Krankheitsbedingte Kündigung und Datenschutz im BEM
Eine ordentliche Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen setzt eine negative Zukunftsprognose voraus, die angenommen wird, wenn ein Mitarbeiter über drei Jahre hinweg mehr als sechs Wochen pro Jahr arbeitsunfähig erkrankt ist. Zweitens müssen dadurch erhebliche betriebliche Interessen beeinträchtigt sein, etwa infolge der Belastungen mit den Entgeltfortzahlungskosten. Drittens ist im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise hingenommen werden müssen.
Im Rahmen dieser letzten Stufe ist zu prüfen, ob der Arbeitgeber ordnungsgemäß ein sog. BEM eingeleitet hat. Die Durchführung eines BEM ist zwar keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. De facto führen Fehler bei der Einleitung des BEM jedoch dazu, dass die Kündigung unwirksam ist, weil der Arbeitgeber die Beweislast dafür trägt, dass das Verfahren objektiv nutzlos gewesen wäre.
Einem Produktionsunternehmen wurde ein Fehler bei der Einleitung des BEM zum Verhängnis. Der Betrieb beschäftigte ca. 8.000 Mitarbeiter, der gekündigte Kläger war als Produktionsfacharbeiter beschäftigt. Im Jahre 2016 fehlte er an insgesamt 31,7 Arbeitstagen, in 2017 an 51 Arbeitstagen, in 2018 an 42 Arbeitstagen und in 2019 an 43 Arbeitstagen. Für sämtliche Fehltage war das Unternehmen entgeltfortzahlungspflichtig. In 2020 leitete der Arbeitgeber die krankheitsbedingte Kündigung ein und lud den Kläger zu einem BEM ein. Der Kläger reagierte, wie auch schon auf vergangene Einladungen, darauf nicht. Dem Einladungsschreiben war eine Datenschutzerklärung beigefügt, in der es u. a. hieß:
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„Ich bin damit einverstanden, dass die Angaben, die im Rahmen des BEM erhoben werden, den am Prozess Beteiligten und gegebenenfalls dem Vorgesetzten und der Standortleitung bekannt gemacht werden.“
Darin sah das Gericht einen Verstoß gegen die Beachtung des Datenschutzes im Rahmen des BEM, der die Fehlerhaftigkeit der Einleitung des Verfahrens begründete. Denn nach § 167 Abs. 2 SGB IX ist es erforderlich, den Arbeitnehmer nicht nur auf die Ziele des BEM, sondern auch auf die Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Ihm muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Gerade mit Blick auf sensible Gesundheitsdaten i. S. d. DSGVO muss der Datenschutz beachtet werden. Dies bedeutet, dass ohne ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen Zugang zu solchen Daten nur solche Personen haben dürfen, die sich für den Nachweis der Erfüllung der Pflicht zum BEM damit befassen müssen. Diagnosen und ähnlich sensible Daten dürfen dem Arbeitgeber ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung des Betroffenen nicht zugänglich sein. Nach Auffassung des Gerichts bestand für eine Bekanntmachung aller offenbarten Gesundheitsdaten gegenüber der Standortleitung des 8.000 Mann großen Betriebs kein nachvollziehbarer Grund. Der Arbeitgeber hätte daher im Einladungsschreiben darauf hinweisen müssen, dass eine Bekanntgabe der Gesundheitsdaten an die Standortleitung nur bei einem zusätzlichen Einverständnis erfolgt. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass bei einem entsprechenden Hinweis der Kläger an einem BEM teilgenommen hätte und dass im Rahmen des Verfahrens Möglichkeiten gefunden worden wären, die Fehlzeiten des Klägers zu reduzieren. Die ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung erwies sich somit als unverhältnismäßig und damit unwirksam.
Das Gericht ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 20.10.2021 – 4 Sa 70/20, Rev. anhängig unter Az. 2 AZR 485/21).
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