Eine Syndikusanwältin war seit 2015 als Referentin Arbeitsrecht bei einem Unternehmen der Metallindustrie beschäftigt. Der Arbeitgeber hatte am 12.10.2020 eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen, die sich als unwirksam erwies. Daraufhin forderte das Unternehmen die Juristin auf, wieder ihre Tätigkeit aufzunehmen, jedoch mit zwei Tagen pro Woche an einem anderen Dienstort. Zuvor hatte der Arbeitgeber am 17.5.2022 und am 18.5.2022 mehrere fristlose Kündigungen ausgesprochen sowie am 8.6.2022 eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung. Diese waren vom Vorstand und Frau X mit dem Zusatz „i.V. Kommissarische Personalleitung“ unterzeichnet. Die Juristin wies die Kündigungen innerhalb der Wochenfrist unter Berufung auf § 174 Satz 1 BGB mit der Begründung zurück, sie beanstande die von Frau X und Herrn Y behauptete Vertretungsmacht. Laut Handelsregister werde die Gesellschaft durch zwei Vorstandsmitglieder oder durch ein Vorstandsmitglied gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten. Frau X sei Leiterin der Abteilung Payroll und ihr sei nicht bekannt, dass diese zum Ausspruch von Kündigungen befugt sei.
Vor Ausspruch der Kündigungen war das Inklusionsamt involviert worden, da die Klägerin den besonderen Schutz als Schwerbehinderte genoss. Im Zuge der Einlassung gegenüber dem Inklusionsamt zur betriebsbedingten Kündigung trug die Klägerin u. a. zur Sozialauswahl vor und benannte die Sozialdaten anderer Personalreferenten. Sie machte insbesondere geltend, der Personalleiter und eine andere Referentin seien ausgeschieden, sodass es gar nicht möglich sei, die Arbeiten so umzuverteilen, dass der Beschäftigungsbedarf für sie weggefallen sei.
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Die Klage hatte in der ersten Instanz Erfolg, in der zweiten Instanz stellte das Unternehmen einen Auflösungsantrag, da nicht zu erwarten sei, mit der Klägerin noch vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Diese habe eine andere Mitarbeiterin als Lügnerin und unzuverlässige Person beschimpft und habe das Angebot einer Beschäftigung mit zwei Tagen pro Woche in Remscheid abgelehnt.
Auch in der Berufungsinstanz unterlag der Arbeitgeber sowohl mit dem Klageabweisungsantrag als auch mit dem Auflösungsantrag. Das Gericht hielt die Zurückweisung der Kündigungen wegen fehlender Vollmachtsvorlage für wirksam. Diese müsse nicht sofort erfolgen, eine Überlegungsfrist von bis zu einer Woche war der Klägerin einzuräumen. Das Unternehmen konnte auch nicht vortragen, dass die Klägerin positiv davon gewusst hatte, dass die Angestellte X kündigungsberechtigt war. In der Praxis ist es eher ungewöhnlich, dass der Leiter der Lohnbuchhaltung berechtigt ist, Kündigungen auszusprechen. Dafür reicht es auch nicht, dass der Unterzeichner sich selbst als „Kommissarische Personalleiterin“ bezeichnet. Die außerordentlichen Kündigungen scheiterten auch am Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Der Vorwurf, Personaldaten von Mitarbeitern unrechtmäßig erlangt zu haben und in der Stellungnahme gegenüber dem Inklusionsamt verwendet zu haben und damit Persönlichkeitsrechtsverletzungen, Datenschutzverstöße und Vertrauensbrüche begangen zu haben, war unberechtigt. Die Syndikusanwältin hatte insoweit in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt. Sie trug die Daten vor, um gegenüber dem Inklusionsamt zu verdeutlichen, dass der Beschäftigungsbedarf für ihre Stelle nicht weggefallen war und dass die Sozialauswahl fehlerhaft durchgeführt worden war. Alle diese Ausführungen erfolgten nicht in der Öffentlichkeit, sondern im nicht öffentlichen Verfahren vor dem Inklusionsamt. Somit war dies der Klägerin nicht vorwerfbar. Auch der Auflösungsantrag des Unternehmens war unbegründet. Das Angebot einer Prozessbeschäftigung mit zwei Tagen pro Woche in Remscheid war für die Klägerin, die zwei unterhaltspflichtige Kinder hat, unzumutbar. Selbst wenn der Vorwurf, sie habe eine andere Mitarbeiterin als Lügnerin und unzuverlässige Person bezeichnet, zutreffen sollte, handelte es sich dabei um ein einmaliges Ereignis, aus dem nicht gefolgert werden kann, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien nicht mehr möglich wäre (LAG Nürnberg, Urt. v. 11.12.2023 – 1Sa1654/23).
Dr. Claudia Rid
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Einleitung
Formaljuristisch gesehen handelt es sich bei der Kündigungserklärung um eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung
Problempunkt
Die Parteien stritten vorliegend über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung eines
Anlässlich des Eintritts des Vorstandsvorsitzenden in den Ruhestand und der Berufung bzw. Vorstellung des Nachfolgers veranstaltete die
Dass trotz angeordneter Kurzarbeit betriebsbedingte Kündigungen rechtswirksam möglich sind, bestätigt eine Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg
Regulatorischer Rahmen
Warum sollten Unternehmen ESG überhaupt in ihre Unternehmens- und insbesondere Vergütungsstruktur integrieren
Einführung
In der Praxis spielt der Anspruch auf Wiedereinstellung eher selten eine Rolle. Wenn er jedoch geltend gemacht wird