Arbeitsschutz heute und in Zukunft

Wie das Coronavirus die Branche verändert
Die Corona-Pandemie hat sich auf den Arbeitsschutz gleich in doppelter Hinsicht ausgewirkt: Zum einen wurden neue Maßnahmen zum Gesundheitsschutz eingeführt und zum anderen erlebte die Arbeitsschutzbranche eine verstärkte Digitalisierung, denn klassische Vor-Ort-Termine zur Gefährdungsbeurteilung oder für Schulungen fanden oftmals nur noch digital statt. Doch wie werden sich diese Veränderungen langfristig auf die Zukunft der Arbeitsschutzbranche auswirken?
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 Bild: apinan/stock.adobe.com
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Gesundheitsschutz zu Pandemiezeiten

In Zeiten einer Pandemie haben Arbeits- und Gesundheitsschutz oberste Priorität und sollten keinesfalls vernachlässigt werden. Viele Unternehmen mussten mit Beginn der Pandemie ihren Arbeitsschutz umstellen, um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu gewährleisten. Wer seine Belegschaft nicht ins Homeoffice schicken konnte, musste organisatorische Maßnahmen ergreifen, um Schichtwechsel, Pausen und Anwesenheiten im Büro weitestgehend zu entzerren. Die Maßnahmen unterscheiden sich dabei von Bundesland zu Bundesland. Zu den bekanntesten gehört ein Mindestabstand von anderthalb Metern, der auch am Arbeitsplatz gilt. Lassen sich Abstände nicht einhalten, kommen alternative Vorgehensweisen zum Einsatz. Technische Lösungen wie transparente Abtrennungen sind personenbezogenen Schutzmaßnahmen wie einem Mund-Nasen-Schutz allerdings immer vorzuziehen.

Um gut auf das weitere Infektionsgeschehen vorbereitet zu sein, sollte jeder Betrieb außerdem einen Pandemie- und Hygieneplan entwickeln, der bspw. einen Reinigungs- und Desinfektionsplan enthält und darlegt, wie im Falle einer bestätigten Infektion in der Belegschaft alle Personen sicher ermittelt und informiert werden, die ebenfalls einem Infektionsrisiko ausgesetzt waren. Trotz der Lockerungen vieler Corona-Maßnahmen muss der Schutz der Mitarbeiter am Arbeitsplatz weiterhin an erster Stelle stehen. Ämter kontrollieren die Einhaltung der Regeln derzeit außerdem verstärkt und bei Nichteinhaltung drohen schnell Bußgelder i. H. v. 20.000 Euro oder mehr.

Herausforderung Homeoffice

Während der Hochphase der Pandemie haben viele Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt. Aufgrund positiver Erfahrungen überlegen nun einige, ob sie die Arbeit aus dem Homeoffice in Zukunft weiter ausbauen sollten. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Anzahl der von zu Hause arbeitenden Angestellten in den kommenden Jahren steigen wird.

Doch auch im Homeoffice gilt es, einige Arbeitsschutzaspekte zu beachten, denn jedes Unternehmen muss sicherstellen, dass seinen Mitarbeitern auch in den eigenen vier Wänden ein geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Das Mittel der Wahl stellt eine Gefährdungsbeurteilung dar, bei der sich der Arbeitsschutzbeauftragte den Heimarbeitsplatz des Mitarbeiters zeigen lässt und Verbesserungsmöglichkeiten ermittelt. Diese Beurteilung findet heutzutage dank Videotelefonie häufig vollkommen digital statt.

Das größte Problem des Homeoffice ist oftmals die Tatsache, dass vielen Arbeitnehmern zu Hause kein komplett eingerichtetes Büro zur Verfügung steht. Dies ist zwar nicht zwingend notwendig, wäre allerdings wünschenswert, damit Arbeit und Leben auch zu Hause voneinander getrennt werden. Statt eines Schreibtischs kann bspw. auch der Esszimmertisch durchaus als geeignet befunden werden, insofern er bestimmte vorgeschriebene Merkmale wie eine Mindesthöhe von 72 cm erfüllt. Laptops stellen zudem kein optimales Arbeitsgerät dar, da sie oft für eine ungesunde Körperhaltung sorgen. Wenn vorhanden, sollten Mitarbeiter deshalb eine separate Maus, Tastatur und einen Monitor bekommen. Lässt sich kein arbeitsschutzkonformer Platz einrichten, muss das Unternehmen seinem Mitarbeiter entweder die nötige Hardware oder einen geeigneten Platz in den Büroräumen zur Verfügung stellen.

Wer im Homeoffice arbeitet, steht zudem grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Bei Unfällen handelt es sich deshalb um berufsgenossenschaftlich versicherte Arbeitsunfälle. Ausschlaggebend ist dabei allerdings immer der Zusammenhang zwischen der beim Unfall ausgeführten Tätigkeit und den beruflichen Aufgaben. Wer etwa während der Arbeitszeit die Wäsche aufhängt und dabei stürzt, genießt keinen Versicherungsschutz. Wer auf dem Weg zum Router stürzt, weil die für die Arbeit notwendige Internetverbindung getrennt war, ist hingegen versichert. In manchen Fällen gestaltet sich diese Abgrenzung allerdings komplizierter. So gehört z. B. auch der Gang zur Toilette oder in die Küche während der Arbeitszeit im Homeoffice nicht zu den versicherten Tätigkeiten.

