Vor dem LAG Hamburg ging es um die Wirksamkeit einer Probezeitkündigung. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Pharmaindustrie, der Kläger war am 1.5.2023 als Sales Representative eingestellt worden. Vorgesetzter des Klägers war Herr G. Dieser führte am 20.6.2023 mit ihm ein Mitarbeitergespräch. Am 5.9.2023 absolvierte der Kläger zusammen mit Herrn G. eine Begleitfahrt im Verkaufsgebiet des Klägers. Im Rahmen dieser Fahrt sollte von dem Inhaber einer Apotheke eine digitale Unterschrift zur Erteilung der Erlaubnis, die Apotheke zu Werbe- und Verkaufszwecken zu kontaktieren eingeholt werden. Dies gelang aufgrund technischer Probleme auf dem Tablet des Klägers zunächst nicht. Nachdem die technischen Einstellungen geändert worden waren, unterzeichnete Herr G. auf dem Tablet des Klägers als Inhaber der Apotheke. Herr G. wurde von dem Mitarbeiter des technischen Supports darauf hingewiesen, dass ein solches Vorgehen nicht statthaft sei.
Herr G. nahm am Abend des 5.9.2023 per E-Mail Kontakt zur Personalabteilung auf und teilte ihr mit, dass eine Probezeitkündigung des Klägers in die Wege geleitet werden solle. Er habe darüber auch mit dem Head der Business Unit gesprochen. Das Arbeitsverhältnis sei stark zerrüttet. Am 7. und 8.9.2023 informierte der Kläger den Betriebsrat über die Unterschriftsleistung durch Herrn G. und bat den Betriebsrat ihm zu sagen, über welche Adresse er den Vorfall als Compliance-Verstoß melden müsse. Am 8.9.2023 wandte sich der Kläger an die entsprechende Meldestelle, die sich des Vorgangs auch annahm. Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.9.2023 zum 31.10.2023 in der Probezeit. Der Kläger vertrat die Auffassung, dass diese Kündigung eine Repressalie infolge seiner Meldung des Compliance-Verstoßes und daher unwirksam sei.
Dem folgte das LAG Hamburg nicht. Repressalien i. S. d. Hinweisgeberschutzgesetzes sind u. a. Handlungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, die eine Reaktion auf eine Meldung von Verstößen sind und durch die der hinweisgebenden Person ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann. Dazu können auch, rechtlich im Übrigen zulässige, Kündigungen gehören. Die Mitteilung des Klägers über den Vorfall auf der Begleitfahrt fällt in den Anwendungsbereich des HinSchG. Dieses Gesetz gilt u. a. für die Meldung rechtswidriger Handlungen im Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit, die strafbewährt sind. Ob sich Herr G. im Zuge der Leistung der Unterschrift strafbar gemacht hat, durfte der Kläger zumindest annehmen. Im Zeitpunkt des Zugangs der ausgesprochenen Kündigung war der Kläger somit hinweisgebende Person i. S. v. § 36 HinSchG. Allerdings fehlte es an der erforderlichen Kausalität zwischen der Meldung des Klägers und seiner Benachteiligung durch die ausgesprochene Kündigung.
Nicht jede nachteilige arbeitsrechtliche Maßnahme ist allein wegen eines zeitlichen Zusammenhangs zu einer vorangegangenen Meldung bereits eine „Repressalie“. Nach § 36 Abs. 2 HinSchG wird allerdings, wenn eine hinweisgebende Person eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit erleidet und geltend macht, diese Benachteiligung infolge einer Meldung nach dem HinSchG erlitten zu haben, vermutet, dass die Benachteiligung eine Repressalie für die Meldung ist. In diesem Fall muss die benachteiligende Person beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basiert. Die Beklagte hatte die Kündigung mit der belasteten Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten Herrn G. begründet. Durch die E-Mail des Herrn G. an die Personalabteilung am Abend des 5.9.2023 war dokumentiert, dass die Kündigung auf die Zerrüttung gestützt wird und nichts mit der erst zeitlich danach erfolgten Meldung eines Compliance-Verstoßes zu tun hatte.
Das Gericht ließ wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BAG zu, die dort unter dem Aktenzeichen 2 AZR 51/25 anhängig ist (LAG Hamburg, Urt. v. 30.1.2025 – 3 SLa 19/24).
Dr. Claudia Rid

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Problemaufriss
Vor Inkrafttreten des HinSchG sahen sich (vermeintlich) hinweisgebende Arbeitnehmer nach der Meldung tatsächlicher oder mutmaßlicher
Herr Sultzer, zunächst die ganz grundlegende Frage: Was ist ein Hinweisgeber?
der Hinweisgeberschutz ist aktuell in aller Munde – oder zumindest in den Köpfen der Verantwortlichen in Unternehmen. Denn das deutsche
Problempunkt
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung bzw. eines arbeitgeberseitig gestellten
Welche Definition des Begriffs Whistleblowing bzw. Hinweisgeber legen Sie zugrunde?
Ausgangslage
Die Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen Unionsrecht melden,