Arbeitsschutzorganisation: Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
Vor dem LAG Nürnberg (Beschl. v. 10.9.2021 – 4 TaBV 29/19) stritten Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat über die Frage, ob dieser ein Mitbestimmungsrecht bei der Schaffung einer Organisation zur Planung und Durchführung der erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes hat. Das Versicherungsunternehmen beschäftigt in seiner Zentrale ca. 5.000 Mitarbeiter, weitere rund 3.500 Beschäftigte sind in 38 Betrieben tätig, die in fünf regionale Direktionsbereiche aufgeteilt sind. Für diese Außenstellen sind fünf Direktionsbeauftragte verantwortlich. Daneben gibt es noch acht Kundenbetreuungsstandorte, für die jeweils ein Bereichsleiter verantwortlich ist. Die Geschäftsführung hatte die Aufgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes auf diese Führungskräfte delegiert (§ 13 Abs. 2 ArbSchG) und außerdem geregelt, dass Einzelaufgaben des Gesundheitsschutzes von diesen an weitere Führungskräfte delegiert werden können. Der Abteilung Betriebsorganisation wurde die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung, die Schulung der Unterweiser sowie die Koordination gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse zugewiesen, der Personalabteilung u. a. die Durchführung des betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements und des Gesundheitsmanagements. Der Gesamtbetriebsrat beantragte die Feststellung seines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i. V. m. § 3 Abs. 2 ArbSchG bei der Schaffung dieser Organisationsstruktur. Seine originäre Zuständigkeit ergebe sich daraus, dass die Aufgabenübertragungen sämtliche Betriebe des Unternehmens beträfen, sodass eine Regelung auf Betriebsebene ausscheide. Der Gesamtbetriebsrat unterlag sowohl in 1. als auch in 2. Instanz.
Unstreitig unterliegt der Aufbau einer Organisationsstruktur für die Sicherstellung des Arbeitsschutzes und der Gesundheit der Beschäftigten der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Sie erschöpft sich nicht nur in der Übertragung einzelner Aufgaben auf Dritte (Delegation nach § 13 Abs. 2 ArbSchG), bei der typischerweise eine Einzelmaßnahme vorliegt, die nicht mitbestimmungspflichtig ist. Vielmehr konkretisiert die Schaffung einer geeigneten Organisation die Rahmenvorschrift des § 3 Abs. 2 ArbSchG, der dem Arbeitgeber kein bestimmtes Organisationsmodell vorgibt, sondern einen von den Betriebsparteien auszufüllenden Regelungsspielraum. Allerdings ist für die Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts der örtliche Betriebsrat zuständig. Der Gesamtbetriebsrat ist originär nur für Angelegenheiten zuständig, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Es muss ein objektiv zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche Regelung bestehen. Dieses kann sich aus technischen oder rechtlichen Gründen ergeben. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung ist zwingend und unterliegt nicht der Disposition der Betriebsparteien (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Beschl. v. 18.7.2017 – 1 ABR 59/15). Die Zuständigkeit der örtlichen Betriebsräte ergibt sich aus der Systematik des ArbSchG, das immer die Feststellung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen konkreten Gefährdungen voraussetzt. Diese sind von der Betriebsgröße abhängig und von der Art der Tätigkeit. Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung obliegt zwingend dem Mitbestimmungsrecht des örtlichen Betriebsrats. Auch die Schaffung einer Aufbau- und Ablauforganisation hat einen konkreten örtlichen Bezug, da sie an die jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten und spezifischen Gefährdungen anknüpfen muss. Allein der Umstand, dass das Unternehmen zentrale Abteilungen und Arbeitnehmergruppen mit Arbeitsschutzmaßnahmen und deren Organisation beauftragt, begründet nicht die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats. Etwaige Zweckmäßigkeits-, Effizienz- oder Transparenzgesichtspunkte bzw. Synergieeffekte haben aufgrund der subsidiären Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats unberücksichtigt zu bleiben.
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Dr. Claudia Rid
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