhaltigkeit muss von allen mitgetragen werden.“
Bereits 2016 hat der TWL-Konzern den ersten Nachhaltigkeitsbericht erstellt und profitiert heute von der frühzeitigen Auseinandersetzung mit dem Thema: Der hohen Komplexität und Interdisziplinarität geschuldet, bereitet eine bereichsübergreifende Steuerungsgruppe die Zahlen und Inhalte für den jeweiligen Bericht auf. Die Mitarbeiter aus u. a. den Bereichen Finanzen & Controlling, Vertrieb, Erzeugung & Technik tragen ihre Werte in eine entsprechende Excel-Tabelle ein und stellen der Unternehmenskommunikation die jeweiligen Informationen, z. B. aktuelle Projekte im Bereich grüner Erzeugung, für die redaktionelle Arbeit zur Verfügung. Dadurch, dass der Prozess jedes Jahr frühzeitig eingeleitet wird, haben die Mitarbeiter genügend Vorlauf, um die Daten zu liefern. Christina Horn: „Vor allem die Kollegen und Kolleginnen aus dem Vertrieb und der Erzeugung sind sehr interessiert daran, über ihre Zukunftsprojekte, zum Beispiel große Wärmepumpen, zu berichten. Der Nachhaltigkeitsbericht ist ein gemeinsames Werk, auf das die Mitarbeitenden stolz sind. Es ist für sie eine Anerkennung ihrer Leistungen.“ Trotz des Mehraufwands zwingt die neue CSRD dazu, sich mit aktuellen Anforderungen auseinanderzusetzen: „Es hilft uns, an bestimmten Stellen zur Klimaneutralität zu reflektieren und unsere Strategie mit sechs Handlungsfeldern anzupassen.“
Azubis als Unternehmensbotschafter
Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben hat einen hohen Stellenwert in der Nachhaltigkeitserklärung; ein großer Teil widmet sich den Maßnahmen, die im Rahmen des Auditierungsprozesses umgesetzt wurden. Bereits zum vierten Mal wurde der TWL-Konzern zertifiziert. „Mit dem ‚audit berufundfamilie‘ können wir regelmäßig unsere Prozesse überprüfen und weiterentwickeln. Auch zahlt es auf die Mitarbeitendenzufriedenheit und die Loyalität ein“, sagt Olga Kerkmann, Referentin Strategisches Personalmanagement. Nicht nur die Beschäftigten blieben über viele Jahre dem Unternehmen treu; auch sind beim Konzern viele Mitarbeiterkinder tätig. Dass der familienfreundliche Arbeitgeber in der Region bekannt ist, führt Olga Kerkmann auch auf die gute Work-Life-Balance und flexible Arbeitsbedingungen zurück. Neben einer großzügigen Gleitzeit, individuellen Teilzeitlösungen sowie Homeoffice gibt es u. a. die Möglichkeit, kurzfristig mobil zu arbeiten und längere Auszeiten zu nehmen. Social Media sei ein wirksames Instrument, um die Angebote innerhalb und außerhalb des Unternehmens bekannt zu machen. Es wurde ein eigener Azubi-Instagram-Kanal aufgesetzt: Azubis geben einen authentischen Einblick in ihre Arbeitswelt und ihre Projekte, wodurch Nachwuchskräfte gewonnen werden sollen. „Wir gestalten die Zukunft, und Ihr könnt sie mitgestalten“, ist die Botschaft für den Nachwuchs. „Das kommt an, denn junge Menschen suchen verstärkt nach Arbeitgebern mit nachhaltiger Ausrichtung, mit dem sie sich identifizieren und auch selbst einen Beitrag leisten können. Mit Werten wie umweltbewusstes Handeln und soziale Gerechtigkeit können wir bei den Jüngeren punkten“, sagt Christina Horn.
Dass ein Großteil der derzeit rund 40 Azubis und dual Studierenden dem Unternehmen treu geblieben bzw. übernommen wurde, spricht für den Arbeitgeber. Erfolgreich sei auch der TWL-Finderlohn, ein Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Programm, das letztes Jahr eingeführt wurde. Darüber habe der Konzern mehrere neue Fachkräfte im technischen Bereich gewonnen. Wenn Mitarbeiter bleiben, die sich mit dem Arbeitgeber identifizieren oder eine gute Ausbildung erfahren haben, dann ist auch das nachhaltig und spart zudem Rekrutierungskosten – der TWL-Konzern ist zuversichtlich, auch weiterhin seine Stellen mit passenden Fachkräften besetzen zu können.
Leitfaden Nachhaltigkeit mit Vereinbarkeit
Mit dem Leitfaden Nachhaltigkeit erhalten insbesondere nach dem „audit berufundfamilie“ zertifizierte Unternehmen und Institutionen einen Wegweiser, der zeigt, wie das Managementinstrument zur Unterstützung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen und Nachhaltigkeitsberichterstattung genutzt werden kann. Die Inhalte der über 40-seitigen Publikation, die im Stil eines Chart-Booklets gehalten ist, bauen bereits auf den zukünftigen EU-Richtlinien und Standards zur Berichterstattung auf. Der Leitfaden beinhaltet u. a.:
- Überblick über die aktuellen Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit.
- Empfehlungen zum Aufbau eines Nachhaltigkeitsmanagements.
- Informationen zu Aspekten aus den Auditierungen, die auf die jeweiligen Nachhaltigkeitsfaktoren einzahlen, und zu deren Zuordnung in den diversen Berichtsstandards.
- Tipps zur Integration des Audits in das Reporting.
Der kostenfreie Leitfaden kann auf der folgenden Webseite angefordert werden:
