„Der strenge Kündigungsschutz erschwert es, sich flexibel an neue Bedingungen anzupassen“
Die Diskussion ist nicht neu: Arbeitnehmerinteressen zielen vor allem auf Sicherheit, Unternehmen bedürfen hingegen Anpassungsfähigkeit. In die Balance zwischen Kündigungsschutz und Flexibilität fließen zahlreiche Aspekte ein. Wie beurteilen Sie die aktuelle Gesetzgebung zum Kündigungsschutz in Deutschland? Sehen Sie darin eine ausreichende Balance zwischen Arbeitnehmerrechten und den Bedürfnissen der Arbeitgeber?
Lelley: Die aktuelle Gesetzgebung zum Kündigungsschutz in Deutschland bietet einen – sehr – robusten Schutz für Arbeitnehmer, was grundsätzlich positiv ist. Allerdings führt dies oft zu erheblichen Einschränkungen für Arbeitgeber. Die Balance ist aus meiner Sicht derzeit zugunsten der Arbeitnehmer verschoben. Für Unternehmen kann dies insbesondere in wirtschaftlich schwierigen Zeiten problematisch sein, da flexible Anpassungen der Belegschaft erschwert werden.
Franzmann: Widerspruch! Die letzte Reform des Kündigungsschutzes als Teil der Agenda 2010 ist mittlerweile 20 Jahre her und nahm durch Heraufsetzung der Arbeitnehmerzahl von 5 auf 10 nahezu 10 Mio. Arbeitsverhältnisse aus dem Kündigungsschutz. Gerade in kleinen Betrieben ohne kollektive Interessenvertretung wäre der Schutz vor ungerechtfertigten Beendigungen vonnöten. Ansonsten bietet sich mir ein differenziertes Bild, bisweilen ist der „gefühlte Schutz“ stärker als der vor Gericht erstreitbare.
Welche typischen Herausforderungen erleben Arbeitnehmer auf der einen und Unternehmen auf der anderen Seite in Bezug auf den Kündigungsschutz, insbesondere in dynamischen Branchen, die schnelle Anpassungen erfordern?
Lelley: In dynamischen Branchen, die ständige Anpassungen erfordern, stehen Unternehmen vor der Herausforderung, schnell auf Marktveränderungen reagieren zu müssen. Der strenge Kündigungsschutz erschwert es, sich flexibel an neue Bedingungen anzupassen. Dann kommt noch – und das ist aus meiner Sicht sehr wichtig – der Bestandsschutz hinzu, von dem im Kündigungsrecht so viel und gern die Rede ist. Der Bestandsschutz ist die Lebenslüge des deutschen Kündigungsschutzgesetzes. Die meisten Kündigungsschutzverfahren enden bekanntlich mit Abfindungsvergleichen.
Franzmann: Ja, da spricht der Experte. In meinen über 30 Berufsjahren sind die Kündigungsschutzverfahren lediglich in Ausnahmefällen mit einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beendet worden. Schnelle Anpassungen an Markterfordernisse sind indes möglich und werden durchaus praktiziert. Im internationalen Umfeld wird mit Einführung von Matrixstrukturen sowie virtueller Arbeitsplätze der für das Kündigungsrecht zentrale Betriebsbegriff nach dem Gusto des Arbeitgebers gestaltet. Und in dynamischen Branchen fehlt nicht selten den Arbeitnehmern die zeitliche Ressource, einen Kündigungsrechtsstreit zu führen.
Beeinträchtigt der Kündigungsschutz die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern? Oder gibt es gar keine so großen Unterschiede?
Lelley: Der strenge Kündigungsschutz in Deutschland kann die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen beeinträchtigen, insbesondere im internationalen Vergleich. Länder mit flexibleren Arbeitsrechtssystemen erlauben es Unternehmen, schneller auf wirtschaftliche Veränderungen zu reagieren, was ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Deutsche Unternehmen könnten daher Nachteile in Bezug auf Agilität und Kostenstruktur haben. Da muss man gar nicht ins vielzitierte englischsprachige Ausland schauen – gemeint ist ja oft die USA. Auch Frankreich hat vor gar nicht langer Zeit Reformen durchgeführt, die die Rechtsrisiken von Unternehmen in Kündigungsverfahren begrenzen.
Franzmann: Letztlich wird es auch für den Investor ein Abwägungsprozess bleiben. Will ich – weil börsennotiert quartalsgetrieben – eine schnelle und flexible Anlage oder geht es mir um langfristige Perspektiven. Strohfeuer sind bekanntermaßen heiß, verbrennen dafür auch schnell. Kontinentaleuropa, Deutschland, das ist ein großer Markt und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Verbraucher zunehmend sensibler werden. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, „Green Deal“, eine wertebasierte Ausrichtung für Anlagefonds sind Stichworte in die richtige Richtung. Und in diesem Zusammenhang sollte auch der Kündigungsschutz – der nach Lelley ja gar keiner ist (!) – kein Hinderungsgrund im internationalen Wettbewerb sein.