Im Digitalisierungsstress

Während die Digitalisierung vieler Arbeitsprozesse zwar grundsätzlich dafür sorgt, dass weniger körperlich anstrengende Arbeit verrichtet wird und damit auch weniger Unfälle einhergehen, verursacht sie deutlich mehr psychischen Stress. Diese Belastung sollte nicht unterschätzt werden, denn auch die mentale Gesundheit der Arbeitnehmer stellt einen wichtigen Aspekt des Arbeitsschutzes dar.

Bei der Arbeit aus dem Homeoffice kann es zu Problemen und Missverständnissen kommen, wenn soziale Bindungen aufgelöst werden und Menschen, die sich normalerweise jeden Tag im Büro sehen, nur noch per E-Mail oder Telefon kommunizieren. Zur Stärkung dieser Bindungen bieten sich bspw. Videokonferenzen an, bei denen sich alle Kollegen trotzdem noch regelmäßig sehen können. Auf diese Weise bleibt trotz der Distanz ein Zusammengehörigkeitsgefühl bestehen.

Insbesondere im Homeoffice erleben Mitarbeiter zudem oftmals eine hohe Belastung, weil sie fürchten, dass ihre Vorgesetzten ihnen vorwerfen, zu Hause weniger zu leisten. Deshalb arbeiten sie umso mehr und setzen sich selbst unter Druck. Um diesen Stress zu minimieren, sollte die Führungsebene Wert auf eine offene Kommunikation und klare Absprachen legen, damit jeder weiß, wer welche Aufgaben übernimmt. Zusätzlich sollte sie ihren Mitarbeitern vermitteln, dass sie ihnen vertraut. Ständige Erreichbarkeit, Zeitdruck, Multitasking und eine nie endende Informationsflut setzen viele Arbeitnehmer ebenfalls unter starken Druck. Kopfschmerzen und Schlafstörungen und damit auch mehr Krankheitstage stellen eine häufige Folge dar. Unternehmen sollten deshalb präventive Maßnahmen wie Schulungen zum Umgang mit digitalen Medien ergreifen oder dafür sorgen, dass abends und nachts keine E-Mails verschickt werden können, um Mitarbeiter vor sich selbst zu schützen. Dazu gehört auch, als Chef mit gutem Beispiel voranzugehen und keine ständige Erreichbarkeit zu erwarten oder nachts E-Mails an die Belegschaft zu verschicken.

Auch die Technik an sich sorgt oftmals für einen erhöhten Stresspegel. Zwar soll sie eigentlich entlasten, aber funktioniert sie nicht, versetzt dies Mitarbeiter häufig in Panik. Auch mangelndes Wissen im Umgang mit der neuen Technologie stellt eine häufige Ursache von Stress dar. Software sollte deshalb immer nutzerfreundlich gestaltet werden und bei der Einführung von neuen Programmen oder Techniken darf eine ausführliche Unterweisung nie fehlen.

Arbeitsschutz 4.0

Die Arbeitsschutzbranche war bisher sehr von Präsenzterminen im Unternehmen geprägt. Wer keinen eigenen Spezialisten angestellt hatte, verließ sich oftmals auf den Besuch von externen Fachleuten, die Schulungen zur Arbeitssicherheit gaben oder Gefährdungsbeurteilungen vornahmen. Nur vor Ort lassen sich mögliche Gefahrensituationen schnell erkennen – so die bisherige Denkweise.

Durch das Coronavirus waren viele Unternehmen allerdings zu einem Umdenken gezwungen, da sie den Kontakt nach außen so stark wie möglich minimieren wollten. Klassische Vor-Ort-Termine, bei denen mögliche Gefahrenquellen im Unternehmen ermittelt werden, waren in der Hochphase oftmals nicht möglich. Dennoch wollten viele Arbeitgeber insbesondere angesichts der neuen Gesundheitsschutzmaßnahmen natürlich nicht auf die Expertise eines externen Fachmanns verzichten. Um trotz fehlender Kundenbesuche handlungsfähig zu bleiben, mussten viele Arbeitsschutzfirmen deshalb ihren Blick für neue Potenziale schärfen und ihr Leistungsspektrum als digitale Onlineangebote anbieten. Dazu gehören z. B. Schulungen, aber unter bestimmten Voraussetzungen auch Begehungen. Um Gefährdungen rechtzeitig zu erkennen, gehören Letztere zu den regelmäßigen Maßnahmen eines Arbeitsschutzexperten. Dabei macht er sich i. d. R. direkt vor Ort ein Bild von den Arbeitsbedingungen. Allerdings sind diese Begehungen durchaus auch per Foto oder Video möglich. Am besten eignet sich ein Live-Videotelefonat, bei dem ein Mitarbeiter des Unternehmens durch die Räumlichkeiten geht und diese abfilmt. Auf diese Weise kann der Arbeitsschutzexperte den Mitarbeiter sozusagen fernsteuern und direkt an Orte lotsen, die er sich genauer anschauen möchte. Dies ermöglicht eine höhere Flexibilität als ein vorher aufgenommenes Video.

