Am 12. und 13. März fand im Steigenberger Hotel am Kanzleramt in Berlin sowie virtuell der 19. Kongress Arbeitsrecht statt. Die Erwartungen wurden trotz der Arbeitskampfmaßnahmen bei der Deutschen Bahn übertroffen, was auch das Feedback der knapp 250 Teilnehmer bestätigt.
Nach der Eröffnung durch die Moderatoren Roland Wolf, Geschäftsführer und Abteilungsleiter Arbeitsrecht und Tarifpolitik, BDA, und Andreas Krabel, Chefredakteur Arbeit und Arbeitsrecht, sowie der Begrüßung durch den Arbeitgeberpräsidenten Dr. Rainer Dulger starteten die Vorträge mit dem Arbeitsprogramm des BMAS in 2024.
Jörn Böttcher, Leiter der Abteilung Arbeitsrecht und Arbeitsschutz, BMAS, Berlin, berichtete zu Vorhaben bezüglich des Urlaubsrechts, der Arbeitszeit, hier insbesondere der Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeiterfassung allgemein und dem Gesetzentwurf zur Arbeitszeiterfassung konkret. Er verwies auf mögliche Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung: „Kontrolle ist in diesem Bereich sowieso unterausgeprägt“, so Böttcher. Weiterhin kündigte er bevorstehende parlamentarische Verfahren u.a. zu einem Tariftreuepaket an sowie zur betrieblichen Mitbestimmung, mit welchem Onlinewahlmöglichkeiten eingeführt werden sollen, und verwies in diesem Zusammenhang auf ein entsprechendes Pilotprojekt zu den Betriebsratswahlen 2026.
Prof. Dr. Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn, ging unter dem Titel „Aktuelles aus dem Arbeitsrecht“ insbesondere auf die Entscheidungen des EuGH (v. 14.5.2019 – C-55/18) und des BAG (Beschl. v. 13.9.2022 – 1ABR22/21) zur Arbeitszeiterfassung und der Möglichkeit von Vertrauensarbeitszeit ein und unterzog diese einer kritischen Würdigung. Er widmete sich insbesondere der Frage, wann es sich um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne handelt.Im weiteren Verlauf besprach Thüsing zudem bspw. die Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung, insbesondere im Kontext agiler Arbeitsmethoden und von Projektarbeit und beim Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV, sowie Fragen des Beschäftigtendatenschutzes. Weiterhin kritisierte er das Urteil des EuGH vom 19.10.2023 (C-660/20) zur Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten.
„Neues durch die EU-Entgelttransparenzrichtlinie“, berichtete Dr. Wolfgang Lipinski, Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Seitz Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB, München, und stellte die Frage, ob sich damit „das Ende der frei verhandelten Gehälter“ abzeichne. Er zeichnete zunächst die aktuelle Rechtslage durch das Entgelttransparenzgesetz sowie den Stand hinsichtlich des Gender Pay Gaps nach. Sodann gab er einen Überblick über die Inhalte der EU-Entgelttransparenzrichtlinie und ging dabei insbesondere auf Informations-, Berichtspflichten, Auskunftsansprüche, die verpflichtende gemeinsame Entgeltbewertung mit Arbeitnehmervertretern sowie Rechtsfolgen, wie eine Beweislastumkehr und drohende Sanktionen, ein. Schließlich zeigte er Möglichkeiten der Ausgestaltung eines diskriminierungsfreien Entgeltsystems mit objektiven Kriterien auf. Dabei müssten laut Lipinski zunächst Ursachen für Diskriminierung in der Praxis identifiziert und Charakteristika eines diskriminierungsfreien Entgeltsystems herausgearbeitet werden. Darüber hinaus benannte er Handlungsbedarfe, Vorbereitungsmaßnahmen und Verfahrensalternativen und gab Handlungsempfehlungen für die Praxis.
Dr. Rudolf Bünte, Leiter Fachbereich Migration, Anerkennung, Arbeitsmarktzulassung, Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, referierte zum Zustimmungsverfahren der Bundesagentur für Arbeit als Dienstleistung in der Arbeitskräftezuwanderung. Nach Darstellung des Prozesses, der zu durchlaufen ist, widmete Bünte sich Zuständigkeitsfragen. Unterfüttert wurde das Ganze mit einigen statistischen Daten. Im Weiteren ging er vor allem auf die Neuregelung der Fachkräfteeinwanderung durch das Gesetz und die Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung sowie Grundsätze der Bundesagentur für Arbeit in deren Umsetzung ein. Er benannte die rechtlichen Voraussetzungen der kontingentierten Kurzzeitbeschäftigung und der Einwanderung auf Basis von Berufserfahrung und gab jeweils Hinweise zu deren Umsetzung sowie zu Verfahrensfragen.