Welche Reformen im Kündigungsschutzrecht würden Sie vorschlagen, um sowohl dem Sicherheitsbedürfnis der Arbeitnehmer als auch Flexibilitätserfordernissen der Arbeitgeber Rechnung zu tragen?
Lelley: Ich würde eine Reform vorschlagen, die die Einführung flexiblerer Regelungen für betriebsbedingte Kündigungen beinhaltet. Bspw. könnte man längere Kündigungsfristen mit höherer Abfindung in Betracht ziehen, anstatt eine unbefristete Weiterbeschäftigung zu erzwingen. Zudem sollten mehr Möglichkeiten für befristete Arbeitsverträge und flexiblere Regelungen zur Arbeitszeitreduzierung geschaffen werden, um eine bessere Balance zwischen Sicherheit und Flexibilität zu erreichen.
Franzmann: Vorschläge zur Reform liegen seit Jahren auf dem Tisch; Abfindungszahlungen statt Bestandsschutz sind arbeitgeberseitig nicht gewollt, sie kosten angesichts der Tatsache, dass über 90% der Kündigungen nicht angegriffen werden, schlichtweg zu viel. Das Befristungsrecht auszubauen, halte ich für keine gute Idee. Bereits derzeit erleben wir allerorten einen Fachkräftemangel, die Babyboomer gehen in Rente. Auf die Arbeitgeber wird zunehmend die Aufgabe zukommen, in den Erhalt ihrer Belegschaften zu investieren und ihre Flexibilisierungswünsche im Einvernehmen mit den vorhandenen Kräften zu realisieren.
#ArbeitsRechtKurios: Amüsante Fälle aus der Rechtsprechung deutscher Gerichte - in Zusammenarbeit mit dem renommierten Karikaturisten Thomas Plaßmann (Frankfurter Rundschau, NRZ, Berliner Zeitung, Spiegel Online, AuA).
Wie hat die zunehmende Verbreitung flexibler Arbeitsmodelle, wie Remote Work, und befristeter Verträge sich auf die rechtliche Landschaft des Kündigungsschutzes ausgewirkt?
Lelley: Die Verbreitung flexibler Arbeitsmodelle hat das Arbeitsrecht vor neue Herausforderungen gestellt. Remote Arbeit, vor allem also Homeoffice, und befristete Verträge bieten zwar Flexibilität, schaffen jedoch auch Unsicherheiten hinsichtlich des Kündigungsschutzes. An sich gibt es hier nicht viele Besonderheiten, das ist in der Praxis aber vielen nicht klar.
Franzmann: Der Betriebsbegriff und hieraus abgeleitet die Frage der Anwendbarkeit des KSchG und Fragen der betriebsbezogenen Sozialauswahl wird in einer zunehmend virtuellen Arbeitswelt zu diskutieren sein. Die Befristungspraxis mit all ihren Nachteilen für die Beschäftigten wird – so steht zu befürchten – erst mit dem einsetzenden Fachkräftemangel ein Ende finden.
Gibt es Branchen oder Unternehmensgrößen, die Ihrer Meinung nach besonders vom aktuellen Kündigungsschutz profitieren oder benachteiligt werden? Welche spezifischen Anpassungen wären hier sinnvoll?
Lelley: Kleinere Unternehmen und Start-ups sind besonders benachteiligt, da sie oft nicht die finanziellen und personellen Ressourcen haben, um die komplexen Kündigungsschutzverfahren zu bewältigen. Da reden wir natürlich über Betriebe mit mehr als zehn Arbeitnehmern. Branchen, die stark auf Innovation und schnelle Anpassungen angewiesen sind, wie die IT- oder die Kreativbranche, leiden ebenfalls unter den starren Regelungen. Hier kann ich mir spezifische Anpassungen durchaus vorstellen.
Franzmann: Wollen wir das Kind beim Namen nennen: Mit „Anpassungen“ sind weniger Rechte der Arbeitnehmenden gemeint, vielleicht ein Kündigungsschutz „light“. Nein, das halte ich für keine gute Idee. Die Welt ist komplex und klein, neu, unerfahren oder agil oder gar kreativ sind in meinen Augen keine Topoi, nach denen Regeln für den Kündigungsschutz auszurichten sind. Vielmehr sind bestehende, etwa die nach § 14 Abs. 2a TzBfG oder nach § 112a Abs. 2 BetrVG, ersatzlos zu streichen.
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