Krankheitsbedingte Kündigung und BEM-Verfahren

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 Bild: pixabay.com
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Immer wieder scheitern krankheitsbedingte Kündigen daran, dass der Arbeitgeber zuvor kein sog. BEM-Verfahren (vgl. hierzu ausführlich u. a. in dieser Ausgabe Stück/Schmidt, S. 20 ff., sowie Wetzling/Habel, S. 26 ff.) angeboten hat, um zu eruieren, wie die Fehlzeiten in der Zukunft zu reduzieren sind und welche Einsatzmöglichkeiten bestehen.

Ein kaufmännischer Angestellter war mit seiner Kündigungsschutzklage vor dem LAG Rheinland-Pfalz erfolgreich (Urt. v. 13.4.2021 – 8 Sa 240/20, rk.). Er fehlte im Jahr 2016 an 20 Tagen, in 2017 an 52 Tagen, in 2018 an 191 Tagen und war ab dem 3.7.2018 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Im Mai und im August 2019 führten die Parteien Fehlzeitengespräche. Dabei teilte der Kläger mit, dass er sich einer Knie-OP unterziehen müsse, für die ein Termin noch nicht feststehe. Im August teilte er dann den bekannt gegebenen OP-Termin mit und die Parteien erwogen eine Eingliederung nach der Behandlung. Am 19.9.2019 sprach der Arbeitgeber eine krankheitsbedingte Kündigung aus. Entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung prüfte das Gericht diese in drei Stufen:

  1. zunächst die negative Prognose hinsichtlich des Gesundheitszustands, sodann
  2. die erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und
  3. als dritte Stufe die Abwägung der gegenseitigen Interessen.

Bereits die erste Stufe sah das Gericht als nicht gegeben an. Bei einer lang anhaltenden Erkrankung kann diese nur dann einer Dauererkrankung gleichgestellt werden, wenn der Arbeitnehmer etwa 1,5 Jahre arbeitsunfähig und ein Ende der Erkrankung nicht abzusehen ist. Diese Zeitspanne war im Vorfeld der Kündigung noch nicht abgelaufen, da der Kläger durchgehend nur 14 Monate fehlte. Es gibt zwar keine „festen Abwartezeiten“. Das Gericht ließ die Feststellung der negativen Prognose jedoch offen, weil sich die Kündigung angesichts der Unterlassung eines BEM-Verfahrens als nicht rechtswirksam erwies.

Zwar führt das Unterlassen der Durchführung eines BEM-Verfahrens nicht per se zur Unwirksamkeit der Kündigung, jedoch zu einer Erweiterung der Darlegungslast des Arbeitgebers. Will der Arbeitgeber sich darauf berufen, dass auch im Rahmen eines BEM-Verfahrens keine leidensgerechte Weiterbeschäftigung hätte gefunden werden können, muss er die objektive Nutzlosigkeit des BEM darlegen und beweisen. Er darf sich nicht auf den pauschalen Vortrag beschränken, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer.

Das Gericht entschied ferner, dass die Fehlzeitengespräche kein BEM ersetzen können. Zum einen ist ein Fehlzeitengespräch eine mit dem gesetzlich geregelten BEM-Verfahren nicht vergleichbare Maßnahme. Das BEM ist wesentlich umfangreicher. Hierin geht es um die Zukunft des Arbeitsverhältnisses und nicht um das Fehlen in der Vergangenheit.

Dr. Claudia Rid

Dr. Claudia Rid
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, CMS Hasche Sigle, München
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Krankheitsbedingte Kündigung und BEM-Verfahren
Seite 53
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