Kündigungserklärungsfrist bei längerer Urlaubsabwesenheit des Arbeitnehmers
Vor dem LAG Baden-Württemberg ging es um die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters, der tariflich ordentlich unkündbar war. Der Kläger war als Zugchef und Fachvermittler für Auszubildende beschäftigt. Am 27.4.2023 erlangte das Unternehmen Kenntnis davon, dass er am 24.4.2023 den Zugbegleiter, Herrn W., sexuell belästigt habe. Im Zeitraum vom 25.4.2023 bis 1.5.2023 befand sich der Kläger in Ruhezeit und unmittelbar im Anschluss daran bis zum 21.5.2023 im genehmigten Erholungsurlaub. Das Unternehmen hörte den Kläger erst am 22.5.2023 zu dem Vorwurf der sexuellen Belästigung an und lud ihn zu einem Personalgespräch für den 23.5.2023 ein. Auf seinen Wunsch, eine Stellungnahme nur schriftlich abzugeben, verlängerte die Beklagte die Äußerungsfrist bis zum 30.5.2023 und sprach erst am 6.6.2023 die fristlose Kündigung, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist aus. Ein gegen den Kläger angestrengtes Ermittlungsverfahren wurde im Oktober 2023 eingestellt. Der Kläger bestritt die Anschuldigungen des Zugbegleiters, diese seien frei erfunden.
Die Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg, weil das Gericht die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB nicht als gewahrt ansah. Diese war nicht durch die Ruhezeit bzw. den sich hieran anschließenden Urlaub des Klägers gehemmt. Zwar könne der Arbeitgeber zur Aufklärung eines Sachverhalts weitere Ermittlungen anstellen. Dies gilt allerdings nur so lange, wie er aus verständlichen Gründen mit der gebotenen Eile die Ermittlungen durchführt. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist von in der Regel nicht mehr als einer Woche erfolgen. Daher wäre der Arbeitgeber gehalten gewesen, den Kläger noch im laufenden Urlaub zu kontaktieren, um ihm Gelegenheit zu geben, hinreichend zeitnah zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Für die Fälle einer krankheitsbedingten Abwesenheit eines Arbeitnehmers hat das BAG entschieden, dass der Arbeitgeber auf die Erkrankung des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen müsse, sodass eine angemessene Verlängerung der Kündigungserklärungsfrist eintreten kann. Diese Rechtsprechung ist aber nach dem LAG Baden-Württemberg auf eine längere urlaubsbedingte Abwesenheit von mehr als drei Wochen nicht übertragbar. Dem Einwand des Arbeitgebers, eine Kontaktaufnahme zum Arbeitnehmer während dessen Urlaubs, widerspreche dem besonderen Erholungszweck des Urlaubs, vermochte das Gericht nicht zu folgen. Zu Zeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologien wäre es möglich gewesen, den Kläger auf seinem Diensthandy anzurufen oder ihm eine E-Mail zu schreiben.
Das Gericht ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu, da die Frage der Kündigungserklärungsfrist im Zusammenhang mit einer längeren urlaubsbedingten Abwesenheit eines Arbeitnehmers höchstrichterlich noch ungeklärt ist. (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 12.12.2024 – 12 Sa 25/24, Revision eingelegt unter dem Az. 2 AZR 55/25).
Dr. Claudia Rid

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Einleitung
Formaljuristisch gesehen handelt es sich bei der Kündigungserklärung um eine einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung
Problempunkt
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer außerordentlich fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit
Einführung
In der Praxis spielt der Anspruch auf Wiedereinstellung eher selten eine Rolle. Wenn er jedoch geltend gemacht wird
Hintergrund
Arbeitgeber sind beim Personalabbau wegen der strengen Voraussetzungen betriebsbedingter Kündigungen regelmäßig der
Problempunkt
Die Klägerin war in einem Callcenter/Infopoint eingesetzt. Als der Arbeitgeber die Teamleiterin der Infopoints von Frau R
Zielsetzung und Bedeutung des BEM
Das BEM ist ein „rechtlich regulierter verlaufs- und ergebnisoffener Suchprozess“ (BAG, Urt. v. 20.11.2014 – 2 AZR