Entwurf zur Regulierung von Plattformarbeit

Wortwechsel

In dieser Rubrik sprechen wir regelmäßig über aktuelle Ereignisse und Entwicklungen, die das Arbeitsrecht betreffen und die HR-Welt umtreiben. Dabei wollen wir verschiedene Standpunkte zu Wort kommen lassen und so in den direkten Dialog gehen.

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Dr. Johanna Wenckebach, Wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung, und Dr. Jan Tibor Lelley, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner bei BUSE Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB Bild: Dr. Johanna Wenckebach/Dr. Jan Tibor Lelley
Dr. Johanna Wenckebach, Wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung, und Dr. Jan Tibor Lelley, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner bei BUSE Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB Bild: Dr. Johanna Wenckebach/Dr. Jan Tibor Lelley

Halten Sie es für richtig, dass die EU einen Rechtsrahmen für die Regulierung der Plattformarbeit schafft?

Lelley: Ob jetzt richtig oder nicht – es sieht augenblicklich ganz danach aus, dass wir eine EU-Regulierung bekommen. Richtig ist vor allem: Mit zunehmender Digitalisierung wird auch die Plattformarbeit weiter an Bedeutung gewinnen. Denn dieser Bereich umfasst längst nicht mehr nur Fahrradkuriere, die Essensbestellungen von A nach B transportieren, sondern auch andere Sektoren, wie etwa Reinigungs- und Pflegeleistungen. Die Europäische Kommission schätzt, dass es von der europäischer Ebene aus gesehen ca. 28 Mio. Beschäftigte in der Plattformarbeit gibt. Wenn wir uns den EU-Richtlinienentwurf ansehen, dann scheint man dort das Hauptproblem in einem unklaren Status der Plattformbeschäftigten zu sehen. Das spiegelt in gewisser Weise die unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen wider, die es zu dem Thema in den letzten Jahren gab. Dabei kam dann auch manches Mal heraus, nicht alle Plattformbeschäftigten, die sich für Scheinselbstständige halten, sind das auch. Teilweise werden Plattformbeschäftige als Arbeitnehmer eingestuft (z. B. in Deutschland und Spanien) und teilweise aber auch als Selbstständige (z. B. in Belgien).

Wenckebach: Ich halte das für dringend geboten. Natürlich lässt sich nicht sämtliche Arbeit über und für Plattformen über einen Kamm scheren. Aber es gibt Probleme, die eindeutig mit den Besonderheiten dieser Art von Arbeit im digitalen Raum zu tun haben und damit, welche Funktion die Plattformen auf Märkten einnehmen. Die EU-Kommission geht davon aus, dass 5,5 Mio. Plattformbeschäftigte Scheinselbstständige sind – also zu Unrecht um Arbeitnehmerrechte gebracht werden und nicht sozialversichert sind. Letzteres ist bei diesen Zahlen selbstverständlich auch ein Problem der Solidargemeinschaft. Es geht also darum, dass ganz grundlegender Schutz und soziale Sicherung zur Anwendung kommen. Hier müssen die Plattformen in die Pflicht genommen werden.

Inwiefern werden diese Probleme im Entwurf der EU-Kommission aufgegriffen?

Lelley: In Sachen Beschäftigtenstatus und Scheinselbstständigkeit beinhaltet der Entwurf einen Katalog mit Kriterien zur Bestimmung, ob ein Arbeitsverhältnis besteht. Sofern die Tätigkeit zwei der dort genannten Kriterien erfüllt, wird dies widerlegbar vermutet. Damit will man erreichen, dass Menschen, die bisher fälschlicherweise als Selbstständige eingestuft werden – Sie sprachen von ca. 5,5 Mio. der ca. 28 Mio. Plattformbeschäftigten – in Zukunft den Arbeitnehmerstatus bekommen und damit Arbeitnehmerrechte und Sozialleistungen in Anspruch nehmen können.

Wenckebach: Die von Herrn Lelley genannte Vermutungsregelung ist wichtig für eine effektive Durchsetzbarkeit der Statusfrage im Streitfall. Weitere Probleme, die einer Regulierung bedürfen, bringen die digitalen Techniken mit sich, die Plattformen nutzen. So kommt bspw. algorithmisches Management zum Einsatz. Beschäftigte werden überwacht, ihre Daten ausgewertet, Aufträge durch Algorithmen erstellt, verarbeitet und delegiert. Das ist ein ganz neues Potenzial von Macht und Kontrolle, das auch jenseits der Plattformarbeit eine Rolle in der Arbeitswelt spielen wird und bisher arbeitsrechtlich kaum erfasst wird. Für Beschäftigte und Interessenvertretungen sind Algorithmen häufig eine Blackbox. Das Informationsgefälle verhindert Mitbestimmung und Rechtsdurchsetzung. Hier besteht Handlungsbedarf! Deshalb ist es wichtig, dass der Entwurf vorsieht, die Techniken des algorithmischen Managements in den Blick zu nehmen und für mehr Transparenz zu sorgen. Das sind wichtige – wenn auch nur erste – Schritte für einen arbeitsrechtlichen Rahmen beim Einsatz von künstlicher Intelligenz.

Welche Änderungen könnten sich aus dem Entwurf der EU-Kommission ergeben?

