„Die Durchführung einer Betriebsratswahl ist eine hochkomplexe Angelegenheit“

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 Bild: fidaolga/stock.adobe.com
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Bei einer Betriebsratsgründung gibt es einiges zu beachten. Welche (rechtlichen) Hürden und Unternehmensinteressen sind relevant? Beschäftigen wir uns erstmal mit den rechtlichen Hürden.

Franzmann: Die Durchführung einer Betriebsratswahl ist eine hochkomplexe Angelegenheit. In Betrieben ohne Gewerkschaftsrepräsentanz sind Wahlvorstände kaum in der Lage, eine Wahl gemäß den Vorschriften des BetrVG und der hierzu erlassenen Wahlordnung fehlerfrei zu meistern. Verhältniswahl, Mehrheitswahl, Stützschriften, vereinfachtes Wahlverfahren und Geschlechterproporz sind Stichworte aus der Betriebsverfassung; Wahlvorstand, -liste und -ausschreiben sind Stichworte aus der Wahlordnung, die nicht auf Anhieb und jedem geläufig sind.

Lelley: Da ist sicher was dran. Die Durchführung einer Betriebsratswahl stellt hohe rechtliche Anforderungen an alle Beteiligten. Es sind komplexe Vorschriften einzuhalten und schon kleine Formfehler können die Wahl anfechtbar machen. Ohne erfahrene Unterstützung, bspw. durch eine Gewerkschaft oder rechtliche Berater, ist es für einen Wahlvorstand schwer, die Vorgaben umzusetzen. Meiner Erfahrung nach sind sich viele Arbeitgeber bewusst, dass solche rechtlichen Hürden auch dazu beitragen können, eine fehlerfreie Betriebsratswahl zu verhindern. Dies kann in manchen Fällen dazu führen, dass eine Wahl letztlich nicht den gewünschten Effekt hat oder am Ende gar für ungültig erklärt wird. Ich kenne kaum Arbeitgeber, die sich das wünschen.

Wie sieht es mit den Hürden außerhalb des Rechts aus?

Franzmann: Ich will vorwegschicken: Zu mir kommen die Problemfälle; von daher ganz unrepräsentativ: In betriebsratslosen Betrieben treffen sich Arbeitnehmergruppen heimlich mit Gewerkschaftsvertretern oder machen mit mir heimlich einen Termin aus. Die Mutigen und Tapferen bleiben bei der Stange und trauen sich, zu Wahlvorstandswahlbetriebsversammlungen einzuladen. Betriebsrat oder Karriere ist hierbei oftmals die am meisten gestellte Frage. Hinzu kommen Individualisierungstendenzen; kollektives Handeln ist nicht en vogue. Die Mitgliederentwicklung großer Organisationen spricht Bände.

Lelley: Neben rechtlichen Hürden kann es auch hier und da praktische und psychologische Barrieren geben, die einer Betriebsratsgründung im Weg stehen. Aber wie Herr Franzmann schon richtig sagt, sind das die Problem- und Einzelfälle, die verschwindend kleine Zahl in der Praxis. Arbeitnehmer sind sich häufig unsicher, ob sie sich der Verantwortung einer solchen Rolle stellen wollen, gerade weil es in vielen Unternehmen keinen ausgeprägten Rückhalt aus der Belegschaft (!) für eine Kultur der Mitbestimmung gibt. Die Befürchtung, dass die eigene Karriere darunter leiden könnte, kann ein reales Hindernis sein, das Mitarbeiter abschreckt. Aber wir kennen ja auch umgekehrt die Fälle, in denen Betriebsräte eine Karriere hinlegen, von der können sogar die allermeisten Geschäftsführer und Vorstände in Deutschland nur träumen. Die Namen von z.B. Herrn Stimoniaris bei MAN oder Herrn Osterloh bei VW sind ja vielen noch gut bekannt. Und Herr Franzmann spricht es richtig an: In gar nicht wenigen Unternehmen setzt die Belegschaft zunehmend auf Individualisierung und persönliche Entwicklung. Das kann auf Kosten der Bereitschaft zu kollektiven Aktionen wie die Gründung eines Betriebsrats gehen. Insofern kann auch das Kollegenumfeld eine Hürde darstellen.

Kommen wir zu den Unternehmensinteressen: Kann ein Unternehmen überhaupt daran interessiert sein, einen Betriebsrat zu bekommen?

Franzmann: Ein Betriebsrat kostet Geld; Untersuchungen behaupten pro Arbeitnehmer und Jahr 1.000 Euro. Ein Betriebsrat kostet (Gestaltungs-)macht; gibt’s keine Betriebsvereinbarung, regiert der Arbeitgeber durch, §106 GewO. Nein lautet meine Antwort, Unternehmen haben durchweg kein Interesse, einen Betriebsrat zu bekommen.

Lelley: Ein Betriebsrat bedeutet für das Unternehmen oft zusätzliche Kosten und einen Verlust an Flexibilität. Unternehmen haben naturgemäß kein Interesse daran, ihre Entscheidungsprozesse durch einen Betriebsrat komplizierter zu machen, da dies oft zu Verzögerungen und zusätzlichen finanziellen Aufwänden führt. Ein Betriebsrat kostet Ressourcen – sowohl monetäre als auch zeitliche. Solange das Gesetz keine zwingende Vorgabe macht, gibt es für Arbeitgeber wenig Anreize, eine solche Struktur zu fördern oder zu begrüßen.

