Die Frage nach dem Sinn
Dr. Bodo Antonic:
Ein Geständnis vorab: Wo immer Selbstverständlichkeiten in Buzzwords gepackt und zum Managementtrend erhoben werden, macht sich bei mir Unbehagen breit. So auch der Fall bei der großen „Purpose“-Diskussion und dem Ruf nach sinnstiftender Arbeit, die wir in den letzten Jahren in Managementkreisen hatten.
Als Mensch suche ich, wie alle anderen auch, Sinn und Bedeutung in allem, was ich tue und was mir widerfährt. Und einen solchen Sinn zu finden und zu haben, motiviert, gibt Halt und Orientierung, ganz ohne Frage.
In der Arbeitswelt geht es aber erst einmal darum, Zwecke zu erfüllen. Für mich als Manager genauso wie für alle Mitarbeiter. Berufliche Tätigkeiten dienen in erster Linie Zwecken: den Laden am Laufen halten, Mahnungen schreiben, Müll wegräumen, Personalakten verwalten. Ihr Potenzial, einem höheren Sinn und damit dem Wahren, Guten, Schönen zu dienen, ist in vielen Bereichen und Alltagssituationen begrenzt.
Meine Empfehlung, wenn wir über Sinn in der Arbeitswelt reden, umfasst daher diese drei Punkte:
- Lasst uns die Sinnfrage in der Arbeitswelt doch bitte tieferhängen! Seinen Sinn muss jeder selbst finden, das kann keine Organisation und kein Jobprofil vorgeben. Zudem kann man sein Sinnbedürfnis auch außerhalb der Arbeit befriedigen und bei der Arbeit, gerade in angespannten Situationen, wie ich sie oft erlebe, einfach nur professionell agieren.
- Lasst uns anerkennen, dass Organisationen nicht deshalb funktionieren, weil sie einen übergeordneten Sinn bedienen. Sie funktionieren, wenn alles seinen Zwecken dient. Und die leiten sich in der Wirtschaft von den Anforderungen des Kunden ab, der das Überleben eines Unternehmens sichert.
- Und lasst uns, statt überall den Sinn zu suchen und zu predigen, lieber den Unsinn in unseren Unternehmen beseitigen. Darunter zähle ich unnötige Bürokratie (Genehmigungsprozesse, Pöstchen-Schacher usw.), die Zeit und Nerven kostet, sinnlose Rituale (Reportings, Meetings, Ruckreden), die Menschen vom Arbeiten abhalten, sinnfreies Hantieren mit Blähbegriffen in Powerpoint-Folien und Sonntagsreden, die toll tönen, aber wenig aussagen und den Verstand vernebeln.
Prof. Dr. Tatjana Schnell:
Ich halte ebenfalls überhaupt nichts davon, wenn etwas, das selbstverständlich sein sollte, instrumentalisiert wird und – meist auf Kosten der notwendigen Differenziertheit – zu einem Trend verkommt.
Allerdings finde ich es aufschlussreich, dass Sie, Herr Dr. Antonic, Purpose und sinnstiftende Arbeit einerseits als eine Selbstverständlichkeit bezeichnen, andererseits aber meinen, dass sie in der Arbeitswelt nichts zu suchen hätten. Sie führen den Begriff des Zwecks ein, den Sie dem Sinn gegenüberstellen. Angestrebte Zwecke sollen/müssen also nicht sinnvoll sein? Genau diese Erfahrung machen leider viele arbeitende Menschen, dass sie nicht nachvollziehen können, warum „der Laden am Laufen gehalten“ werden soll: Warum gibt es den Laden denn? Welche Produkte oder Dienstleistungen bietet er an, die einen sinnvollen Beitrag zu unserer Gesellschaft leisten können? Oder geht es tatsächlich nur um ein Am-Laufen-Halten um des Am-Laufen-Sein willens? Le travail pour le travail? Natürlich nicht, denn im Gegensatz zur Kunst verfolgen wirtschaftliche Organisationen weitergehende Ziele – bzw. Zwecke.
Ein primär zweckrationales Handeln hat bereits Max Weber (1964) kritisiert. Definiert als Maximierung des Verhältnisses von Nutzen und Aufwand für das Erreichen eines Ziels, hat er es dem wertrationalen Handeln gegenübergestellt. Damit meinte er ein Handeln im Dienst der Wichtigkeit einer Sache. Wenn es am Arbeitsplatz primär um wirtschaftliche Nutzenmaximierung geht und die Wichtigkeit und Bedeutung der Tätigkeit und ihrer Ergebnisse nachrangig ist, dann merken Arbeitnehmer das. Und deshalb fragen sie in den letzten Jahren auch vermehrt nach dem Sinn ihrer Arbeit. Zum Glück, würde ich sagen.
