Herr Fahrig, es ist viel davon die Rede, dass sich die Rolle von Personalern gerade grundlegend wandelt. Können Sie das bestätigen?
Ja, sowohl das Aufgabenspektrum ändert sich als auch die Werkzeuge, mit denen die Personalabteilungen arbeiten. Das lässt sich sehr gut im Recruiting nachvollziehen. Personaler müssen zunehmend als Vertriebler agieren und ihr Unternehmen als Arbeitgeber gut verkaufen. Das erfordert Networking-Kompetenzen,Überzeugungskraft und Verkaufstalent. Zudem kommen immer wieder neue Kanäle hinzu, die der Recruiter bedienen muss und an die die Personalmarketingstrategie flexibel anzupassen ist. Aber auch andere HR-Rollen, wie Businesspartner oder Personalentwickler, kommen nicht umhin, sich sehr viel stärker als bisher um eine gute Employee Experience zu bemühen. Doch während sich das Selbstbild von HR bereits weitestgehend gewandelt hat, sehen Mitarbeiter die Personaler nach wie vor eher als Buchhalter denn als strategische Partner. Das Bewusstsein dafür, dass HR mehr für die Belegschaft tun kann als nur Daten zu verwalten, gilt es erst zu schaffen.
Datenverwaltung ist also obsolet?
Die Verwaltung der Mitarbeiterdaten gehört nach wie vor zu den Kernaufgaben eines Personalmanagers. Nur darf der administrative Aufwand ihn eben nicht davon abhalten, seine Kompetenzen auf anderen Feldern auszubauen, z. B. Talentmanagement, Qualifizierung, Big Data und People Analytics. Genau darum sind Softwarelösungen, mit denen sich HR-Prozesse effizient steuern lassen, unverzichtbar geworden. Doch nicht alle Tools eignen sich für jedes Unternehmen. IT-Affinität und Digitalkompetenz gewinnen daher an Bedeutung: Personalmanager sind gefordert, in enger Zusammenarbeit mit der IT-Abteilung die Tools auszuwählen, die die eigenen Workflows bestmöglich abbilden können, und diese zielführend einzusetzen.
Sie sprechen von der Mehrzahl – die Tools. Heißt das, man hat mehrere HR-Applikationen parallel im Einsatz?
Unternehmen wollen die Anwendungen auswählen, die ihren Bedürfnissen am besten gerecht werden. Beide Ansätze lassen sich übrigens auch miteinander kombinieren. Genügt bspw. ein bestimmtes Modul der HCM-Suite nicht den Anforderungen, kann das Unternehmen ein entsprechendes Cloud-Tool in die Plattform integrieren. Auf diese Weise profitiert der HR-Bereich von einer einheitlichen Plattform und bildet gleichzeitig alle Prozesse optimal ab. Die Vielfalt an Möglichkeiten führt dazu, dass sich die IT-Landschaft im HR-Bereich ausdifferenziert: Jeder Arbeitgeber hat seinen individuellen Softwaremix und auch die Anzahl der eingesetzten Lösungen im einzelnen Unternehmen steigt. Dabei ist es zwingend erforderlich, die Prozesse über Systemgrenzen hinweg nahtlos abzubilden.
Ist jede Anwendung gleich gut geeignet oder gibt es bestimmte Anforderungen?
Man benötigt offene Systeme, die sich ohne größeren Aufwand integrieren lassen. Zudem bedarf es standardisierter Schnittstellen, um die Anwendungen unkompliziert miteinander zu verknüpfen. Es muss zudem möglich sein, eine On-Premises-Umgebung mit Cloudtools zu erweitern oder verschiedene Cloudlösungen miteinander zu kombinieren. Nicht zuletzt sollten Personalabteilungen nur mit Lösungen arbeiten, die der Start-up-Phase entwachsen sind und sich langfristig am Markt etablieren werden.
Zur digitalen Transformation gehört oft die Prozessautomation. Sollte man auch das Recruiting automatisieren?
Das lässt sich so nicht pauschal sagen. Auch hier gilt: Unternehmen sollten die spezifischen Herausforderungen ihres Geschäfts und Umfelds genau reflektieren. Nur so können sie bspw. entscheiden, ob eine Automatisierung mittels digitaler Lösung für sie sinnvoll ist. In einem Großunternehmen etwa, das permanent freie Stellen zu besetzen hat, kann es vorteilhaft sein, per Algorithmus eine Vorauswahl unter den Bewerbern zu treffen. Im mittelständischen Handwerksbetrieb hingegen wird es eher um die persönliche Einschätzung des HR-Managers gehen, der Bewerber anhand des Gesamtbilds auswählt und nicht wie die Software aufgrund starr definierter Merkmale. Prinzipiell würde ich die Erfahrung eines Recruiters und dessen Kreativität zum Querdenken einer KI-Lösung vorziehen.
Wie wirkt sich der Einsatz offener IT-Systeme auf die Arbeitsweise im Personalwesen aus?
