Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der aus einem SARS-CoV-2-Risikogebiet zurückkehrt, ein 14-tägiges Betretungsverbot für das Betriebsgelände, obwohl der Arbeitnehmer entsprechend den verordnungsrechtlichen Vorgaben bei der Einreise aufgrund der Vorlage eines aktuellen negativen PCR-Tests und eines ärztlichen Attests über Symptomfreiheit keiner Absonderungspflicht (Quarantäne) unterliegt, schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich Vergütung wegen Annahmeverzugs (BAG, Urt. v. 10.8.2022 – 5 AZR 154/22).
Annahmeverzug liegt vor, wenn der Gläubiger die ihm angebotene Leistung nicht annimmt (§ 293 BGB). Die Rechtsfolgen des Annahmeverzugs im Dienstverhältnis sind sodann in § 615 BGB geregelt: Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Der Annahmeverzug setzt also immer ein Schuldverhältnis voraus, das aus Gläubiger und Schuldner besteht. Im Arbeitsrecht ist dies das Arbeitsverhältnis, wobei bzgl. der zu leistenden Dienste der Arbeitnehmer Schuldner und der Arbeitgeber Gläubiger ist.
Der Sachverhalt
Das Land Berlin hatte eine SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung erlassen, die vorsah, dass nach Einreise aus einem Risikogebiet grundsätzlich eine Quarantänepflicht für einen Zeitraum von 14 Tagen besteht. Diese sollte jedoch nicht für Personen gelten, die über ein ärztliches Attest nebst aktuellem Laborbefund verfügen, der ein negatives Ergebnis eines PCR-Tests ausweist, der höchstens 48 Stunden vor der Einreise vorgenommen wurde, und die keine Symptome einer Covid-19-Erkrankung aufweisen.
Im Streitfall reiste der Arbeitnehmer während eines ihm erteilten Urlaubs vom 11. bis zum 14.8.2020 wegen des Todes seines Bruders in die Türkei, die zu dieser Zeit als Corona-Risikogebiet ausgewiesen war. Vor der Rückreise aus der Türkei unterzog sich der Mitarbeiter einem Corona-PCR-Test, der – ebenso wie der erneute Test nach Ankunft in Deutschland – negativ war. Der Arzt des Mitarbeiters attestierte ihm Symptomfreiheit. Der Arbeitgeber verweigerte dem Mitarbeiter demgegenüber für die Dauer von 14 Tagen den Zutritt zum Betrieb und zahlte keine Arbeitsvergütung. Die hiergegen gerichtete Klage des Mitarbeiters hatte Erfolg.
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Die Entscheidung
Das LAG Berlin-Brandenburg hatte der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision hatte vor dem 5. Senat des BAG keinen Erfolg.
Das BAG urteilte: Das Berufungsgericht habe richtig erkannt, dass sich der Arbeitgeber mit der Annahme der vom Kläger angebotenen Arbeitsleistung in Annahmeverzug befand. Das vom Arbeitgeber erteilte Betretungsverbot des Betriebs führte nicht zur Leistungsunfähigkeit des Mitarbeiters (§ 297 BGB), weil die Ursache der Nichterbringung der Arbeitsleistung vom Arbeitgeber selbst gesetzt wurde. Dass ihm die Annahme der Arbeitsleistung aufgrund der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar war, hat er nicht dargelegt.
Die Weisung des Arbeitgebers, dem Betrieb für die Dauer von 14 Tagen ohne Fortzahlung der Arbeitsvergütung fernzubleiben, war außerdem unbillig (§ 106 GewO) und daher unwirksam. Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit eröffnet, durch einen weiteren PCR-Test eine Infektion weitgehend auszuschließen. Hierdurch hätte er den nach § 618 Abs. 1 BGB erforderlichen und angemessenen Schutz der Gesundheit der übrigen Arbeitnehmer erreichen und einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen können.
Dr. jur. Günter Schmitt-Rolfes
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