Auswertung einer Videoüberwachung und anschließende Kündigung

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 Bild: rangizzz/stock.adobe.com
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Einem Mitarbeiter in einer Gießerei wurde der Vorwurf gemacht, er habe an drei konkreten Tagen einen Arbeitszeitbetrug begangen. Er habe seinem Kollegen den Mitarbeiterausweis übergeben, der diesen vor das Lesegerät am Werkstor gehalten habe. Aufgrund dessen sei er während der gesamten Schicht als anwesend geführt worden, mit der Folge, dass ihm der Tag von der Beklagten voll vergütet worden sei. Der Kläger bestritt, in den konkreten Schichten nicht gearbeitet zu haben. Vielmehr sei er vor Ort anwesend gewesen und habe seine Arbeitsleistung vollständig erbracht. Das Unternehmen wollte die behauptete Pflichtverletzung mittels der Daten, die es mithilfe der elektronischen Anwesenheitserfassung durch Betrieb des Kartenlesegeräts gewonnen hatte, sowie mittels einer Videoaufzeichnung am Werkstor in den Rechtsstreit einführen. Hinsichtlich des Betriebs des Kartenlesegeräts gab es eine Betriebsvereinbarung, die die ausdrückliche und klare Regelung enthielt, dass keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolgt. Bezüglich der Videoüberwachung wies der Arbeitgeber die Beschäftigten darauf hin, dass die Daten 96 Stunden vorgehalten werden. Die vom Unternehmen für den Nachweis des Arbeitszeitbetrugs ausgewerteten Daten lagen dagegen über ein Jahr zurück.

Die gegen die fristlose hilfsweise ordentliche Kündigung erhobene Klage war in beiden Instanzen erfolgreich (LAG Niedersachsen, Urt. v. 6.7.2022 – 8 Sa 1150/20). Zwar ist das Vorspiegeln, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war, grundsätzlich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet, allerdings konnte der Arbeitgeber die behaupteten Pflichtwidrigkeiten nicht nachweisen. Das Gericht ließ die Einführung der Daten aus der elektronischen Anwesenheitserfassung am Werkstor nicht zu. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass diese Daten nicht personenbezogen ausgewertet werden. Durch den Abschluss der Betriebsvereinbarung über die Anwesenheitserfassung durch Kartenleser habe die Beklagte den Kläger in Sicherheit gewogen, sodass eine „berechtigte Privatheitserwartung“ bestand und daher ein Verbot der Verwertung der durch die Kartenlesegeräte gewonnenen Daten besteht. Aber auch für die Daten aus der Videoüberwachungsanlage greift ein Beweisverwertungsverbot. Seit Geltung der DSGVO und Neuregelung des BDSG kommt es darauf an, ob die Bestimmungen des BDSG die Verwertung zulassen. Ist dies nicht der Fall, muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Verwertung durch das Gericht einen Grundrechtsverstoß darstellt. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist.

Die Erforderlichkeit setzt voraus, dass die Verarbeitung der Daten

  • geeignet,
  • erforderlich und
  • angemessen

ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Im konkreten Fall fehlte es bereits an der Geeignetheit des eingesetzten Mittels der Videoüberwachung, da die Aufzeichnungen lediglich den Zutritt der Arbeitnehmer auf das Werksgelände sowie das Verlassen desselben dokumentieren. Die Arbeitszeit beginnt und endet nach der im Unternehmen geltenden Arbeitsordnung jedoch erst mit Erreichen bzw. Verlassen des auf dem weitläufigen Betriebsgelände befindlichen Arbeitsplatzes. Aus der Videoaufzeichnung kann man somit nur auf die Anwesenheit auf dem Betriebsgelände schließen, nicht aber auf die Erbringung von Arbeitsleistung. Schließlich ist die Videoüberwachung auch nicht erforderlich, um die Arbeitszeiten verlässlich zu dokumentieren. Dazu könne auch eine technische Einrichtung wie eine Stempelkarte benutzt werden oder eine Anwesenheitserfassung durch Vorgesetzte. Schließlich ist das Mittel der Videoüberwachung auch nicht angemessen, weil auf Daten zurückgegriffen werden soll, die sehr lange zurückliegen. Dies widerspricht den Grundsätzen der Datenminimierung und Speicherbegrenzung. Es würde in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht des Klägers eingreifen, die Daten zu verwerten und als Beweismittel zuzulassen. Dadurch würde die Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch die prozessuale Verwendung der Daten in erheblichem Maße perpetuiert und vertieft.

Das Gericht ließ die Revision zu, da die Frage, ob die durchgeführte Videoüberwachung und nachfolgende Datenspeicherung über mehr als ein Jahr zum Zwecke des Nachweises eines Arbeitszeitbetrugs als gerechtfertigt angesehen werden kann, unter Geltung der DSGVO und der Neufassung des BDSG noch nicht höchst richterlich entschieden ist. Die Revision ist unter dem Az. 2 AZR 299/22 beim BAG anhängig.

Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München

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Seite 54
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