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Letztendlich macht die Digitalisierung vieler Prozesse den Arbeitsschutz für alle Parteien effektiver. Für den Arbeitsschutzexperten entfallen lange Anfahrten und eventuelle Hotelübernachtungen. Dadurch werden nicht nur Kosten gespart, sondern auch die Effizienz gesteigert, weil sich ohne Fahrtzeiten vom eigenen Büro aus mehr Kundentermine wahrnehmen lassen als gewohnt. Ohne Reisekosten wird der Service auch für die Kunden günstiger und sie sparen zusätzlich Zeit. Denn Small Talk nimmt erfahrungsgemäß mindestens 10 % eines Vor-Ort-Termins ein. Bei einem Videotelefonat geht es nach einer kurzen Begrüßung allerdings meistens ohne Umschweife los.

Zudem gestalteten sich Terminabsprachen in der Vergangenheit oftmals schwierig, da für einen Vor-Ort-Termin genügend Zeit vorhanden sein musste. Ein Videotelefonat dauert hingegen häufig nicht lange, lässt sich zwischendurch viel einfacher berücksichtigen und sorgt so für eine flexiblere Terminplanung bei allen Beteiligten.

Ausblick und Fazit

Aktuell steht der Arbeitsschutz noch am Beginn der Digitalisierung. Um sie stärker voranzubringen, muss die Branche weiterhin die Augen offen halten und überlegen, wo neue Potenziale liegen und welche Abläufe sich zusätzlich vereinfachen lassen. Insbesondere standardisierte Prozesse lassen sich dabei oftmals in eine digitale Form bringen. Bei neuen Ideen muss jedoch immer die Gesetzeslage beachtet werden, denn nur weil etwas technisch möglich wäre, bedeutet dies nicht, dass es rechtlich auch erlaubt ist.

Arbeitsschutzschulungen lassen sich bspw. technisch problemlos per Video übertragen, allerdings muss es sich dabei nach aktueller Rechtslage zwingend um ein Live-Seminar handeln. Nur so lässt sich sicherstellen, dass alle Teilnehmer die Inhalte auch verstanden haben und bei Unklarheiten Nachfragen stellen können. Diese Unterweisungen auf Video aufzunehmen und allen Teilnehmern zugänglich zu machen, klingt zwar nach Zeitersparnis, ist aber rechtlich nicht zulässig. Das sollten vor allem auch Arbeitgeber im Hinterkopf behalten. Begehungen per Video stattfinden zu lassen, ist allerdings legal.

Tatsächlich ergibt sich dabei noch ein weiterer Vorteil: Laut Gesetz müssen mögliche Gefahrenquellen am Arbeitsplatz dokumentiert werden. Dies geschieht i. d. R. schriftlich und verursacht somit zusätzlichen bürokratischen Aufwand. Wer eine Videobegehung macht, kann allerdings auch das entstandene Video zu Dokumentationszwecken abspeichern und damit viel Zeit sparen, denn in welcher Form dokumentiert wird, steht dem Unternehmen frei.

Letztendlich lassen sich sehr viele Bereiche der Arbeitsschutzberatung also auch digital umsetzen. In Zukunft könnten persönliche Treffen deshalb nur noch 10 bis 15 % des Alltags eines Arbeitsschützers ausmachen. Persönliche Begehungen werden allerdings nie ganz wegfallen. Für Betriebe, die Unternehmensgeheimnisse bewahren müssen, würde eine Videobegehung durch die kompletten Räumlichkeiten z. B. nie infrage kommen.

Vor der Corona-Pandemie standen viele Unternehmen digitalen Begehungen grundsätzlich eher skeptisch gegenüber. Ihnen war oftmals gar nicht bewusst, dass diese auch per Video oder Foto möglich sind. Die Corona-Pandemie hat zu einem Umdenken geführt. Da die meisten Unternehmen gewissermaßen gezwungen waren, sich auf einen digitalisierten Arbeitsschutz einzulassen, haben sie seine Vorteile erkannt und wollen nicht zu den alten Verhältnissen zurückkehren. Diese Tendenz wird sich auch in Zukunft durchsetzen, denn insbesondere Firmenchefs der jüngeren Generation stehen den neuen Methoden meist offener gegenüber und erwarten inzwischen für viele Problemstellungen auch (zu Recht) digitale Lösungen.

Mike Warmeling

Mike Warmeling
Speaker, Trainer, Gründer, Warmeling Consulting, Osnabrück

Maik Petrich

Maik Petrich
Gründer, Geschäftsführer, Arbeitsschutz Zentrum Petrich, Hamburg
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Arbeitsschutz heute und in Zukunft
Seite 594 bis 596
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