Der Urlaubsanspruch dient der Erholung der Arbeitnehmer. Für Unternehmen bedeutet er oftmals eine Belastung. Daher verwundert es nicht, dass die Interessen auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite divergieren. Insbesondere der transparente Austausch unter Einbeziehung des Betriebsrats sowie eine sorgfältige Planung führen zu praktikablen Lösungen – für beide Seiten.
Wie sehen Sie die Entwicklung des Urlaubsanspruchs für Arbeitnehmer im deutschen Arbeitsrecht in den letzten Jahren? Teils wird diese als kompliziert und unübersichtlich kritisiert.
Lelley: Kompliziert und unübersichtlich – das ist die reine Untertreibung! Die Entwicklung des Urlaubsanspruchs im deutschen Arbeitsrecht hat in den letzten Jahren eine zunehmende Komplexität erreicht, insbesondere durch zahlreiche Gerichtsurteile des EuGH und des BAG. Diese Entscheidungen haben zu einer detaillierteren Auslegung der bestehenden Regelungen geführt, was für Unternehmen oft zusätzliche administrative und rechtliche Herausforderungen bedeutet.
Franzmann: Zugegeben, in den letzten 25 Jahren musste der EuGH dem BAG öfter den Weg weisen. Die Probleme liegen jedoch eher im Tatsächlichen. Im Synallagma beim Vollzeitler stehen monatlich 135, nicht 173 Stunden. Und: Wie organisiert der mit einer Krankenschwester verheiratete Busfahrer den gemeinsamen Sommerurlaub, wenn die Schulferien der Kinder nicht durch Betreuungseinrichtungen aufgefangen werden?
Welche typischen (rechtlichen) Streitigkeiten sehen Sie in der Praxis häufig zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Bezug auf den Urlaubsanspruch? Wie ließen sie sich vermeiden?
Lelley: Typische Streitigkeiten entstehen häufig bei der Berechnung und dem Zeitpunkt der Urlaubsgewährung. Probleme gibt es auch bei der Übertragung von Resturlaub ins nächste Jahr und bei der Frage, ob und wie Urlaub bei Krankheit verfällt. Um Streitigkeiten zu vermeiden, ist eine klare und transparente Kommunikation im Unternehmen wichtig. Eine frühzeitige Urlaubsplanung und schriftliche Festlegungen können ebenfalls dazu beitragen, Missverständnisse zu vermeiden. Immer öfter sehen wir auch Streit über die Urlaubspraxis in besonderen Arbeitsformen. Da denke ich an die sog. Workation. Das stellt die Praxis schon vor Probleme.
Franzmann: Ungeachtet der oben beschriebenen Problemfelder muss ich feststellen, dass der Beratungsbedarf und letztlich die Zahl der Rechtsstreitigkeiten rund um das Urlaubsrecht übersichtlich sind. Mein Eindruck ist vielmehr, dass Arbeitgeber, Betriebsräte und Arbeitnehmer in der Regel tragfähige Lösungen finden.
Inwiefern kann der gesetzliche Urlaubsanspruch eine betriebliche Belastung für Unternehmen darstellen? Insbesondere Arbeitgeber aus Branchen mit starkem saisonalen Geschäft sind diesbezüglich mit einigen Herausforderungen konfrontiert.
Lelley: Ja, der gesetzliche Urlaubsanspruch kann insbesondere für Unternehmen in saisonabhängigen Branchen eine erhebliche betriebliche Belastung darstellen. In Zeiten hoher Auslastung kann es eine Schwierigkeit darstellen, allen Mitarbeitern gleichzeitig Urlaub zu gewähren, ohne den Betriebsablauf zu beeinträchtigen. Dies erfordert eine sorgfältige Planung und oft auch den Einsatz von befristeten Arbeitskräften oder Zeitarbeitern, um Engpässe zu überbrücken.
Franzmann: Urlaub für alle – zur gleichen Zeit – lässt sich ausschließlich durch einheitliche Betriebsferien realisieren. Betriebsferien sind jedoch die Ausnahme in deutschen Betrieben. Damit stehen Arbeitgeber und Betriebsräte gleichermaßen vor der Hausforderung, betriebliche Anforderungen und Urlaubswünsche der einzelnen Arbeitnehmer in Einklang zu bringen. Betriebsvereinbarungen können hierfür klare Regeln und damit Transparenz und letztlich Akzeptanz schaffen.