Sie, Herr Dr. Antonic, unterscheiden zwischen dem Menschen Bodo Antonic und der Person, die in der Arbeitswelt agiert. Aber Menschen sind auch am Arbeitsplatz Menschen. Und wollen als solche wahrgenommen werden. Auch dem steht zweckrationales Handeln oft entgegen. Ich denke, letztendlich ist es gar nicht so schwer mit der sinnvollen Arbeit. Das, was Arbeit sinnvoll macht (wie inzwischen vielfache Studien belegen), sind eigentlich Minimalanforderungen:
- Arbeitnehmer sollten nachvollziehen können, welchen Nutzen, welche positiven Konsequenzen ihre Arbeit für andere hat (Bedeutsamkeit);
- die Tätigkeit sollte zu ihren Fähigkeiten und Interessen passen und mit anderen Lebensbereichen vereinbar sein (Kohärenz);
- sie sollten hinter den Zielen der Organisation stehen können (Purpose) und
- sich als zugehörig erleben, als Menschen wahrgenommen, wertgeschätzt und eingebunden (Zugehörigkeit).
Es geht also gar nicht darum, dass die Arbeit meinem Leben einen Sinn gibt – sondern darum, dass ich nicht einen Großteil meines Lebens mit mir sinnlos erscheinenden Tätigkeiten verbringe.
Sinn bedeutet auch längst nicht immer das Wahre, Gute und Schöne. Vieles ist nicht unbedingt schön. Allerdings würde ich jederzeit – als Arbeitskraft wie als Kundin – denjenigen Unternehmen mehr Vertrauen schenken, die sich der Wahrheit verpflichtet fühlen und ihre Sache gut machen wollen.
Sinnorientierte Führung kann bedeuten, Ziele und Prozesse bezüglich ihres Sinns zu hinterfragen, Partizipation zu stärken, manche Kundenwünsche eventuell nicht zu bedienen, die Umwelt- und Sozialverträglichkeit zu erhöhen und vieles mehr. Das mag herausfordernd klingen, aber letztendlich bringt es vielfach belegte Gewinne, z.B. in Bezug auf Recruitment, Retention und Mitarbeiterzufriedenheit: Viele junge Menschen suchen heute nach einer Arbeit, deren Sinn sie sehen können. Und wer den Sinn seiner Arbeit sieht, denkt nicht über einen Jobwechsel nach, engagiert sich und übernimmt professionell Verantwortung!
Dr. Bodo Antonic:
Liebe Frau Prof. Dr. Schnell, da ist jetzt doch einiges durcheinandergeraten, was wir hier kurz klarziehen sollten. Ich habe nicht gesagt, dass Sinn in der Arbeitswelt nichts zu suchen hat, sondern angeregt, die „Sinnfrage“ tiefer zu hängen. Und da müssen wir in der Tat differenzieren. Mir scheint, dass hier permanent zweierlei durcheinandergeht.
- Sinn im Sinne einer höheren Bedeutsamkeit, die Menschen eben Tätigkeiten, Ereignissen, Lebensformen zusprechen. Im Englischen hieße das dann eher „meaning“. Hier war mein Punkt: Diesen Sinn kann niemand von außen vorgeben, sondern nur jeder in diesen Sachverhalten finden. Genau diese Sinnfrage möchte ich tiefer hängen, wird aber unter dem Schlagwort „purpose“ gerade wie die Sau durchs Unternehmerdorf getrieben nach dem Motto: Gib Deinen Mitarbeitern einen höheren Sinn in ihrer Tätigkeit und sie kommen engagierter zur Arbeit, geben sich mit weniger Gehalt zufrieden und machen unser aller Welt jeden Tag ein Stück besser. Da gruselt es mich.
- Dann gibt es den Sinn, der sich meinem Zweckverständnis annähert. Ist es sinnvoll, dieses oder jenes zu tun, wenn ich dieses oder jenes erreichen will oder soll? Wenn ich sinnlose Praktiken in der Arbeitswelt kritisiere, stelle ich genau darauf ab. Und genau dort finde ich in zahllosen Interimeinsätzen die Frustration und Demotivation, die viele Menschen in Unternehmen und der Arbeitswelt beklagen. In die Beseitigung dieser Missstände muss die Energie aller im Unternehmen hineinfließen, dann stellen sich auch die positiven Effekte ein, die Sie in Aussicht stellen, wenn nur erst die großen Sinnfragen beantwortet sind.
Ein kurzes Beispiel dazu: Wie steht es um die große Sinnfrage bei Menschen, die in einer Fast-Food-Kette arbeiten? Vor dem Hintergrund gewisser Werte und Einstellungen müssen Tätigkeiten in diesem Feld als wenig sinnstiftend, monoton, ja für die Volksgesundheit, das Tierwohl und vieles andere als schädlich betrachtet werden. Wenn die Beschäftigten es dort aber als sinnvoll erachten, einen Anlaufpunkt für Menschen mit wenig Zeit, akutem Hunger und kleinem Geldbeutel zu bieten, dann kann das durchaus als „meaningful“ durchgehen. Und genauso statthaft scheint es mir, wenn diese Menschen dort allein deshalb arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Wie immer man also zur großen Sinnfrage steht: Ob Tätigkeiten nun als „meaningful“ erachtet werden oder nicht, immer muss gewährleistet sein, dass die Menschen von nervigen, entwürdigenden, ablenkenden Praktiken bei der Ausübung ihrer Tätigkeit verschont bleiben.
Und ja, Anstand und Moral (das Tierwohl, die Gesundheit) müssen in beiden Fällen gewahrt werden, hängen aber für mich mit der großen Sinnfrage nicht zusammen. Und ich brauche diese große Sinnfrage auch nicht zu bemühen, um Moral und Anstand zum Siegeszug zu verhelfen. Das regelt sich oft über die Kundenbeziehung und ist nicht abhängig von elaborierten „Greenwashing“- und „Purpose-Washing“-Kampagnen. Wenn Kunden um ihre Gesundheit fürchten oder unmoralisches Verhalten vermuten, werden sie zu Konkurrenten wechseln, wo sie diese Befürchtungen nicht zu haben brauchen.
Zu guter Letzt, auch Ihre Polemik zur „Nutzenmaximierung“ in Unternehmen empfinde ich als etwas billig. Sie sagen: „Wenn es am Arbeitsplatz primär um wirtschaftliche Nutzenmaximierung geht und die Wichtigkeit und Bedeutung der Tätigkeit und ihrer Ergebnisse nachrangig ist, dann merken Arbeitnehmer das.“ Die Wichtigkeit und Bedeutung der Tätigkeit, das haben wir jetzt mehrfach beleuchtet, verleiht der Mitarbeiter seiner Tätigkeit selbst. Die Nutzenmaximierung im Unternehmen ist aber nicht so verwerflich, wie Sie es den Arbeitnehmern suggerieren wollen. Im Gegenteil: Viele verstehen das sehr gut – denn auch Individuen handeln nach diesem Prinzip. Ich erlebe immer wieder Menschen, die als Ziel ausgeben, weniger zu arbeiten und dabei mehr zu verdienen. Und wissen Sie was: Ich finde das vollkommen okay, solange das Unternehmen vom Mitarbeiter bekommt, was der Kunde dem Unternehmen schlussendlich als Leistung bezahlt!
Prof. Dr. Tatjana Schnell:
Begriffsklärung ist wichtig. Ich möchte daher die beiden Positionen, die Sie in Punkt 1 und 2 beschreiben, nochmals hinterfragen. Beide scheinen mir wenig mit dem zu tun zu haben, was seit vielen Jahren als Sinn im Beruf oder sinnvolle Arbeit untersucht und thematisiert wird. Unter Punkt 1 überzeichnen Sie das Thema („höherer“ Sinn) und lehnen es unter Berufung auf den Umgang damit ab, um sodann unter Punkt 2 Ihr Verständnis von Sinn als Zweck und Abwesenheit von Sinnlosigkeit darzulegen.
Menschen fragen nach dem Sinn ihrer Arbeit. Der muss nicht „höher“ sein, sondern einfach nur da, erfahrbar: Ich möchte verstehen, welche Bedeutung es hat, dass ich tagein, tagaus diese Tätigkeiten verrichte. Für wen tue ich das? Wozu? Wer hat etwas davon? Diesen Sinn kann niemand vorgeben, das stimmt. Allerdings kann ihn auch niemand „finden“, wenn es dafür keine Anhaltspunkte, Informationen, Belege gibt und das Thema ignoriert wird.
