Außerordentliche Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit

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 Bild: B Studio/stock.adobe.com
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Eine Sekretärin war seit 2007 in Teilzeit an einer Grundschule beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der TVöD Anwendung, sodass die Mitarbeiterin ordentlich unkündbar war. In einem Personalgespräch am 7.9.2022 teilte die Schulleiterin ihr mit, dass zu Beginn der niedersächsischen Sommerferien am 6.7.2023 und an den folgenden Tagen kein Urlaub gewährt werden könne. Dennoch bestand die Klägerin darauf, am 6.7.2023 Urlaub zu bekommen, was die Grundschule ablehnte. Am 5.7.2023 teilte die Sekretärin der Schulleiterin telefonisch mit, es gehe ihr nicht gut und sie weise Symptome einer Magen-Darm-Grippe auf. Für die Zeit vom 5.7.2023 bis zum 7.7.2023 legte sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, nachdem die Arbeitsunfähigkeit am 5.7.2023 festgestellt wurde. Am 6.7.2023 nahm die Klägerin an einem Trainerlizenzlehrgang bei der Landesturnschule teil. Mit Schreiben vom 7.7.2023 hörte die Schule die Klägerin wegen des Verdachts der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit an. Diese teilte mit, sie habe von Dienstag auf Mittwoch, den 5.7.2023 starke Bauchschmerzen und Übelkeit gehabt, das Schlucken habe wehgetan und sie habe Kopfschmerzen gehabt. Am Mittwoch habe sie ihren Arzt aufgesucht, der sie für drei Tage krankgeschrieben habe. Nach Einnahme der verschriebenen Medikamente sei umgehend Besserung eingetreten. Sie gehe davon aus, dass die Symptome teilweise psychosomatisch waren. Am 6.7.2023 habe sie sich ok gefühlt und beschlossen, an dem Trainerlizenzlehrgang teilzunehmen. Nach Anhörung des Personalrats sprach die Schule am 18.7.2023 die außerordentliche Tat- sowie vorsorglich Verdachtskündigung aus. Die Klägerin hielt diese für unwirksam und brachte vor, sie befinde sich in der Psychotherapie. Insbesondere bei einer solchen Erkrankung sei es nicht gut, wenn man sich zuhause vergrabe.

Die Klage hatte weder in der ersten noch in der zweiten Instanz Erfolg (LAG Niedersachsen, Urt. v. 8.7.2024 – 15 SLa 127/24, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Az. 3 AZN611/24). Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Klägerin ihre Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hatte. Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast ist zwar von dem Grundsatz auszugehen, dass der Arbeitgeber den Vollbeweis für das Vorliegen eines die Kündigung rechtfertigenden Grundes erbringen muss. Es könne aber nicht verlangt werden, nachzuweisen, dass eine Erkrankung überhaupt nicht vorgelegen habe. Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, ist es Sache des Arbeitnehmers, im Einzelnen vorzutragen, welche Art von Erkrankung er hatte, welche Medikamente dagegen verordnet wurden und weshalb er seine Arbeit nicht ausführen konnte. Hier war der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Sie war exakt für den Zeitraum ausgestellt worden, für den die Klägerin zuvor Urlaub begehrt hatte. Unstreitig hatte man ihr zu Beginn des Schuljahres gesagt, dass sie in diesem Zeitraum keinen Urlaub bekommen könne. Nichtsdestotrotz hatte sich die Klägerin offensichtlich zu dem Lehrgang bei der Landesturnschule am 6.7.2023 angemeldet. Zur genauen Ursache ihrer Arbeitsunfähigkeit hat sie keine Angaben gemacht. Sie hat zunächst auf eine Magen-Darm-Grippe verwiesen, im Weiteren jedoch vorgetragen, es habe sich um eine psychosomatische Erkrankung gehandelt. Sie hat nicht im Einzelnen vorgetragen, welche Medikamente sie eingenommen haben will, die eine so schnelle Besserung der Symptome bewirkt haben sollen, dass sie doch an dem Lehrgang teilnehmen konnte. Zu der Frage des Gerichts, wann sie sich zum Lehrgang angemeldet hatte und weshalb sie sich nicht abgemeldet hat, als klar war, dass sie keinen Urlaub bekommen würde, hat sie keine Erklärung abgegeben.

Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. In dem Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit ist eine schwerwiegende Pflichtverletzung zu sehen. Lässt sich der Arbeitnehmer für die Zeit einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung gewähren, begeht er damit regelmäßig einen Betrug zu Lasten des Arbeitgebers. Es handelte sich um einen erheblichen Vertrauensverstoß.

Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München
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Außerordentliche Kündigung wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit
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