Ist das ArbZG noch zeitgemäß?

Streitschrift zu den aktuellen Gestaltungsspielräumen
Seit einigen Jahren steht das am 1.7.1994 in Kraft getretene ArbZG unter besonderem Beschuss. Gefordert wird insbesondere, dass die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden zugunsten einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit entfällt, zeitweise kürzere Ruhezeiten ermöglicht werden sowie Sonn- und Feiertagsarbeit leichter zu genehmigen ist. Damit wird an den Grundfesten des heutigen gesetzlichen Arbeitszeitschutzes gerüttelt – aus meiner Sicht ohne Notwendigkeit: Die derzeit geltenden Regelungen sind sachgerecht und ausreichend flexibel, sodass diesbezüglich kein Änderungsbedarf besteht.
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 Bild: Trifonenko Ivan/stock.adobe.com
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Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit

Zunächst soll an dieser Stelle der Wortlaut des § 3 ArbZG zum besseren Verständnis noch einmal in Erinnerung gerufen werden:

„Die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer darf acht Stunden nicht überschreiten. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.“

1. Der gesetzliche 8-Stunden-Tag in der betrieblichen Praxis

Werktage sind die Kalendertage Montag bis Samstag, falls hierauf kein gesetzlicher Feiertag fällt. Daher dürfen die Arbeitnehmer in der heute bei Vollzeitbeschäftigung weitgehend üblichen 5-Tage-Woche nach dem ArbZG praktisch an jedem Arbeitstag zehn Stunden arbeiten.

Die 5-Tage-Woche und zehn Stunden Tagesarbeitszeit führen zwar zu 50 Wochenstunden und damit zu mehr als den maximal zulässigen durchschnittlich [6 Tage× 8 Stunden =] 48 Wochenstunden. Da aber, nach Auslegung der für die Durchführung des ArbZG zuständigen Länderbehörden, Urlaubs- und Krankheitstage auch bei einer 5-Tage-Woche lediglich mit acht Stunden anzusetzen sind, darf bei angenommenen sechs Wochen Urlaub und drei Wochen Krankheit pro Jahr (was in etwa den aktuellen Durchschnitten entspricht) in den verbleibenden durchschnittlich 43,18 Wochen pro Jahr sogar durchschnittlich [(52,18 Wochen × 48 Stunden – 9 Wochen × 40 Stunden) : 43,18 Wochen =] 49,67 Stunden gearbeitet werden bzw. bei durchschnittlicher 5-Tage-Woche durchschnittlich 9,93 Stunden pro Tag – gerade einmal vier Minuten weniger als zehn Stunden.

Bei (durchschnittlicher) 5-Tage-Woche spielt daher der in der öffentlichen Diskussion häufig als überholt dargestellte gesetzliche 8-Stunden-Tag überhaupt keine Rolle – und auch sonst kann ohne weitere Hürden (also insbesondere nicht nur, wie oft zu lesen ist, „ausnahmsweise“) bis zu zehn Stunden pro Arbeitstag gearbeitet werden, solange nur die gesetzliche Wochen-Höchstarbeitszeit von 48 Stunden im Durchschnitt eingehalten wird. In der betrieblichen Praxis ist daher zur Einhaltung der Vorgaben von § 3 ArbZG i. d. R. nur auf die Einhaltung der gesetzlichen Tages-Höchstarbeitszeit von zehn Stunden zu achten.

2. Die arbeitsgebundene Zeit pro Tag

Das ArbZG erlaubt schon heute deutlich über zehn Stunden hinausgehende arbeitsgebundene Zeiten. Zum einen kommt bei Tagesarbeitszeiten von mehr als neun Stunden eine Pausenzeit von insgesamt mindestens 45 Minuten hinzu (siehe § 4 ArbZG). Gesetzlich ist diese Pausenzeit unbezahlt, wobei (tarif-)vertraglich oder betrieblich die (vollständige oder teilweise) Bezahlung von Pausenzeit vereinbart werden kann, ohne dass sie dadurch ihren Pausenstatus verlieren würde. Darüber hinaus können aber auch deutlich längere Pausenzeiten festgelegt werden, was für die Arbeitnehmer insbesondere bei deren (teilweiser) Bezahlung akzeptabel sein kann; in diesem Fall wird also mehr Arbeitszeit vergütet, als tatsächlich geleistet wird. Dies ermöglicht z. B. im 24/7-Betrieb 12-Stunden-Schichten mit zehn Stunden Arbeitszeit und 120 Minuten Pausenzeit.

Insbesondere bei von den Arbeitnehmern selbst gesteuerter Arbeitszeit – also etwa bei Gleitzeit mit oder ohne Kernzeit und bei Vertrauensarbeitszeit, bei der abweichend hiervon auf die Führung von Arbeitszeitkonten verzichtet wird – wird heute betrieblich vielfach die Möglichkeit geboten, die Arbeitszeit auch über die oben angeführten gesetzlichen Mindestpausenzeiten hinaus zu unterbrechen, um privaten Angelegenheiten nachzugehen. Dies setzt zum einen die genaue Erfassung der Arbeitszeit (anstelle der Anwesenheitszeit) voraus, was i. d. R. den Abschied von der herkömmlichen elektronischen Zeiterfassung an Buchungsterminals und deren Ersetzung durch eine Arbeitszeiterfassung durch die Arbeitnehmer selbst – z. B. via Smartphone-App– mit sich bringt, wie sie im Übrigen auch bei mobilem Arbeiten alternativlos ist. Überlange Tagesarbeitszeiten sind nach meiner Beratererfahrung vielfach einfach nur Resultat unzureichender Arbeitszeiterfassung.

Das ArbZG erlaubt somit an Arbeitstagen deutlich über die gesetzliche Tages-Höchstarbeitszeit von zehn Stunden hinausgehende arbeitsgebundene Zeiten – bis zur Grenze der täglichen Mindestruhezeit und sogar darüber hinaus, weil Wegezeiten zum und vom Arbeitsplatz sowie sonstige persönliche Rüstzeiten unabhängig von der hierdurch bewirkten Belastung der Arbeitnehmer arbeitszeitrechtlich in die gesetzliche Ruhezeit fallen.

3. Das ArbZG ermöglicht Überschreitungen der 10-Stunden-Grenze

Das ArbZG enthält eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Überschreitung der 10-Stunden-Grenze, die zeigen, dass die Letztere hierin zwar die Regel ist, Ausnahmen aber möglich sein sollen; davon kann nachfolgend nur ein Teil behandelt werden.

Insbesondere kann nach § 14 ArbZG nicht nur in den klassischen Not- und Ausnahmefällen (z. B. Reparatur von Leitungsfrostschäden durch Stadtwerkemitarbeiter) über zehn Stunden hinaus gearbeitet werden, sondern auch dann, „wenn eine verhältnismäßig geringe Zahl von Arbeitnehmern vorübergehend mit Arbeiten beschäftigt wird, deren Nichterledigung das Ergebnis der Arbeiten gefährden oder einen unverhältnismäßigen Schaden zur Folge haben würden, […] wenn dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden können“. Ob es sich ggf. tatsächlich um einen solchen Fall handelt, muss der Arbeitgeber dann allerdings bei Bedarf gegenüber der Aufsichtsbehörde nachweisen – wozu sich eine entsprechende detaillierte Dokumentation empfiehlt.

Darüber hinaus sind nach dem ArbZG aber auch regelmäßige 10-Stunden-Überschreitungen zulässig – auf Grundlage entweder einer tarifvertraglichen Regelung oder einer Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Insbesondere können via Tarifvertrag im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb an Sonn- und Feiertagen Tagesarbeitszeitdauern bis zu zwölf Stunden ermöglicht werden, „wenn dadurch zusätzliche freie Schichten an Sonn- und Feiertagen erreicht werden“ (siehe § 12 ArbZG). Des Weiteren können Verlängerungen (gem. EuGH-Rechtsprechung bis zu 24 Stunden) auf Grundlage von § 7 Abs. 1 Nr. 1a ArbZG tarifvertraglich dann ermöglicht werden, „wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt“. Und von tarifvertraglichen Regelungen können stets auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber profitieren – siehe § 7 Abs. 3 und 5 ArbZG.

