Herr Rotzinger, warum haben Sie ausgerechnet am Höhepunkt der ersten Pandemiewelle im April eine Studie zu den Zukunftserwartungen in der Wirtschaft im DACH-Raum in Auftrag gegeben?
Uns hat natürlich brennend interessiert, wie die Befragten mit dieser ungeheuren Herausforderung umgehen. Dafür gibt es ja keine Blaupause. Und wer sagt, er habe im April gewusst, wohin uns das alles führt, den sollten wir nicht allzu ernst nehmen.
Dann durften Sie wohl wenig Handfestes von den Ergebnissen erwarten?
Im Gegenteil. Gerade in einer solchen Situation sind Stimmungen, Meinungen und Erwartungen von überragender Bedeutung. Denn Wirtschaft ist zu 50 % Psychologie, wie schon Ludwig Erhard wusste. Und was die anderen 50 % betrifft: Zukunft wird gemacht, da wird es dann sehr konkret.
Wenn das mit der Zukunft nur so einfach wäre. Corona hat vielen Unternehmen den Boden unter den Füßen weggezogen.
Das ist in der Tat so. Laut unserer Studie traf das im April in dieser Drastik aber nur auf 15 % der Befragten zu. Die anderen glaubten durchaus, dass es auf Sicht wieder aufwärts geht. Und wissen Sie, was das Spannendste ist?
Nein, sagen Sie es mir.
Es gibt eine Gruppe unter den Befragten, die macht immerhin 29 % der Stichprobe aus und wir nennen sie „die Hoffnungsvollen“. Diese Gruppe blickt auffallend optimistisch in die nahe Zukunft, obwohl sie auch in den kommenden Jahren keine wirkliche Umsatzbelebung erwartet.
Woran liegt das?
Sie vertrauen der eigenen Anpassungsfähigkeit sowie der Stärke der eigenen Organisation und des eigenen Personals. Auf externe Schocks muss man reagieren. Und es gibt Menschen und Organisationen, die genau das in ihrer DNA haben. Diese „Hoffnungsvollen“ unserer Befragung leben das eindrücklich vor und lassen sich ihre Zuversicht trotz Umsatzeinbußen nicht nehmen. Das ist übrigens eine typische Eigenschaft vieler mittelständischer Unternehmen, darunter vieler Hidden Champions.
Was zeichnet diese Unverwüstlichen aus?
Alle, die in unserer Befragung optimistisch in die Unternehmenszukunft blicken, arbeiten an ihrer Anpassungsfähigkeit, flexibilisieren ihre Organisation sowie ihre Arbeitswelt und sehen das enorme Digitalisierungspotenzial.
Was planen und tun sie konkret?
Sie wollen noch stärker Prozesse von Kommunikation über das Management diverser Abläufe im Unternehmen bis hin zur Weiterbildung und Entscheidungsfindung digitalisieren. Sie bauen Silos ab, geben ihren Mitarbeitern mehr Verantwortung und Gestaltungsfreiraum und sind sensibler für alles, was an Herausforderungen von außen auf sie einstürmt. Und alle drei Aspekte, Digitalisierung, Flexibilisierung und Anpassungsfähigkeit, spielen zusammen.
Machen wir es konkret: Beschreiben Sie uns einmal dieses Zusammenspiel.
Digitalisierung geht nicht ohne Flexibilisierung von Personal und Organisation. Flexibilisierung wiederum erhöht die Anpassungsfähigkeit und Reaktionsschnelligkeit von Menschen und Organisationen. Und digitale Tools und Prozesse zahlen genau darauf ein. Denken Sie an Hilfsmittel wie Kollaborationsplattformen und Videokonferenzsysteme, die sich in der Corona-Krise bewährt haben, Arbeit unter gänzlich neuen Bedingungen nahtlos aufrechtzuerhalten. Denken Sie an Weiterbildungslösungen, die Ihnen personalisiertes, zielgenaueres und selbstbestimmtes Lernen, oft auch am Arbeitsplatz, ermöglichen. Oder denken Sie an Lösungen, die helfen, schnell die richtigen Menschen auf den richtigen Job zu bringen oder für das eilig anberaumte Projekt zu scouten. All das macht Menschen und Organisationen beweglicher und reaktionsschneller.
Wenn die Flexibilität von Menschen und Organisationen in der Digitalisierung so eine große Bedeutung hat, dann müssten Personalfachleute eine entscheidende Rolle spielen.
So ist es. Personaler müssen und können diese Aspekte zusammenbringen. Wie unsere Erhebung zeigt, sind sie sich dieser Herausforderungen auch bewusst. Allerdings lassen unsere Daten vermuten, dass sie nicht in allen Punkten die Organisation hinter sich haben. Da müssen sie noch Überzeugungsarbeit leisten – und selbst als Digitalisierer und Modernisierer ihrer Prozesse und Praktiken ein leuchtendes Beispiel abgeben.
Herr Rotzinger, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Andreas Krabel.
Joachim Rotzinger

Andreas Krabel

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