„Ablenkung kann störend, aber auch inspirierend sein“

Wortwechsel
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 Bild: Nuthawut/stock.adobe.com
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Der Ort, von dem aus Beschäftigte bestmöglich arbeiten, ist stark umstritten. Da stellt sich die ganz grundsätzliche Frage, wiedie Zukunft der Arbeitsplatzgestaltung aussieht.Sehen Sie Vorteile des Homeoffice gegenüber der Präsenzarbeit im Büro, insbesondere im Hinblick auf die Arbeitsplatzgestaltung und -produktivität?

Franzmann: Wenn ich den Begriff „Arbeitsplatzgestaltung“ weit fassen darf, dann beantworte ich diese Frage mit einem eindeutigen JA. Stichworte meines JA sind Einsparung zeitlicher Ressourcen, Umweltgesichtspunkte, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Aufwertung des ländlichen Raumes bei gleichzeitiger Entlastung städtischer Ballungszentren durch weniger Verkehr und Umwidmung von Büroflächen.

Unentschlossenen bin ich bei der Produktivität, hier gibt es ein entschiedenes SOWOHL ALS AUCH. Ist der Arbeitserfolg Ergebnis eines hochkonzentrierten singulären Prozesses, mag ein Arbeiten von zu Hause aus vorteilhaft sein. Wird der Erfolg vornehmlich durch Interaktion und Teamwork erzielt, wird der Büroarbeitsplatz gewinnen. Ablenkung kann störend, aber auch inspirierend sein; letztlich wird es auf den einzelnen Arbeitnehmer ankommen, zumal mir empirisch belastbare Daten nicht bekannt sind.

Lelley: Unternehmen können durch Homeofficemodelle die Flexibilität der Arbeitsplatzgestaltung erhöhen, was potenziell zu einer Steigerung der Produktivität führt. Was ich in der Beratungspraxis immer wieder sehe: Es gibt da sehr wenig Schwarz oder Weiß. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob Homeoffice das Maß aller Dinge werde. Das hat sich in der Praxis aus meiner Sicht nicht bewahrheitet. Ich sehe sogar eine Tendenz „zurück ins Büro“. Dazu gibt es auch immer mehr Rechtsprechung. Flexibilität, und da verrät man kein Geheimnis, dient in erster Linie den unternehmerischen Interessen. Denn sie ermöglicht, Kosten zu senken und Ressourcen effizienter zu nutzen. Dem entgegen, vielleicht besser gesagt auf der anderen Seite, stehen dann die Anforderungen des ArbZG und andere rechtliche Rahmenbedingungen. Die müssen eingehalten werden, während gleichzeitig die unternehmerische Freiheit gewahrt bleibt.

Wie können Unternehmen und Betriebsräte sicherstellen, dass Mitarbeiter im Homeoffice eine ausgewogene Work-Life-Balance und dabei ihre Leistungsfähigkeit erhalten?

Franzmann: Nachhaltig beantwortet dies die jeweiligeUnternehmenskultur, die Betriebsparteien können diese durch Regeln konfigurieren. Nach meiner Erfahrung ist folgende Frage zu beantworten: Ist es selbstverständlich, Anfragen, die nur mit überobligatorischem Arbeitseinsatz zu erfüllen sind, abzulehnen? Gibt es hierfür auf Arbeitgeberseite – gewachsen aus der Erkenntnis einer Disproportionalität von Arbeit und Anzahl der Arbeitnehmenden – eine hinreichende Sensibilität?

Wir kennen das Thema bereits aus der Vertrauensarbeitszeit. Hier wie dort würde ich nicht auf technische Lösungen verzichten wollen: Arbeitnehmer haben sich auch im Homeoffice an ihren zur Verfügung gestellten mobilen Endgeräten zur Arbeit an- und abzumelden – in Kürze wird es hierzu ohnehin gesetzliche Pflichten geben – und das mobile Endgerät schaltet sich arbeitstäglich nach zehn Stunden ab (§ 3 Satz 2 ArbZG) und erst nach elf Stunden (§ 5 Abs. 1 ArbZG) wieder ein.

Lelley: Das Stichwort Vertrauen in der Vertrauensarbeitszeit nehme ich gern auf: Das Ganze ist aus meiner Sicht ein Thema der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeberin und Betriebsrat. Unternehmen sollten in Zusammenarbeit mit Betriebsräten Richtlinien entwickeln, die sowohl den Bedürfnissen der Mitarbeiter als auch den unternehmerischen Anforderungen gerecht werden. Dabei sind Personalabteilungen aber erfahrungsgemäß immer wieder mit der Herausforderung eines ausbalancierten Zusammenspiels mit ihren Betriebsräten konfrontiert. Sie müssen nämlich darauf achten, dass die Mitbestimmung des Betriebsrats nicht zu übermäßiger Bürokratieführt, die die unternehmerische Flexibilität einschränken könnte. Eine ausgewogene Work-Life-Balance ist zwar wichtig, jedoch muss auch die unternehmerische Freiheit geschützt werden.

Welche betriebsverfassungsrechtlichen Aspekte müssen bei der Einführung von Homeofficeregelungen beachtet werden?

