Außerordentliche Kündigung wegen Medikamentenabhängigkeit
Eine bei einer Rundfunkanstalt beschäftigte Sekretärin war tariflich ordentlich unkündbar. 2002 wurde eine paranoid-halluzinatorische Schizophrenie festgestellt, weshalb ihr Benzodiazepin verordnet wurde. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt entwickelte die Sekretärin eine Benzodiazepin-Abhängigkeit, was dem Arbeitgeber nicht bekannt war. Der dauerhafte Konsum des Medikaments kann zu einer leichten Sedierung, kognitiven Störungen sowie Konzentrationsstörungen führen. Seit 2007 stellte das Unternehmen häufige Fehler, selbst bei einfachen Tätigkeiten, fest. Alle Arbeiten mussten kontrolliert werden, was die Zeitressourcen der Kollegen in Anspruch nahm. Einmal wurde die Sekretärin im Innenhof auf einer Bank schlafend vorgefunden.
Es fanden viele Gespräche mit der Vorgesetzten statt und diese mahnte die Mitarbeiterin wiederholt wegen fehlerhafter oder verspäteter Arbeiten ab. Als sie den Auftrag erhielt, in der Poststelle sechs frankierte Rückumschläge für einen 20-g-Brief abzuholen, schrieb sie per E-Mail, sie verstehe nicht, was sie bei der Poststelle machen solle. Ab Juni 2019 war die Mitarbeiterin arbeitsunfähig und sodann in stationärer Behandlung. Im Juli 2019 leitete die Rundfunkanstalt die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist bis zum 31.12.2020 in die Wege.
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Die dagegen erhobene Kündigungsschutzklage war in erster Instanz erfolgreich. Das LAG München (Urt. v. 14.10.2021 – 3 Sa 83/21) hob diese Entscheidung auf und wies die Klage ab. Im Rechtsstreit behauptete die Klägerin, sie sei arbeitsfähig. Ihre Leistungsmängel hätten auf einer Medikamentenabhängigkeit beruht, die erst nach Ausspruch der Kündigung festgestellt worden sei. Sie werde nun eine Entziehungskur ab dem 5.10.2020 beginnen. Das Gericht sah einen außerordentlichen Kündigungsgrund im Medikamentenmissbrauch als gegeben an. Es vergleicht den Sachverhalt mit einer krankheitsbedingten Beeinträchtigung infolge Alkoholismus, der auch in Fällen sog. Unkündbarkeit als wichtiger Grund in Betracht kommt, wenn eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist eingehalten wird. Abzustellen ist dabei auf die Beurteilung im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung im Juli 2019. Seinerzeit lag unstreitig eine Benzodiazepin-Abhängigkeit vor. Infolge dieser Abhängigkeit war im Zeitpunkt der Kündigung die Prognose gerechtfertigt, die Klägerin werde auch dauerhaft nicht in der Lage sein, die vertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu erbringen. Wer noch nicht einmal in der Lage ist, frankierte Briefkuverts bei der Poststelle abzuholen, kann die Aufgaben einer Sekretärin nicht mehr erfüllen. Unbeachtlich war, dass der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt die Medikamentenabhängigkeit gar nicht kannte. Die Klägerin konnte auch nicht von ihrem Arbeitgeber verlangen, ihr vorab einen Entzug von der Abhängigkeit zu ermöglichen. Denn die Abhängigkeit infolge der missbräuchlichen Verwendung des Medikaments war vor Ausspruch der Kündigung nicht bekannt.
Das Gericht sah auch eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen als gegeben an. Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Renteneintritt wäre mit einer Kostenbelastung von ca. 1,7 Mio. Euro verbunden, dies bei einem sinnentleerten Arbeitsverhältnis. Da es sich bei der dauernden Unfähigkeit, die vertraglichen Dienste zu erbringen, um einen Dauertatbestand handelt, war auch die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
Dr. Claudia Rid

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