Die Aufsichtsbehörde kann z. B. gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG für kontinuierliche Schichtbetriebe (teilkontinuierlich, also am Wochenende unterbrochen, genügt) „zur Erreichung zusätzlicher Freischichten“ über zehn Stunden hinausgehende Tagesarbeitszeiten bewilligen, wobei sie sich i. d. R. an einem veröffentlichten Kriterienkatalog (vgl. Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik [LASI], Arbeitszeitgestaltung in Krankenhäusern. LV 30, 1., überarb. Aufl.2012, S. 92 f.) orientieren wird. Außerdem kann sie gem. § 15 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG saison- und kampagnebetrieben Tagesarbeitszeiten über zehn Stunden „für die Zeit der Saison oder Kampagne“ bewilligen. Nach einer Übereinkunft der für die Durchführung des ArbZG zuständigen Länderbehörden aus dem Jahr 2015 gilt dies auch für die Betriebe des Schaustellergewerbes sowie „im Einzelfall“ für Betriebe der Landwirtschaft und der Hotel- und Gaststättenbranche, wobei bei Saisonarbeitskräften der Ausgleich auf die gesetzliche Wochen-Höchstarbeitszeit auch durch den Nachweis von beschäftigungslosen Zeiten oder Zeiten mit geringerer Beschäftigung erfüllt werden kann.

4. Zwischenergebnis

Der 8-Stunden-Tag ist als arbeitszeitgesetzlicher Grenzwert in der Praxis irrelevant, sodass hier grundsätzlich nur auf die Einhaltung der gesetzlichen Tages-Höchstarbeitszeit von zehn Stunden zu achten ist. Dabei darf das Volumen der arbeitsgebundenen Zeit infolge der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestpausen sowie weiterer Arbeitsunterbrechungen deutlich über diesen Wert hinausgehen – bis hin zur Grenze der einzuhaltenden täglichen Mindestruhezeit und insoweit auch darüber hinaus, als die Wegezeiten zum und vom Arbeitsplatz und sonstige persönliche Rüstzeiten in die Ruhezeit fallen. Des Weiteren darf in Ausnahmefällen in betrieblicher Eigenverantwortung auch einmal mehr als zehn Stunden gearbeitet werden und ist dies regelmäßig vor dem Hintergrund tarifvertraglicher Öffnungen (insbesondere für Sonn- und Feiertage – bis zwölf Stunden – sowie bei erheblichen Anteilen von Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst – bis 24 Stunden einschließlich Pausen) sowie aufsichtsbehördlicher Genehmigungen möglich.

Insgesamt zeigt sich damit, dass die 10-Stunden-Grenze zwar der Regelfall ist, von dem aber in vielen Fällen abgewichen werden kann, was zu einer aus meiner Sicht angemessenen Balance von Flexibilität und Gesundheitsschutz führt. Mit dem Entfallen dieser Grenze würden sich im Übrigen auch die Arbeitgeber keinen Gefallen tun, weil bei überlangen Arbeitszeiten Produktivität und Qualität der Arbeit leiden und die Belastung ihrer Mitarbeiter überproportional zunimmt.

Wöchentliche Höchstarbeitszeit: der Status quo genügt

Gemäß § 3 ArbZG beträgt die gesetzliche Wochen-Höchstarbeitszeit 48 Stunden im (nach der EuGH-Rechtsprechung gleitenden) Durchschnitt von grundsätzlich sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen; bei Schicht- und Nachtarbeitnehmern ist dieser Ausgleichszeitraum wegen deren höherer Schutzbedürftigkeit auf einen Kalendermonat oder vier Wochen verkürzt (vgl. § 6 Abs. 3 ArbZG). Bei Vorliegen von Arbeitsbereitschaft und/oder Bereitschaftsdienst kann die 48-Stunden-Grenze aufgrund einer tarifvertraglichen Regelung mit Zustimmung des einzelnen Beschäftigten sogar ohne Ausgleich überschritten werden – sog. „Opt-out“ (siehe im Einzelnen § 7 Abs. 2a ff. ArbZG). Dies soll an dieser Stelle jedoch nicht weiter vertieft werden.

Damit liegt die gesetzliche Wochen-Höchstarbeitszeit deutlich über den derzeit üblichen (tarif-)vertraglichen Arbeitszeiten, sodass ohne Verstoß gegen das ArbZG i. d. R. viele hundert nicht durch Freizeit ausgeglichene (also vergütete oder nicht vergütete) Überstunden pro Jahr geleistet werden dürfen – und zwar auch bei Schicht- und Nachtarbeit: Hier müssen sie lediglich gleichmäßiger verteilt sein als bei Tagdienstlern.