Zeigen sich die Effekte sinnvoller Arbeit – nach einer Metaanalyse von Allan und Kollegen (2018) sind das z. B. Arbeitsengagement, Commitment, Arbeitszufriedenheit, allgemeine Gesundheit, Arbeitsleistung, Unternehmensbindung – bereits dann, wenn eine Zweckrationalität verfolgt wird und Missstände und sinnlose Praktiken beseitigt werden, wie Sie in Punkt 2 behaupten, Herr Dr. Antonic? Da sagt der Forschungsstand etwas ganz anderes. Genauso wenig wie die Abwesenheit von Unglück glücklich macht, führt Störungsfreiheit am Arbeitsplatz zu Arbeitsengagement, Commitment etc.
Wenn ich nun Ihr Beispiel betrachte, wie es um die Sinnfrage steht bei Menschen, die in einer Fast-Food-Kette arbeiten, dann kann ich nur sagen, dass mich Ihre Überlegungen hier verwirrt haben. Sie gestehen den Beschäftigten zu, dies eventuell als sinnvoll wahrzunehmen? Sie finden es aber auch statthaft, wenn sie um des Geldes wegen dort arbeiten? Und: Hauptsache, sie können diese (monotone) Arbeit (mit schädlichen Konsequenzen für Konsumenten, Tierwohl und Klima) ungestört leisten? Für mich stellen sich hier ganz andere Fragen. Wenn Beschäftigte in solchen Arbeitsfeldern die Sinnfrage stellen, dann ist mindestens eine der vier Facetten des Sinnerlebens fragwürdig geworden. Das könnte folgendermaßen aussehen:
Bedeutsamkeit: Welche Konsequenzen hat meine Arbeit eigentlich? (Warum wird der junge Mann, der täglich zum Mittag hierher kommt und eine XXL-Portion bestellt, die ich ihm schmackhaft machen muss, immer übergewichtiger?)
Kohärenz: Passt diese Arbeit wirklich zu mir? (Ich habe immer nur die gleichen Handgriffe zu tun – ich kann doch noch so viel mehr!)
Orientierung: Welche Ziele verfolgt das Management? (Geht es ihnen wirklich um das Wohl ihrer Kunden? Warum verkaufen wir dann so wenig gesundes Essen?)
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Zugehörigkeit: Werde ich hier überhaupt gesehen und ernstgenommen? (Niemand interessiert sich für meine Vorschläge, wie man das Essen gesünder zubereiten könnte. Und der Chef kann meinen Namen immer noch nicht richtig aussprechen!)
All dies sind Beispiele für Sinnfragen. Bleiben sie unbeantwortet, dann sinken Arbeitsmotivation, Loyalität und Verantwortungsbereitschaft. Werden sie aufgegriffen, dann haben sie ein großes Potenzial. Dann könnte es sogar passieren, dass dieses Unternehmen den Konsum von Billigfleisch nicht weiter ankurbelt. Denn „über die Kundenbeziehung“ regelt sich dies offenbar ja leider nicht wirklich.
Und „die Wichtigkeit und Bedeutung der Tätigkeit verleiht der Mitarbeiter seiner Tätigkeit selbst“? Tatsächlich? Und wenn ihm das nicht gelingt, ist es seine Schuld – weil an der Arbeit ja alles reibungslos läuft? Mit einer solchen Haltung ist kein Unternehmen gut beraten. Bei Sinnfragen geht es nicht um private Befindlichkeiten. Es geht um Bewusstheit und die Bereitschaft zu hinterfragen – nicht nur einzelne Arbeitsprozesse, sondern auch dahinterliegende Strukturen, Ziele und Entscheidungen. Organisationen, die sich dem nicht stellen, werden sich letztendlich selbst schaden.
Dr. Bodo Antonic:
Liebe Frau Prof. Dr. Schnell, ich werde hier als promovierter Chemiker und ansonsten praktizierender Manager nicht über den Stand der psychologischen Forschung diskutieren – obwohl mir als lesendem Zeitgenossen auch aus der Organisationspsychologie immer wieder Forschung unterkommt, die meinen Blick auf die Frage stützt, z. B. die Studie Ihrer Kolleginnen von INSEAD und der University of Hong Kong zur Frage, ob „meaning“ in der Arbeit wirklich zu besserer Leistung führt.
