Gute Führung, schlechte Führung
Liebe Frau Bornmann, wie sollte Führung grundsätzlich aussehen – oder andersherum: Wodurch zeichnet sich schlechte Führung aus?
Es ist jedenfalls klar, dass Führung à la Befehl und Gehorsam, wie es früher üblich war, aus heutiger Sicht kein guter Führungsstil ist, nicht mehr funktioniert und zum Glück auch nicht mehr üblich ist. Das liegt zum einen daran, dass die Herausforderungen sich verändert haben. Die Führungskraft kann (und muss) heute nicht mehr alles wissen. Zum anderen sind die Mitarbeiter auf eine solche Weise nicht mehr zu motivieren und würden sehr wahrscheinlich das jeweilige Unternehmen verlassen.
Eine schlechte Führungskraft würde bspw. ständig micromanagen, also sehr stark in die jeweiligen Bereiche eingreifen und jede einzelne Entscheidung selbst treffen, anstatt die Mitarbeiter, die die Expertise haben, entscheiden zu lassen. Bestandteil guter Führung ist es dagegen, das Potenzial der eigenen Mitarbeiter zu entfalten und sie bei ihrer Entwicklung zu unterstützen sowie sie und ihre Erfolge sichtbar zu machen, um sie wachsen zu sehen.
Auch die Fokussierung auf Schwächen und ständiges Betonen von Entwicklungsbedarfen zeichnet einen schlechten Führungsstil aus. Stattdessen würde sich eine gute Führungskraft auf die individuellen Stärken konzentrieren und den Mitarbeiter und dessen berufliche Weiterentwicklung an diesen Stellen gezielt fördern.
Ein ganzer wichtiger Punkt ist auch Empathie. Eine Führungskraft sollte ihren Mitarbeitern gegenüber empathisch sein, sich in ihre Lage versetzen können und sich neben den Inhalten auch menschlich für sie interessieren. Dabei geht es u.a. um die Fragen, wie es ihnen gerade geht, was vielleicht auch private Themen sind, die für sie herausfordernd sind oder wo es der Unterstützung durch die Führungskraft bedarf.
Das ließe sich fast endlos fortsetzen. Ein Punkt, auf den ich zuletzt noch eingehen möchte, ist Vertrauen. Eine gute Führungskraft vertraut den Mitarbeitern und erkennt, dass sie auch woanders einen guten Job machen würden, eine schlechte dagegen wäre der Meinung, selbst alles am besten zu wissen. Es gibt in diesen Fällen oft wenig Flexibilität. Die ist heute ein ganz entscheidendes Thema und hat eben viel mit Vertrauen zu tun.
Wie sich Potenziale ausschöpfen und Engagement fördern lassen, ist etwas sehr Individuelles. Jeder Mensch hat andere Lebensumstände und damit einhergehend andere Prioritäten. Wie können Führungskräfte – vor allem auch in größeren Teams – diese Unterschiedlichkeiten berücksichtigen, um allen Realitäten gerecht zu werden?
Diese Fragen stellen sich gerade viele. Führung ist der wichtigste Hebel für Leistung und Ergebnis, aber eben auch für Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit. Entscheider in Unternehmen müssen aufpassen, dass sie nicht nur Anforderungen an Führungskräfte stellen und sie überfordern. Ich bin stark dafür, dass wir die Führungskräfte unterstützen und befähigen, mit all diesen Anforderungen zurechtzukommen. Dazu gehört auch, dass wir definieren, was Führungskräfte in Zukunft nicht mehr machen müssen. Wenn wir uns nur darauf konzentrieren, was sie (zusätzlich) machen müssen, führt das dazu, dass immer weniger Menschen überhaupt führen wollen.
Führung muss individueller werden und auf die individuellen Bedürfnisse eingehen, immer mit dem Ziel, dass die Menschen zufriedener, aber die Unternehmen natürlich auch erfolgreicher sind. Denn am Ende geht es um Leistung. Wenn wir also definieren, was nicht mehr zu den Aufgaben von Führungskräften gehört, gibt ihnen das den Raum, sich individuell mit den Menschen zu befassen.
Welche Aufgaben sind das, die nicht mehr auf dem Tisch der Führungskraft liegen sollten?
Dazu gehört zuallererst, dass sie nicht mehr alles wissen müssen. Manche Unternehmen handhaben das so, dass Führungskräfte der Geschäftsleitung alles detailliert reporten müssen – das funktioniert nicht mehr. Es muss möglich sein, einen Fachexperten mit in die Sitzung zu nehmen, der inhaltlich viel näher am Geschehen ist.