Beträgt die (tarif-)vertragliche Arbeitszeit bspw. – wie in der westdeutschen chemischen Industrie – 37,5 Wochenstunden und nehmen wir weiterhin sechs Wochen Urlaub und drei Wochen Krankheit pro Jahr an, die arbeitszeitrechtlich jeweils mit 5 × 8 = 40 Stunden angesetzt werden, können über diese Vertragsarbeitszeit hinaus ganz legal bis zu [(52,18 – 9) Wochen × (48 – 37,5) Stunden + 9 Wochen × (48 – 40) Stunden =] ca. 525 Stunden bezahlte und/oder unbezahlte Mehrarbeit pro Jahr geleistet werden.

Im einzelnen 7-Tage-Zeitraum sind ohne Verstoß gegen das ArbZG an Werktagen bis zu insgesamt [6 × 10 Stunden =] 60 Stunden Arbeitszeit zulässig – bei Vorliegen von aufgrund von Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst verlängerten Tagesarbeitszeiten auch entsprechend mehr – sodass die Arbeitszeitkapazität eines Vollzeitbeschäftigten mit 40-Stunden-Vertrag vorübergehend um bis zu 50 % überzogen werden darf, diejenige eines Teilzeitbeschäftigten mit 20-Stunden-Vertrag um bis zu 200 % etc. Dies zeigt in besonderem Maße die enorme Flexibilität des derzeitigen arbeitszeitgesetzlichen Rahmens.

Darf zusätzlich auch am Sonntag gearbeitet werden (hierfür kann eine aufsichtsbehördliche Genehmigung erforderlich sein), ist gem. § 11 Abs. 3 ArbZG für jeden Arbeitssonntag ein Ersatzruhetag innerhalb eines den Beschäftigungstag einschließenden Zeitraums von zwei Wochen zu gewähren, der auch vor diesem Tag liegen darf. Damit ermöglicht das ArbZG entsprechend viele Arbeitstage in Folge.

Im Ergebnis ist die Wochen-Höchstarbeitszeit im ArbZG so flexibel ausgelegt, dass sie einer auch dem Gesundheitsschutz verpflichteten betrieblichen Praxis keinerlei Probleme bereitet.

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Tägliche Ruhezeit: von besonderer Bedeutung

§ 5 ArbZG regelt: „Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.“

In einer ganzen Reihe von Branchen (z. B. in Krankenhäusern, Gaststätten und Verkehrsbetrieben) reichen sogar mindestens zehn Stunden, „wenn jede Verkürzung der Ruhezeit innerhalb eines Kalendermonats oder innerhalb von vier Wochen durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit auf mindestens zwölf Stunden ausgeglichen wird“ (siehe hierzu im Einzelnen § 5 Abs. 2 ArbZG), was jedenfalls bei den heute üblichen (tarif-)vertraglichen Arbeitszeitdauern unproblematisch möglich ist. Im Folgenden gehe ich aber stets von elf Stunden Tages-Mindestruhezeit aus.

Viele Arbeitnehmer wünschen sich nun offenbar – auch nach den von ihnen in der Corona-Pandemie gemachten Homeoffice-Erfahrungen – eine Durchmischung von Arbeitszeit und Freizeit dergestalt, dass sie mit ihrer Tagesarbeit früher aufhören und dafür abends – nachdem sie z. B. ihre Kinder ins Bett gebracht haben – noch zu Hause weiterarbeiten. Innerhalb eines 13-Stunden-Rahmens (also z. B. zwischen 8:00 und 21:00 Uhr) ist dies schon heute zulässig.

Darüber hinaus kann die gesetzliche Mindestruhezeit vor dem Hintergrund einer entsprechenden Tarifregelung auf minimal neun Stunden verkürzt werden, „wenn die Art der Arbeit dies erfordert und die Kürzung der Ruhezeit innerhalb eines festzulegenden Ausgleichszeitraums ausgeglichen wird“ (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG).Bei Rufbereitschaft kann die Ruhezeit per Tarifvertrag sogar ohne konkrete gesetzliche Vorgabe noch weiter verkürzt werden (siehe § 7 Abs. 2 Nr. 1 ArbZG), wobei das BAG mit Urteil vom 24.2.1982 (4 AZR 223/80) die Untergrenze bei sechs Stunden gezogen hat. Dies soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden.