Die Zusammenarbeit sowohl im Team als auch abteilungsübergreifend gestaltet sich zunehmend agil, flexibel und kollaborativ. Wenn z. B. HR-Mitarbeiter an verschiedenen Standorten gemeinsam auf eine digitale Personalakte zugreifen können und dort einheitliche Dokumente und Verträge erstellen oder wenn Freigabeprozesse für Verträge komplett digital laufen, dann wird das die gesamte Organisation schnell wertschätzen. Es gilt, Tools und Kanäle derart zu vernetzen, dass erstens Daten und Dokumente übergreifend verfügbar sind und sich zweitens neue Informationen schnell verarbeiten lassen. Ist dies erfüllt, verläuft die Ad-hoc-Kommunikation – sei es mit HR-Kollegen, Führungskräften oder Mitarbeitern – wesentlich einfacher und schneller. Nicht zu vergessen ist hier, dass das Etablieren solcher neuen, agilen Prozesse mehr erfordert als die passende IT-Grundlage. Kollaborative Zusammenarbeit kann nur gelingen, wenn die Mitarbeiter die Veränderungen aktiv mittragen. Somit ist es Aufgabe der HR-Leitung, ihr Team entsprechend zu sensibilisieren und bei dem notwendigen Change zu unterstützen.
Wo sehen Sie weitere grundlegende Änderungen?
Im Verhältnis IT und Fachabteilung. In Zukunft bestimmen nicht mehr wie bisher die IT-Systeme die Prozesse, sondern die Abläufe geben vor, wie die IT-Architektur aussehen muss. Das bedeutet, dass nicht mehr nur die IT-Abteilung die Systemlandschaft aufbaut, sondern auch diejenigen, die sie nutzen, in unserem Fall die Personaler. Sie avancieren so zu IT-Entscheidern. Der zunehmende Einsatz von Cloudlösungen unterstützt den Trend, von der IT-Abteilung unabhängiger zu werden. So lässt sich bspw. eine moderne digitale Personalakte, die über umfangreiche Personalmanagementmodule verfügt, komplett durch den HR-Anwender parametrisieren. Von den Berechtigungen, über Vorlagen für Verträge und Dokumente, bis zur Vertreterregelung.
HR leidet zumeist unter chronischem Zeitmangel. Und jetzt kommen noch die Transformation selbst und damit neue Aufgaben dazu. Wie soll das gelingen?
Die Personalabteilung muss weitgehend eigenverantwortlich dafür sorgen, sich effektiv zu organisieren. Das bedeutet nicht nur eine zusätzliche Herausforderung für die HR-Leitung, sondern umgekehrt steigen auch die Ansprüche an die Software. Je mehr Unternehmen in digitale Lösungen investieren, umso wichtiger wird das Thema Messbarkeit, denn: Organisationen sollten nur die Tools behalten, die einen belegbaren Mehrwert schaffen. Viele machen noch immer den Fehler, die Digitalisierung allein als Sache des IT-Bereichs zu betrachten. Doch die Zahl der HR-Manager, die sich ihrer Verantwortung ebenso wie der Dringlichkeit der Aufgabe bewusst sind, wächst kontinuierlich.
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Bietet die Corona-Pandemie der HR-Abteilung die Chance, ihre digitale Transformation voranzutreiben?
In dieser Ausnahmesituation ist HR dazu gezwungen, die oben erwähnten, vermeintlich neuen Aufgaben sofort zu lösen: Das heißt u. a., Führungskräfte zu beraten, agil mit sich ständig ändernden Umfeldbedingungen umzugehen und permanent mit den Mitarbeitern zu kommunizieren. Es wird akzeptiert, dass viele der Veränderungen in den HR-Arbeitsprozessen alternativlos sind und man auf moderne Tools und Technologie nicht verzichten kann, wenn die Arbeit weitergehen soll. Schwierige Zeiten schweißen oft zusammen. Der Zusammenhalt im Unternehmen kann daher größer, die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat einfacher werden, denn alle sitzen im selben Boot.
Warum gelingt es einem agilen Team besser und schneller, die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen?
Es findet ein fundamentaler struktureller Wandel statt. In der Automobilindustrie ließ sich gut beobachten, wie sich die Veränderungen sukzessive über zwei bis drei Jahre vollzogen. In der Corona-Krise findet sie nun teilweise ad-hoc innerhalb nur weniger Tage statt. Wer bestehen will, kann also gar nicht anders als agil zu sein und ein Ohr für die Sorgen und Nöte der Belegschaft zu haben. Doch was wir jetzt lernen, wird uns auch in der Zukunft helfen. Etwa Mitarbeiter über Nacht in die Kurzarbeit zu schicken und ihnen dabei dennoch die Zuversicht zu geben, dass es bald weitergeht. Emotionen lassen sich nur mit klaren, aktuellen und authentischen Informationen kanalisieren. Es kommt jetzt ganz besonders darauf an, authentisch zu bleiben und den Mut zu haben, um Entscheidungen zu treffen oder auch Fehlentscheidungen schnell zu korrigieren.
Wie schätzen Sie die momentane Situation des Personalwesens in deutschen Unternehmen ein?
Der HR-Bereich steht unter Zugzwang. In einer aktuellen Studie von PricewaterhouseCoopers, der Universität St. Gallen und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung gaben 37 % der HR-Führungskräfte an, dass ihr Bereich auf die Zukunft schlecht vorbereitet ist. Sich aus der Rolle des Verwalters zu befreien und zum visionären Enabler zu werden, gelingt allerdings auch nicht von heute auf morgen. Anstatt in Aktionismus zu verfallen, heißt es jetzt, planvoll und gleichzeitig agil vorzugehen. Wenn HR-Manager die Geschäftsführung, die IT-Abteilung sowie das eigene Team einbinden und eine gemeinsame Strategie verfolgen, sind sie auf dem besten Weg, die Transformation nicht nur zu bewältigen, sondern als Chance zu nutzen.
Herr Fahrig, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Andreas Krabel.
Thomas Fahrig
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