„Kommunikation ist das Zauberwort“

Best Practice aus der Berliner Verwaltung
Der Berliner Bezirk Neukölln mit seinen knapp 329.000 Einwohnern aus mehr als 180 Nationen hat nicht nur durch den ehemaligen Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), der gern unkonventionelle Wege bestreitet und dessen Maßnahmen auch in anderen Städten Nachahmer fanden, Berühmtheit erlangt. Auch das hiesige Bezirksamt hat sich mit seiner Personalarbeit für die gut 2.000 Mitarbeiter – unter ihnen befinden sich etwa 300 Führungskräfte – hervorgetan und dient mit seinem Konzept insbesondere zum Talentmanagement als bundesweites Vorbild. Wie begegnet man als Behörde dem demografischen Wandel und Fachkräftemangel und schafft gleichzeitig den Sprung in die neue Arbeitswelt? Steuerungsdienstleiterin Ellen Cavdarci hat uns ausführlich erläutert, was so besonders am neuen Neuköllner Personalmanagement ist, dass es nicht nur innerhalb der Berliner Verwaltung als Vorbild dient.
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 Bild: gallofilm/stock.adobe.com
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Frau Cavdarci, wie bereiten Sie Ihr Führungspersonal auf die kommenden Aufgaben vor?

Unsere Führungskräfte lernen in Seminaren gerade ganz gezielt die Führung 4.0 kennen. Wir wollen sie sozusagen zum beidhändigen Führen entwickeln. Sie sollen in der Lage sein, sowohl hierarchisch als auch netzwerkorientiert zu arbeiten. Das Thema Ambidextrie steht so im Mittelpunkt. (Anm. d. Red.: Der Begriff Organisationale Ambidextrie beschreibt die Fähigkeit von Organisationen, gleichzeitig effizient und flexibel zu sein. Im Wortursprung ist Beidhändigkeit gemeint. Im Rahmen der organisationalen Ambidextrie soll die Wichtigkeit der Integration von Exploitation [Ausnutzung von Bestehendem] und Exploration [Erkundung von Neuem] verdeutlicht werden.) Das ist natürlich besonders in einer Behörde ein ganz spannendes Thema.

Gibt es ein Gesamtkonzept, auf das Sie sich stützen?

Wir haben die umfassenden Maßnahmen in unseren bezirklichen Leitlinien Personalmanagement beschrieben und verschiedene Projekte gestartet. Aus meiner Sicht sind die dort aufgeführten Punkte Selbstverständlichkeiten, für eine Behörde ist das aber wegweisend. Wir befinden uns vor allem in einem gedanklichen Wandel und haben als eine der wenigen Verwaltungen Leitlinien formuliert, vielleicht stechen wir deshalb etwas heraus. Die Leitlinien berücksichtigen die einzelnen Lebensphasen und beschreiben ganz konkret, was vom Mitarbeiter im Einzelnen erwartet wird, aber eben auch, was wir ihm bieten können.

Folgende Projekte haben wir angestoßen: Ausbau der Nachwuchskräfteförderung (u. a. Einrichtung dualer Studiengänge), Neukonzipierung des Gesundheitsmanagements, Förderung interner (!) und externer Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, Aufbau eines eigenen Fortbildungszentrums insb. zum Onboarding und Quereinstieg, Beschleunigung des Recruitings, Digitalisierung sämtlicher Prozesse, Modernisierung von Arbeitsplätzen und -mitteln, bspw. Errichtung eines agilen Arbeitsraums (sog. Innovations-Lab), Leadership-Programm für die Führungskräfteentwicklung 4.0,agile Arbeitsstrukturen, Flexibilisierung der Arbeitszeit (mobiles und alternierendes Arbeiten), Konzeption dualer Studiengänge und Zusammenarbeit mit Fachhochschulen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sowiegezielte Nachwuchskräfteförderung.

Warum wurden die bezirklichen Leitlinien entwickelt?

Ein Antrieb war u. a. der Fachkräftemangel, unter dem wir tatsächlich mehr leiden als private Unternehmen. Es gibt bei uns traditionell viel weniger Bewerber. Der Fachkräftemangel ist komplett bei uns angekommen. Gleichzeitig steigt der Bedarf enorm, denn die Stadt wächst und verlangt nach mehr Bürgerservice, zudem wachsen die Aufgaben seitens der Verwaltung. Letztlich macht uns der demografische Wandel zu schaffen. Sehr viel Personal verlässt uns altersbedingt. Es handelt sich um nichts weniger als eine existenzielle Frage, ob und wie wir Nachwuchs finden. Wir bieten zwar sehr gute und vor allem sichere Jobs, zahlen aber im Verhältnis schlechter als bspw. im Großkonzern. Auch im bundesweiten Vergleich mit anderen Verwaltungen haben wir in Berlin fiskalisch Nachteile. Dafür bieten wir viele andere Vorteile. Heute muss man sich mehr um Bewerber bemühen und als Arbeitgeber attraktiver aufstellen. Wir können es uns nicht mehr leisten, nichts zu tun und zuzuschauen, wer sich bewirbt. Bis vor etwa sechs Jahren wurde noch Personal abgebaut. Nun erleben wir das Gegenteil – eine Trendumkehr. Entsprechend steht uns vom Senat wesentlich mehr Geld für Stellen und die Gewinnung von Angestellten zur Verfügung. Die Leitlinien haben wir in der strategischen Personalentwicklung ausgearbeitet. Dort werden sie jährlich angepasst und neue Schwerpunkte für die kommenden Jahre gebildet. Ganz aktuell haben wir uns Arbeit 4.0 auf die Fahnen geschrieben.

Wie wirkt sich diese Personalarbeit aus?

Bei uns geht es mittlerweile nicht mehr um die Frage, wie wir das Personal gewinnen, sondern wie wir es halten. So kam es durch unsere erfolgreiche Recruitingarbeit zu einer Schwerpunktverschiebung hin zur Mitarbeiterbindung und Entwicklung des Personals. Denn wir sind bereits gut aufgestellt bei der Personalgewinnung und haben hier sichtbaren Erfolg. Wir sind schnell und das Bewerbungsverfahren läuft digital. Ein Stellenbesetzungsverfahren dauert bei uns drei Monate – was ich zwar immer noch als zu langsam empfinde, sich aber eben deutlich von vielen anderen Behörden abhebt, wo es gut und gerne zwölf Monate dauern kann.

Was hat es mit dem Leadership-Programm auf sich?

Angefangen haben wir in verschiedenen Organisationseinheiten in den oberen Führungsebenen. Dort wurdenLeitlinien für die Führung 4.0 erarbeitet. Jetzt sollen die Ideen auf allen Hierarchieebenen verbreitet werden. Wir schulen dort vor allem die Themen transformationale Führung. In welchem Spannungsfeld befindet sich die Führungskraft in der Zeit von VUCA? Wie führt man auf Abstand bei mobil arbeitenden Kollegen? Wie führe ich innerhalb der Hierarchie, aber eben auch im Netzwerk? Wie arbeite ich agil? Wie schütze ich mich vor Entgrenzung und wie gehe ich mit Belastungen um? Wie gehe ich mit der E-Mail-Flut um und wie beachte ich Arbeitsschutz? Wie kann ich für meine Mitarbeiter Vorbild sein? Das sind die neuen Klassiker, die die Führungskräfte derzeit beschäftigen bzw. deren Antworten sie beherrschen müssen. Wichtig sindin diesem Zusammenhang natürlich auch immer wieder Feedbackschleifen, Kommunikation, Evaluation und das permanente Nachhalten der Themen unsererseits.

Gibt es auch räumliche Veränderungen?

Wir modernisieren sukzessive die Arbeitsräume, eröffnen in Kürze unser Innovations-Lab zum agilen Arbeiten und planen für die Zukunft neben den bestehenden Arbeitsplätzen weitere Co-Working-Plätze für ein offenes Arbeiten. Das werden wir modellhaft ausprobieren. Das heißt natürlich nicht, dass wir auf Einzelbüros verzichten können. Es macht in vielen Bereichen einfach keinen Sinn, offen zu arbeiten. Gleichzeitig wollen wir aber den Mitarbeitern verschiedene Varianten offerieren, Jobsharing ermöglichen und auch in Zeiten von Raumknappheit die Flexibilität bei der Büroplanung erweitern. So schaffen wir zusätzlich agile Räume und können bei Arbeitsplatznot schnell gegensteuern. Führungskräfte arbeiten übrigens auch mobil bei uns.