Die Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG ist in den letzten Jahren z. B. in der Metall- und in der chemischen Industrie für den Fall des mobilen Arbeitens genutzt worden, um hier Ruhezeiten von im Einzelfall nur mindestens neun Stunden zu ermöglichen. Nichtsdestotrotz begegnen gegenüber dem gesetzlichen Standard elf Stunden verkürzte tägliche Ruhezeiten bei arbeitsmedizinisch sinnvollen Schlafdauern in der Größenordnung von 7–8 Stunden zzgl. Nebenzeiten generell gesundheitlichen und Sicherheits-Bedenken. Es kann aber mit dem Gesetzgeber sicherlich davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien von der Option Verkürzung der Mindestruhezeit verantwortungsvoll Gebrauch machen werden.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass das ArbZG – auch mit seiner Öffnung für tarifvertragliche Regelungen zur Verkürzung der gesetzlichen Ruhezeit auf im Einzelfall minimal neun Stunden – auch weitgehenden betrieblichen und arbeitnehmerseitigen Flexibilitätsanforderungen genügt, ohne dass dabei der Gesundheitsschutz zu stark beeinträchtigt werden würde. Und den Not- und Ausnahmefall nach § 14 ArbZG, der auch verkürzte Ruhezeiten rechtfertigen kann, kann es ja außerdem noch geben.

Sonn- und Feiertagsarbeit: aus gutem Grund begrenzt

Nach dem ArbZG darf an Sonn- und Feiertagen nicht gearbeitet werden, soweit nicht einer der vielen Ausnahmetatbestände greift – siehe insb. § 10 ArbZG sowie zu weiteren Ausnahmen mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde § 13 ArbZG. Dies hat verfassungsrechtliche Gründe, setzt aber zugleich Art. 5 der EU-Arbeitszeitrichtlinie um, wonach den Arbeitnehmern pro 7-Tage-Zeitraum eine „kontinuierliche“ Ruhezeit von 24 Stunden zu gewähren ist, und zwar grundsätzlich i. V. m. der elfstündigen täglichen Mindestruhezeit.

Dieser 24-Stunden-Zeitraum ist damit in Deutschland grundsätzlich der Sonntag – was speziell bei von den Arbeitnehmern selbst gesteuerter Arbeitszeit insoweit vorteilhaft erscheint, als für die betreffenden Arbeitnehmer unter heutigen Umständen individuelle 24- bzw. 35-Stunden-Ruhezeiten jedenfalls an den üblichen Arbeitstagen Montag bis Freitag völlig unrealistisch wären. Daher besteht meines Erachtens kein Anlass, den derzeitigen arbeitszeitrechtlichen Status von Sonn- und Feiertagsarbeit zu ändern.

Fazit

Bei genauer Betrachtung bietet das ArbZG den Betrieben wie Arbeitnehmern ausreichend große Gestaltungsspielräume – auch für die digitale Wirtschaft:

  • Der 8-Stunden-Tag ist eine reine Rechengröße ohne praktische Bedeutung.
  • Die 10-Stunden-Grenze für die tägliche Arbeitszeit ist aus Gründen des Gesundheitsschutzes, aber auch zur Gewährleistung hoher Arbeitsproduktivität sinnvoll und darüber hinaus im Einzelfall ausreichend flexibel.
  • Die gesetzliche Wochen-Höchstarbeitszeit von durchschnittlich 48 Stunden ermöglicht vor dem Hintergrund der heute üblichen Vertragsarbeitszeitdauern zum einen eine enorme Schwankungsbreite der geleisteten Arbeitszeit und zum anderen bei Bedarf erhebliche Überstundenvolumina.
  • Die gesetzliche Mindestruhezeit von grundsätzlich elf Stunden Dauer schützt die Arbeitnehmer vor Rund-um-die-Uhr-Beanspruchung und ist zugleich – auch unter Berücksichtigung der tarifvertraglichen Kürzungsoptionen – gut mit „Work-Life-Blending“-Wünschen von Arbeitnehmern vereinbar.
  • Der gesetzliche Schutz der Sonn- und Feiertage ist angemessen und ausreichend flexibel.

Diesbezügliche Änderungen des ArbZG sind daher aus meiner Sicht – gerade auch unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes – nicht angezeigt. Die Betriebe können mit dem ArbZG gut leben, die Arbeitnehmer gut leben. Beides muss allerdings durch entsprechende betriebliche Regeln sichergestellt werden.

Dr. Andreas Hoff

Dr. Andreas Hoff
Inhaber, Dr. Hoff Arbeitszeitsysteme, Potsdam
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