Franzmann: Von mir mitgestaltete Betriebsvereinbarungen auf Grundlage von § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG sowie § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zur mobilen Arbeit verhalten sich zum wöchentlichen oder monatlichen Umfang, den Arbeitsort jenseits einer Vertragslage selbst zu wählen. Sie werden konkretisiert durch ein Weisungsrecht des Arbeitgebers, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Ankündigungsfristen Arbeitnehmer das Büro oder den Kunden aufzusuchen haben. Geregelt wird in Betriebsvereinbarungen zur mobilen Arbeit das jeweilige Ausstattungsniveau und Kompensationen für den Unterhalt des Arbeitsplatzes in der Wohnung des Arbeitnehmers, konkrete Schritte zur Gefährdungsbeurteilung und letztlich Bedingungen zum Widerruf der Berechtigung zum selbstgewählten Arbeitsort.

Lelley: Bei der Einführung von Homeofficeregelungen müssen Unternehmen die betriebsverfassungsrechtlichen Aspekte sorgfältig berücksichtigen. Während die Mitbestimmung des Betriebsrats wichtig ist, um die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, darf sie nicht dazu führen, dass unternehmerische Entscheidungen blockiert oder verzögert werden. Das ist ein altes und bekanntes Thema, fast ein Evergreen des BetrVG. Eine ausgewogene Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Betriebsräten ist entscheidend, um diesen Interessengegensatz zu bewältigen.

Welche Technologien sind notwendig, um eine effektive Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Homeoffice und Büro zu gewährleisten und wie können diese in Einklang mit Betriebsverfassung und Datenschutzrecht gebracht werden?

#ArbeitsRechtKurios: Amüsante Fälle aus der Rechtsprechung deutscher Gerichte - in Zusammenarbeit mit dem renommierten Karikaturisten Thomas Plaßmann (Frankfurter Rundschau, NRZ, Berliner Zeitung, Spiegel Online, AuA).

Franzmann: Der Homeoffice-Arbeitsplatz ist wie ein Büroarbeitsplatz auszustatten und die Erreichbarkeit muss über stabile Netze gewährleistet sein. Die Einführung und Nutzung von Kommunikationstools unterliegen der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6. Betriebsräte haben gemeinsam mit dem betrieblichen Datenschutzbeauftragten Sorge zu tragen, dass der Grundsatz der Datensparsamkeit gewahrt bleibt und ein ausgewogenes Berechtigungskonzept vereinbart wird. Dass Videomeetings nicht aufgezeichnet werden, sollte selbstverständlich sein und immer wieder kontrolliert werden.

Lelley: Zur Gewährleistung einer effektiven Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Homeoffice und Büro sind verschiedene technologische Lösungen und Anwendungen erforderlich, wie z. B. Videokonferenzsysteme und Kollaborationsplattformen. Diese müssen im Einklang mit dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Datenschutzrecht eingesetzt werden, um die Privatsphäre der Mitarbeiter zu schützen und die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen.

Bedeutet das Homeoffice Chancen oder Gefahren für eine kollektive Interessenvertretung?

Franzmann: Die Neufassung in § 30 Abs. 2 und 3 BetrVG mit der Möglichkeit, neben Präsenzpflicht in Betriebsratssitzungen auch eine virtuelle Teilnahme und Beschlussfassung zu ermöglichen, ist ein Gewinn für die Betriebsratsarbeit, insbesondere für überörtliche Gremien. Ich plädiere auch für die Wiedereinführung virtueller Einigungsstellensitzungen. Ansonsten bin ich mehr als skeptisch: Ich befürchte, Homeoffice in Reinform führt zum Ende einer kollektiven Interessenvertretung. Betriebsratsarbeit fußt auf der Interaktion der Belegschaft. Wie sollen sich Interessen oder Bedürfnisse ausbilden, wenn man sich nicht trifft und im Austausch ist? Wie soll man sich kümmern, wenn man nichts über- und voneinander weiß und mitbekommt?

Partizipative und vorausschauende Betriebsratsarbeit lebt vom Miteinander und ohne ein solches wird der Betriebsrat nicht als Repräsentant der Arbeitnehmerschaft wahrgenommen. Bleiben werden reaktive Aufgabenstellungen, also die Bearbeitung von Sachverhalten, die der Arbeitgeber vorgibt. Und das ist für meinen Geschmack zu wenig.

Lelley: Das Homeoffice kann sowohl Chancen als auch Gefahren für die kollektive Interessenvertretung darstellen. Während es die Möglichkeit bietet, die Interessen der Arbeitnehmer effektiver zu vertreten, besteht auch die Gefahr, dass die räumliche Trennung die Betriebsgemeinschaft beeinträchtigt. Es ist daher wichtig, dass Unternehmen und Betriebsräte gemeinsam Lösungen entwickeln. Allerdings, wenn ich mir die aktuelle Diskussion so anschaue, scheint mir die Angst vor den Risiken eines „virtuellen Betriebs“ schon im Vordergrund zu stehen.

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· Artikel im Heft ·

„Ablenkung kann störend, aber auch inspirierend sein“
Seite 32 bis 33
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