Wie steht es um die Unternehmensinteressen, wenn betriebsrätliche Strukturen in den Betrieben etabliert sind?

Franzmann: Betriebsräte wollen, dass es ihren Betrieben gut geht. Betriebsräte reichen der Arbeitgeberseite in schwierigen Zeiten die Hand. Womit nicht gesagt sein soll, dass Betriebsräte jedwede Arbeitgeberidee mittragen. Ja, bis zum Ausrollen einer Arbeitgeberentscheidung kann es dauern, sei dies in Arbeitszeitfragen, bei der Einführung technischer Einrichtungen oder im Rahmen von Betriebsänderungen. Aber die Umsetzung von Entscheidungen und die Akzeptanz dieser Entscheidungen in der Belegschaft gehen ungleich schneller vonstatten, wenn sie mitbestimmt und vom Betriebsrat mitgetragen werden.

Lelley: In Unternehmen, in denen Betriebsräte bereits bestehen, sind Arbeitgeber im Rahmen des BetrVG gezwungen, mit den Betriebsratsgremien zusammenzuarbeiten. Zwar kann es in Krisenzeiten vorkommen, dass Betriebsräte eine helfende Rolle einnehmen und das Unternehmen in schwierigen Situationen stützen. Allerdings bedeutet die Zusammenarbeit mit einem Betriebsrat in der Praxis oft eine Verlangsamung der Entscheidungsfindung. Arbeitgeber müssen verschiedene bürokratische Hürden überwinden, was zu einer Reduktion ihrer unternehmerischen Freiheiten führt. Nichtsdestotrotz kann die Einbindung eines Betriebsrats zu einer höheren Akzeptanz unter den Mitarbeitern führen, was unter bestimmten Umständen durchaus ein Vorteil ist. Ich möchte hier aber nicht in Mitbestimmungslyrik verfallen. Denn alles hat seine Grenzen, das sehen wir auch gerade wieder bei VW und ZF und anderswo.

Ist der Gesetzgeber gefordert, Betriebsratsgründungen zu erleichtern oder anderweitig Anreize zum Ausbau betriebsrätlicher/mitbestimmungsrechtlicher Strukturen zu schaffen?

Franzmann: Die Erosion kollektivrechtlicher Interessenwahrnehmung ist besorgniserregend. Mit dem Tariftreuegesetz versucht die öffentliche Hand die Auftragsvergabe an das Bestehen tariflicher Regelungen im jeweiligen Betrieb zu koppeln. Sicherlich ließen sich die Wahlvorschriften entschlacken oder zumindest die Frage nach Expertise für den Wahlvorstand leichter beantworten. Entscheidender bleibt für mich das gesellschaftliche Klima. Wollen wir nachhaltiger, achtsamer, rücksichtsvoller miteinander umgehen und ggf. hierfür einen Preis zahlen? So lange „Geiz geil ist“ und jeder an sich denkt, wird das Ehrenamt Betriebsrat das Schicksal vieler Ehrenämter teilen und leider immer weiter an Bedeutung verlieren.

Lelley: Der Gesetzgeber sollte meiner Ansicht nach nicht aktiv Maßnahmen ergreifen, um Betriebsratsgründungen zu erleichtern oder zu fördern. Und selbst wenn er das – mal wieder – täte, nutzen würde es nichts. Alle gesetzgeberischen und sonstigen Aktivitäten seit über 20 Jahren haben doch auf jeden Fall eines nie erreicht: die Erosion der kollektiven Interessenvertretung auch nur zu verlangsamen. Die Ursachen liegen daher wohl doch woanders.

Bisweilen etablieren sich im Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten alternative Mitarbeitervertretungen in den Betrieben. Was ist hiervon zu halten?

Franzmann: Teilhabe als Gnadenrecht? In aller Deutlichkeit: Nichts!

Lelley: Nun ja, ich weiß nicht, ob das eine Frage von Gnade oder einem Gnadenrecht wäre. Es geht doch um Alternativen, um die Handlungsspielräume zu erweitern. Alternative Formen der Mitarbeitervertretung, die gemeinsam mit dem Arbeitgeber und den Mitarbeitern etabliert werden, können in der Praxis oft effektiver sein als ein Betriebsrat. Diese alternativen Strukturen sind oft flexibler und besser an die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens und seiner Belegschaft angepasst. Im Gegensatz zu einem Betriebsrat sind sie nicht an starre gesetzliche Vorgaben gebunden und ermöglichen eine offenere und weniger konfrontative Zusammenarbeit. Und interessanterweise schauen sich gerade oft junge, aufstrebende Unternehmen der Zukunftsbranchen nach solchen Ansätzen um. Das muss doch etwas zu bedeuten haben, meine ich.

Armin Franzmann

Armin Franzmann
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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· Artikel im Heft ·

„Die Durchführung einer Betriebsratswahl ist eine hochkomplexe Angelegenheit“
Seite 36 bis 37
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