Auch bleibt es Ihnen überlassen, ob Sie kritische Stimmen aus Disziplinen wie der Soziologie zur Purpose-Mode wahr- und ernstnehmen wollen oder nicht, z. B. Andreas Reckwitz zu den Auswüchsen der Sinn- und Erfüllungssuche einer kreativen Boheme in „Gesellschaft der Singularitäten“ oder Stefan Kühls Kritik an der Purpose-Praxis in Unternehmen.
Um die Sache aus meinem Blickwinkel abzuschließen, möchte ich noch einmal auf diese beiden von Ihnen aufgeworfenen Fragen antworten. Die erste: „Sie gestehen den Beschäftigten [der Fast-Food-Kette] zu, dies [Ihre Tätigkeit] eventuell als sinnvoll wahrzunehmen?“. Ja, das tue ich! Und ich wüsste auch nicht, auf welcher Basis ich diesen Menschen ihre eigene Sinngebung absprechen sollte und was ich als Manager davon hätte. Ihre zweite Frage: „Sie finden es aber auch statthaft, wenn sie [die Mitarbeiter der Fast-Food-Kette] um des Geldes wegen dort arbeiten?“. Ja, das tue ich! Und ich empfinde es, gelinde gesagt, als überheblich und anmaßend, wenn Menschen abgewertet werden, weil sie in erster Linie für ihren Lebensunterhalt arbeiten und das ganze Sinngeschwurbel als aufgesetzt empfinden.
Ich werde es aber weiterhin als meine oberste Aufgabe als Manager sehen, Mitarbeiter vor sinnlosen, demotivierenden und frustrierenden Praktiken am Arbeitsplatz zu bewahren. Diese Aufgabe ist groß genug.
Prof. Dr. Tatjana Schnell:
Lieber Herr Dr. Antonic, ich habe mich diesem Streitgespräch gestellt, weil ich kritische Stimmen ernstnehme und den informierten Diskurs für wichtig und notwendig halte. Wissenschaft heißt, Erkenntnisse immer wieder zur Disposition zu stellen. Auch in der Praxis ist dies sicherlich nicht von Nachteil.
Meine Nachfragen bzgl. Ihrer Formulierungen, dass Sie Sinn „zugestehen“ oder Sinnlosigkeit „statthaft finden“, waren natürlich rhetorischer Art. Die Hybris steckt in der Formulierung. Selbstverständlich geht es nicht darum, arbeitende Menschen abzuwerten – weder solche, die ihre Tätigkeit sinnvoll finden, noch jene, denen dies, oft aus gutem Grund, nicht gelingt.
Ich warne seit vielen Jahren vor den dunklen Seiten beruflicher Sinnerfüllung, vor deren Instrumentalisierung und anderen Auswüchsen. So neigen Menschen, die ihren Beruf als besonders sinnvoll wahrnehmen, zur Selbstausbeutung, da sie sich verantwortlicher fühlen, selten Dienst nach Vorschrift machen und weniger auf ein hohes Gehalt fixiert sind. Manche Arbeitgeber versuchen dies auszunutzen; andere missverstehen „Sinn“ als eine implementierbare Managementstrategie und produzieren damit Zynismus bei ihren Beschäftigten. Nicht zuletzt werden sinnvolle Arbeit und Arbeit als Lebenssinn immer wieder verwechselt. Das verwundert nicht, wenn man den Stellenwert der Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft bedenkt, und die Tatsache, dass wir uns primär über den Beruf identifizieren – oder darüber identifiziert werden.
Es gibt eine Menge andere (und bessere) Sinnquellen als die Erwerbsarbeit. Aber sie ist ein wichtiger Teil unseres Lebens. Nicht alle, aber immer mehr Menschen wollen wissen, warum sie ihre Lebenszeit und -energie hier investieren sollen. Downshifting und die Great Resignation sind Hinweise darauf, dass die Antworten oft unzureichend sind. Weltweite Initiativen wie die zur Demokratisierung der Arbeit (#DemocratizingWork) unterstreichen, dass es dabei nicht nur um das persönliche Erleben geht. Arbeit schafft – über Produktion, Handel und Werbung – heutige und zukünftige Lebensrealitäten: unsere, die unserer Familien, gesellschaftlich, global und ökologisch. Es ist daher fragwürdig und einer Sinnfrage würdig, wenn Unternehmen sich allein den „Zwecken“ und dem Kundenwunsch verpflichtet wissen.
Die ausschließliche Verwendung des generischen Maskulinums ist eine redaktionelle Entscheidung und beinhaltet keine Wertung (Anm. d. Red.).
Prof. Dr. Tatjana Schnell
Dr. Bodo Antonić
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