Das andere ist wieder das Vertrauen: Wenn wir ganz selbstverständlich annehmen, dass die Mitarbeiter vieles unter sich im Team klären und selbst koordinieren können, sind das Commitment und die Zufriedenheit viel größer. Beim Thema Arbeitszeit bspw. sollte das Unternehmen versuchen, die verschiedenen Lebensrealitäten so gut es geht zu berücksichtigen. Natürlich hat das Unternehmen Ziele und Kundenbedürfnisse, die es erfüllen muss; die müssen an erster Stelle stehen. Innerhalb des dadurch entstehenden Rahmens funktioniert es aber häufig gut, dass die Mitarbeiter sich untereinander abstimmen, da sie die relevanten Themen und ggf. Probleme meistens besser kennen als die Führungskraft. Sollte das nicht funktionieren, muss die Führungskraft eingreifen, damit es zu einer Lösung kommt.
Wird bei der Auswahl von Führungskräften zu wenig auf Fähigkeiten abseits der sog. „Hard Skills“, also der fachlichen Kompetenz geachtet?
Heute ist es noch oft so, dass die beste Fachkraft zur Führungskraft ernannt wird. Ich kann das ein Stück weit verstehen. Früher war das der Normalfall, aber früher musste die Führungskraft auch in der Tiefe fachlich wissen, wo es hingeht. Aus heutiger Sicht ist es jedoch so, dass die Führungskraft einen fachlichen Überblick braucht. Sie muss wissen, wie sich ein Bereich verändert und eine passende Strategie entwickeln können. Meiner Meinung nach muss eine Führungskraft nicht mehr alles in der Tiefe wissen. Es verändert sich mittlerweile alles so schnell, dass das gar nicht mehr funktionieren würde. Das kann eine Person alleine nicht abbilden. Hier müssen wir definieren: Was ist wichtig in der Führung? Wie lassen sich Menschen zu Höchstleistungen motivieren? An dieser Stelle ist entweder das Topmanagement oder die HR-Abteilung, die in der Regel eine Vorselektion vornimmt, in der Verantwortung. Diejenigen, die verantwortlich dafür sind, Personal einzustellen und eben auch Führungskräfte zu bestimmen, müssen sich damit beschäftigen, welche Kompetenzen in Zukunft relevant sind und sollten so mutig sein, die Person, die großes Führungspotenzial und die entsprechenden Kompetenzen mitbringt, derjenigen, die vielleicht inhaltlich die bessere Fachkraft ist, vorzuziehen. Das widerstrebt uns auf den ersten Blick natürlich, weil wir die Menschen in einer fachlichen Funktion nach anderen Kriterien beurteilen als in einer Führungsposition. Ganz oft sehen wir dann, dass die Menschen, die fachlich herausstechen, in eine Führungsposition kommen, dann aber gemessen an diesen anderen Kriterien nicht mehr gut sind. Und davon haben beide Seiten nichts.
Ist Führung für eine gelungene Mitarbeiterbindung wirklich so ausschlaggebend oder ließe sich das nicht auch auf den demografischen Wandel sowie Arbeitskräftemangel schieben?
Ich glaube, es ist ein Konglomerat an Entwicklungen, die gerade zusammenkommen. Zum einen führen der demografische Wandel und der daraus folgende Arbeitskräftemangel (den wir übrigens auf jedem Qualifikationsniveau sehen; es fehlt schlichtweg an Menschen) dazu, dass Arbeitgeber viel mehr in ihre Sichtbarkeit und bspw. Employer Branding, aber auch in die Bindung von Mitarbeitern investieren müssen. Das sind ganz einfache Prinzipien von Angebot und Nachfrage. Wenn Arbeitnehmer so gute Chancen haben, einen anderen Job zu finden, suchen sie sich den Arbeitgeber aus, der ihre Vorstellungen erfüllt und sind eben auch eher bereit zu wechseln, wenn das nicht der Fall sein sollte. Generell sehen wir heute einen anderen Zeitgeist. Arbeitnehmer lassen sich nicht mehr alles gefallen, wie das früher der Fall war, weil sie viel bessere Chancen haben.
Zum anderen sehen wir, dass sich die Arbeit an sich verändert. Immer mehr Menschen studieren, Arbeit wird insgesamt komplexer und herausfordernder. Dafür brauchen wir andere Herangehens- und Arbeitsweisen. Für Führung heißt das: Wir können es uns aufgrund der komplexen Herausforderungen gar nicht mehr erlauben, dass eine Führungskraft inhaltlich sagt, wo es langgeht.
Aufgrund der zahlreichen offenen Stellen haben Arbeitnehmer heute eine ganz andere Ausgangsposition als in der Vergangenheit. Wie unterscheiden sich jüngere Generationen hier von den älteren?
Weil junge Menschen diese neuen Möglichkeiten haben und auch weil sie bei den älteren Generationen die negativen Auswirkungen von Arbeit sehen, ist Arbeit für sie nicht mehr alles. Das ist natürlich eine privilegierte Situation zu entscheiden, dass Arbeit nicht mehr nur dazu dienen soll, den Lebensunterhalt zu finanzieren, sondern auch einen Sinn haben soll. Wäre die Lage auf dem Arbeitsmarkt eine andere, hätten wir diese Entwicklung so nicht.