Wie steht es um die Arbeitszeit?

Wir haben Interviews mit größeren Unternehmen geführt,um verschiedene Herangehensweisen kennenzulernen. Völlig freistellen können wir das Ganze natürlich nicht, zu starr wollen wir es aber auch nicht handhaben. Wir gehen einen Mittelweg, ausgehend vom ArbZG und der Dienstvereinbarung flexibles Arbeiten. In diesem Rahmen bewegen wir uns. Grundsätzlich ist das Arbeitenzwischen 6:30 und 19:30 Uhr möglich. Das Anschreiben der Mitarbeiter vor 6:00 Uhr, nach 19:30 Uhr oder am Wochenende ist tabu. Führungskräfte sollen hier als Vorbild agieren, tun es aber nicht immer! Da müssen wir umdenken. Wir haben zudem ein Frühwarnsystem bei Überstunden. Ab einer bestimmten Zahl kommt ein Abbauprogramm zum Zuge. Und hier haben wir das Problem: Die Arbeitsdichte ist sehr hoch und viele Mitarbeiter wollen gern mehr arbeiten – dürfen es aber nicht. Wichtig ist, die Balance zu halten und Ausgleich zu schaffen. Beim alternierenden und mobilen Arbeiten müssen die Ergebnisse stimmen und die Erreichbarkeit im Team gewährleistet sein. Dass kein Ansprechpartner zur Verfügung steht, kann auch nicht sein. Das ist immer wieder ein Spagat!

Wie gehen Sie mit Widerstand um?

Sie müssen viel Überzeugungsarbeit leisten, partizipative Arbeitsgruppen bilden, viele Modell- und Pilotprojekte initiieren. Kommunikation ist das Zauberwort.Sie bekommen neue Lösungen nur in die Köpfe, wenn Siedie Leute mitnehmen. Das ist ein Entwicklungsprozess.

Ist das eine Frage des Alters?

Es ist ein Generationsprozess. Unterschiedliche Generationen prallen mit unterschiedlichen Vorstellungen und Werten aufeinander.

Was tun Sie für die Employer Brand?

Die größte Herausforderung für uns ist, dass das Employer Branding authentisch und erlebbar wird. Vor etwa drei Jahren haben wir folgende Erfahrung gemacht: Es gab sehr viel Marketing, was dazu führte, dass wir enormen Zulauf erlebt haben. Dann kam es aber zum Kulturschock in den damals noch durchweg alten Büroräumen. Das hat sich glücklicherweise schon verändert. Aber wir dürfen nur das nach außen kommunizieren, was Mitarbeiter hier auch tatsächlich erleben. Sonst werden wir unglaubwürdig und die neuen Kollegen verschwinden so schnell wie sie gekommen sind. Deshalb konzentrieren wir uns jetzt darauf, den Mitarbeitern hier und jetzt etwas zu bieten.

Wie bindet man denn Mitarbeiter langfristig?

Das ist leicht zusammenzufassen, aber aufgrund der genannten Probleme nicht immer leicht umzusetzen: Bieten Sie verständnisvolle und gute Führung, mobiles und alternierendes Arbeiten, ein schönes Büro mit moderner Technik, in dem man sich wohlfühlt, und geregelte Arbeitszeiten, die Flexibilität zulassen, nette Kollegen (Cultural Fit) sowie eine halbwegs klare Karriereperspektive für die Zukunft.

Frau Cavdarci, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Andreas Krabel.

Ellen Cavdarci

Ellen Cavdarci
Leiterin des Steuerungsdienstes, Bezirksamt Neukölln, Berlin
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· Artikel im Heft ·

„Kommunikation ist das Zauberwort“
Seite 160 bis 161
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