Lelley: Auf digitale Arbeitsplattformen könnten weitreichende Umgestaltungen und rechtliche Pflichten bzgl. ihres Geschäftsmodells zukommen. Das setzt natürlich voraus, dass es keine tiefergehenden Änderungen an dem Richtlinienvorschlag mehr gibt. Es gibt Schätzungen, nach denen zwischen 1,7 Mio. und 4,1 Mio. Plattformbeschäftigte, die zuvor selbstständig eingestuft waren, nun anhand des Kriterienkatalogs als Arbeitnehmer klassifiziert werden könnten. Das hat weitreichende arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen, wie etwa einen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn, Kündigungsschutz oder Sozialleistungen (Entgeltfortzahlung, Rente etc.).

Wenckebach: Es ist bereits jetzt erkennbar, dass die Plattformen umschwenken und – zum Teil als Alternative – Festanstellungen anbieten. Der Widerstand der großen Player des Marktes gegen die Reform in Europa, aber auch den USA zeigt: Das ist ein fundamentaler Wechsel. Davon werden die Beschäftigten profitieren, aber auch die sozialen Sicherungssysteme, denen zurzeit große Einnahmen entgehen. Die Regulierung wird einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass in der Plattformökonomie Arbeitsrechte, die hierzulande nicht zur Disposition stehen, weniger leicht unterlaufen werden können. Da geht es meiner Meinung nach auch um fairen Wettbewerb.

Welche Kritikpunkte gibt es zum Vorschlag der EU-Kommission?

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Lelley: Ich würde mir wünschen, dass hier Regulierung nicht zur Strangulierung wird. Die EU hat ja die wirtschaftliche Bedeutung der Plattformwirtschaft durchaus erkannt. Und sie hat auch erkannt, dass wir hier über einen Bereich mit Zukunft sprechen, der Verdienstmöglichkeiten auch für niedrigqualifizierte Beschäftigte mit einem hohen Maß an zeitlicher Flexibilität verbinden kann. Wie bei jeder Regulierung brauchen wir daher mindestens eine Folgenabschätzung. Nach Ansicht der Plattformwirtschaft würde die Regulierung zu erheblichen Kostensteigerung und dann auch zu einem Verlust vieler Verdienstmöglichkeiten führen. Da gibt es Studien zu Kurierdienstleistern, die zur Zeit nicht als Arbeitnehmer eingestuft für Lebensmittel-Lieferplattformen arbeiten. Und diese Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass hier bis zu 250.000 Jobs in Gefahr sein können. Diese Bedenken müsste die EU ernst nehmen, meine ich. Ich bin mir nicht sicher, ob der Entwurf da immer in die richtige Richtung geht.

Wenckebach: Ich habe wenig Mitgefühl, wenn Konzepte nicht aufgehen, die nur mit prekärer Arbeit funktionieren. Außerdem bezweifle ich die Richtigkeit solcher Schätzungen – jeder Art von arbeitsrechtlicher Regulierung geht i.d.R. solche Schwarzmalerei voraus, die dann nicht eintrifft. Meine Sorge ist eher, dass Schlupflöcher bleiben und auch die genannten Kriterien zur Vermeidung von Scheinselbstständigkeit nicht ausreichen, um das zu erfassen, was technisch möglich ist. Natürlich wird es weiter Plattformen geben, die an AGB schrauben, die möglichst außerhalb des durch die Richtlinie abgesteckten Rahmens liegen. Hier wäre es wünschenswert, das Netz noch feinmaschiger zu knüpfen. Und für den Umgang mit algorithmischem Management ist die Richtlinie erst ein kleiner erster Schritt.

Wann erwarten Sie eine konkrete Regelung in Deutschland?

Lelley: Da werden wir uns noch ein wenig gedulden müssen. Denn der Entwurf muss noch das Europäische Parlament und den Rat durchlaufen und auch die Umsetzung durch die Mitgliedsstaaten kann weitere ein bis zwei Jahren dauern. Trotzdem lohnt sich bereits heute ein Blick auf die vorgeschlagenen Regelungen. Denn die eingeschlagene Richtung können wir natürlich auch jetzt schon erkennen.

Wenckebach: Richtig. Zeitgleich gibt es auch einen Vorschlag, das Verhältnis von Kartellrecht und Kollektivvereinbarungen von Soloselbstständigen zu klären. Das ist für diejenigen, die tatsächlich als Selbstständige auf Plattformen tätig sind, ein bedeutsames Vorhaben. Zudem wird in Brüssel der „AI Act“ verhandelt – eine Verordnung für künstliche Intelligenz, die nicht nur für Plattformarbeit, sondern für die Arbeitswelt insgesamt enorme Rechtsfolgen haben wird. Alles Entwicklungen im europäischen Recht, die nicht verschlafen werden sollten!

Prof. Dr. Johanna Wenckebach

Prof. Dr. Johanna Wenckebach
Wissenschaftliche Direktorin, Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht, Hans-Böckler-Stiftung

Dr. Jan Tibor Lelley

Dr. Jan Tibor Lelley
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner, Buse Heberer Fromm, Essen, Frankfurt am Main
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· Artikel im Heft ·

Entwurf zur Regulierung von Plattformarbeit
Seite 34 bis 35
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