Wie kann gute Führung nun ganz konkret zur Mitarbeiterbindung beitragen?
Eine veränderte Führung verändert die Bindung. Es gibt eine Gallup-Studie, die jedes Jahr in etwa dieselben erschreckenden Ergebnisse zeigt: Ungefähr 85% sind nicht oder nur wenig emotional an ihr Unternehmen gebunden. Dass sich das negativ auf die Leistungsbereitschaft auswirkt, aber auch, wie sich eine Veränderung in dieser Bindung auf die Arbeitsergebnisse und Unternehmenszahlen auswirken würde, ist mittlerweile bekannt. Die Studie kommt auch zu dem Schluss, dass der größte Hebel, das zu verändern, Führung ist. Wir haben also ganz viele Menschen, die unzufrieden sind mit ihrer Führungskraft und Veränderungen in der Führung eben große Veränderungen hinsichtlich der Mitarbeiterbindung bewirken würden. Jedes Unternehmen beschäftigt sich in irgendeiner Form mit Führung, teilweise gibt es richtig große Projekte, um hier etwas zu verändern, weil die Verantwortlichen erkannt haben, dass Führung das ausschlaggebende Thema ist.
Dazu gehören natürlich zahlreiche Faktoren. Es geht z.B. um die Frage, ob ich als Mitarbeiter das Gefühl habe, dass die Führungskraft wirklich an mir, meinem Potenzial und meiner Entwicklung interessiert ist. Bekomme ich Möglichkeiten, Freiraum und Verantwortung? Lebt die Führungskraft eine sog. Lernkultur? Das heißt: Kann ich mich ausprobieren? Kann ich experimentieren, Fehler machen und dazulernen? Hierbei ist es auch Aufgabe der Führungskraft, Perspektiven aufzuzeigen. Denn gerade für junge Menschen ist es wichtig zu sehen, welche Möglichkeiten für sie in Zukunft bestehen. Dabei geht es gar nicht zwingend um die klassische Karriereentwicklung, sondern vor allem auch um Abwechslung: Hier die Möglichkeit, ein Nebenprojekt zu betreuen, da die Möglichkeit, in einen anderen Bereich zu wechseln usw.
Dann spielen die bereits angesprochenen Faktoren Vertrauen und Flexibilität eine große Rolle. Der Mangel an Flexibilität ist ein ganz wichtiger Grund, aus dem Menschen ein Unternehmen verlassen. Dabei geht es gar nicht darum, dass alle jederzeit aus dem Homeoffice arbeiten können, sondern wenn der passende Mitarbeiter für eine Position gefunden ist, dieser bspw. selbst entscheiden und mit dem Team abstimmen kann, wann er ins Büro kommt und wann er von zu Hause aus arbeitet. Ganz oft sind die Prozesse und Systeme in Unternehmen darauf ausgelegt, dass die Mitarbeiter kontrolliert werden müssen, weil sie angeblich faul sind, weil sie gar nichts machen wollen. Das trifft vielleicht auf 5% der Menschen zu. Warum ändern wir das nicht und richten alles auf die 95% der Menschen, denen wir vertrauen können, die etwas erreichen wollen? Das Mindset muss sich unbedingt verändern.
Ein ganz großes Thema ist auch Wertschätzung. Dafür muss man gar nicht viel tun, das ist nicht teuer. Es bedarf vor allem der Sensibilisierung der Führungskraft. Denn eigentlich ist es selbstverständlich, dass Menschen wertschätzend miteinander umgehen. Die allermeisten Menschen fühlen sich jedoch nicht von ihrer Führungskraft wertgeschätzt. Wertschätzung lässt sich auch durch ein „Hey, das hast du gut gemacht“, „Super Präsentation“ oder „Danke dafür“ ausdrücken. Wenn ich Führungskräfte eine Sache mitgeben könnte, die sie direkt morgen umsetzen können, dann wäre es das Thema Wertschätzung.
Ein wichtiges Thema, das wir noch nicht angesprochen haben, ist psychologische Sicherheit? Welche Rolle spielt diese beim Thema Führung?
Psychologische Sicherheit zu geben, ist in ganz vielen Bereichen die Voraussetzung für gute Führung. Das ist natürlich ein riesiges Konstrukt, aber im Kern geht es darum, dem Mitarbeiter wirklich das Gefühl zu geben, offen alles ansprechen zu können. Dazu gehört auch vermeintlich Negatives wie Fehler und Sorgen. Wenn sie diese Sicherheit nämlich nicht haben, wirkt sich das sowohl auf die Menschen als auch auf das Unternehmen tatsächlich negativ aus, weil Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen nicht angesprochen werden. Wenn Mitarbeiter aber das Gefühl haben, alles ansprechen zu können, dann kann noch rechtzeitig gegengesteuert werden.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wirklich gute Führungskräfte keine hohe Fluktuation haben und ihre Mitarbeiter motiviert sind und überdurchschnittliche Ergebnisse liefern.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anne Politz.
Laura Bornmann
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