Welche Möglichkeiten bestehen Ihrer Meinung nach für Betriebsräte und Unternehmen, den Urlaubsanspruch flexibel zu handhaben mit dem Ziel, betriebliche Abläufe nicht zu beeinträchtigen?
Lelley: Durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Unternehmensführung können flexible Lösungen entwickelt werden. Dies kann z.B. die Einführung von Urlaubssperrzeiten während besonders arbeitsintensiver Phasen oder die Förderung von Urlaub in weniger stark frequentierten Zeiten umfassen. Auch Modelle wie die Möglichkeit, Urlaubstage auf verschiedene Zeiträume zu verteilen, können helfen, den betrieblichen Ablauf zu sichern.
Franzmann: Nach meiner Erfahrung besteht unter Beschäftigten eine große Bereitschaft zur Flexibilität, auch in Urlaubsfragen. Dabei darf der Sinn und Zweck der Urlaubsgewährung – nämlich der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer – nicht außer Acht gelassen werden. Urlaub, der sich nur an den betrieblichen Interessen orientiert und nicht mehr zusammenhängend gewährt wird oder gar verfällt, genügt diesem Anspruch nicht. Gerade vor dem Hintergrund einer älter werdenden Arbeitnehmerschaft ist auf den Urlaub als Instrument des Gesundheitsschutzes ein besonderes Augenmerk zu legen. Eine ausreichende Personaldecke sowie eine mitbestimmte Urlaubsplanung sind nach meiner Einschätzung die wirksamsten Stellschrauben, um Konflikten bei der Urlaubsgewährung vorzubeugen.
Wie können Betriebsräte und Arbeitgeber sicherstellen, dass der Urlaubsanspruch der Belegschaft sowohl den gesetzlichen Anforderungen auf der einen als auch den betrieblichen Bedürfnissen auf der anderen Seite entspricht?
Profitieren Sie vom Expertenwissen renommierter Fachanwält:innen, die Sie über aktuelle Entscheidungen des Arbeitsrechts informieren. Es werden Konsequenzen für die Praxis benannt und Handlungsempfehlungen ausgesprochen.
Lelley: Wie schon gesagt: Eine klare Urlaubsplanung und transparente Kommunikation sind hierbei ganz entscheidend. Regelmäßige Abstimmungen zwischen dem Betriebsrat und der Unternehmensleitung können dazu beitragen, individuelle Bedürfnisse der Beschäftigten und betriebliche Erfordernisse in Einklang zu bringen.
Zudem sollten alle Regelungen zum Urlaubsanspruch ohnehin im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben stehen und regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie aktuellen Anforderungen entsprechen.
Franzmann: Dem kann ich nur zustimmen. Wobei es auch Betriebsräten durchaus nicht immer leichtfällt, Personengruppen bei der Urlaubsgewährung unter Beachtung von §7 Abs. 1 BUrlG den Vorzug einzuräumen. Hier ist in der Tat eine gute Kommunikation und Aufklärung über die aktuelle Gesetzeslage unerlässlich.
Sehen Sie Reformbedarf im aktuellen Urlaubsrecht, um die Balance zwischen den Erholungsbedürfnissen der Arbeitnehmer und den betrieblichen Anforderungen der Arbeitgeber zu verbessern?
Lelley: Das kann man wohl sagen. Es gibt sicherlich Raum für Reformen, die eine bessere Balance schaffen könnten. Bspw. könnte eine flexiblere Handhabung der Übertragbarkeit von Urlaubstagen dabei helfen, bestehende Unsicherheiten zu reduzieren. Eine Modernisierung des Urlaubsrechts könnte dazu beitragen, die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen zu berücksichtigen und rechtliche Streitigkeiten zu minimieren. Ich habe z.B. nie verstanden, warum es verboten ist, Urlaubstage auch im laufenden Arbeitsverhältnis auszuzahlen. Denn genau das wird doch von vielen Beschäftigten ausdrücklich gewünscht.
Franzmann: Ich komme zurück zu meinem Eingangsstatement: Nicht das Urlaubsrecht ist das Problem. Eine vorausschauende Personalplanung und eine nachhaltende Gewährungspraxis lösen viele Themen auf.
Und Widerspruch, Herr Dr. Lelley, Urlaubsnahme ist Ausfluss von Gesundheitsschutz. Und den sollte man nicht abkaufen dürfen.
Dr. Jan Tibor Lelley
Armin Franzmann
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