Es folgteder Vortrag von Prof. Dr. Franz-Josef Rose, Leiter Recht, Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e.V., Frankfurt am Main, zum Beschäftigtendatenschutz und der Frage: Quo vadis? Er stellte den Datenschutz der Datensicherheit gegenüber und die europäischen den nationalen Datenschutzregelungen. Veranschaulicht wurde das Ganze durch die Vorstellung praxisrelevanter Rechtsprechung des BAG und EuGH, z. B. zur Verwertbarkeit von Videoaufnahmen in Kündigungsprozessen. Auch Fragen zu Schadensersatzansprüchen bei Verstößen gegen Datenschutzvorschriften und zur Mitbestimmung des Betriebsrats besprach Rose.
Der erste Kongresstag schloss mit dem Referat von Dr. Marc Spielberger, Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Altenburg Fachanwälte für Arbeitsrecht Partnerschaft von Rechtsanwälten mbH, München, der die Rolle von ESG im Arbeitsrecht beleuchtete. Er ging auf Rahmenbedingungen aus dem Bereich Environmental, Social and Governance ein, die sich aus Pflichten der Nachhaltigkeitsberichterstattung, der HR-Compliance in Verbindung mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und der betrieblichen Mitbestimmung ergeben.
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Zum Ausklang des ersten Veranstaltungstages diskutierten bei der Abendveranstaltung im RestaurantHabel am Reichstag die CDU-Abgeordnete und Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Gitta Connemann und Prof. Dr. Simone Kauffeld, Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie, TU Braunschweig, das Pro und Kontra einer Viertagewoche.
Den zweiten Kongresstag eröffnete der Vizepräsident des Bundesarbeitsgerichts Erfurt Dr. Rüdiger Linck mit aktuellen Entwicklungen im Vergütungsrecht in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Er besprach dabei den böswillig unterlassenen Verdienst im Zusammenhang des Annahmeverzugs und stellte die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze dar. Auf die Problematik einer ggf. nicht beabsichtigten betrieblichen Übung verwies er in Bezug auf Sonderzahlungen und hob Stolperfallen bei der Formulierung sowie im Rahmen der AGB-Kontrolle hervor. Darüber hinaus stellte Linck Entwicklungen im Bereich der Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit sowie hinsichtlich der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, des Dienstwagens als Sachbezug und beim Widerruf der Dienstwagennutzung dar.
Prof. Dr. Björn Gaul, Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, Köln, besetzte in diesem Jahr das Thema der KI im Arbeitsrecht. Er stellte zunächst Anwendungsbeispiele im Arbeitsverhältnis vor und ging im weiteren Verlauf auf Fragen des Datenschutzes, der Haftung, ethischer Grenzen, der betrieblichen Mitbestimmung und möglicher Diskriminierungen ein.
Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie den Erfolgsfaktoren für eine gute Unternehmenspraxis referierte Dr. Oliver Stettes, Leiter Themenscluster Arbeitswelt und Tarifpolitik, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. Neben dem aktuellen Stand sowie Hintergründen und der grundsätzlichen Bedeutung von Vereinbarkeitsfragen ging es in diesem Referat insbesondere um Fachkräftesicherung, Elternförderung und Arrangements zur Vereinbarkeitsförderung. Hierzu benannte Stettes als mögliche betriebliche Maßnahmen u.a. Arbeitszeitregelungen und -modelle, die den Flexibilisierungs- und Betreuungsbedürfnissen der Mitarbeiter Rechnung tragen. Als aktuell relevant identifizierte er zudem die Unternehmenskultur als Stellschraube, in diesem Kontext insbesondere zur Schaffung eines familienfreundlichen Arbeitsumfelds. Auch rief er die Unternehmen zur Selbstreflexion auf. Diese sei erforderlich, um bestehende Hindernisse zu überwinden. Zum Schluss verwies er insbesondere auf Zielkonflikte aufgrund der unterschiedlichen familien- und vereinbarkeitspolitischen, arbeitsmarktpolitischen und gleichstellungspolitischen Interessen.
Den Abschluss des zweiten Veranstaltungstages bildete der Vortrag von Dr. Nathalie Oberthür, Partnerin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, RPO Rechtsanwälte, Köln, mit dem Titel „Arbeitszeit und Arbeitsort – quo vadis, Direktionsrecht?“. Die Schwerpunkte dieses Referats lagen auf Fragestellungen bezüglich der Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsortes. Hinsichtlich der Arbeitszeit wurden die Möglichkeit der Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit sowie arbeitszeitrechtliche Grenzen der Flexibilisierung besprochen. In Bezug auf das vieldiskutierte Urteil des EuGH (v. 15.5.2019 – C-55/18, CCOO) zur Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung standen Fragen der praktischen Umsetzung im Vordergrund. Hinsichtlich der Flexibilisierung des Arbeitsortes diskutierte Oberthür rechtspolitische Überlegungen zur Regelung eines Anspruchs auf mobile Arbeit, allen voran den Referentenentwurf vom 14.1.2021 zu einem „Mobile Arbeit Gesetz“, sowie Fragen des Leistungsstörungsrechts.
Redaktion (allg.)
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